Freitag, 29. August 2014

Skalen, die ich mir in meinem Kopf male

Dass ich schreibe, ist für mich ein sehr spontaner Akt. Diese Unwillkürlichkeit tritt noch einmal verstärkt bei meinem Blog auf. Deswegen kann es auch echt leider vorkommen, dass man eine Woche, vielleicht auch länger, immer wieder dieselben Titel sieht, ruft man die persönliche Revolution im Browser auf, beziehungsweise schreibe ich halt drei Tage nacheinander irgendein Sinngequatsche oder Seelenausleerung. Bei mir geht das immer von einer Laune aus, einem Bild, das mich in irgendeiner Art und Weise anregt etwas auszuformulieren, meinem Facebook-Feed, Unterhaltungen, oder einfach gewissen Emotionen, die mich ganz plötzlich ohne Vorwarnung überkommen. Da kommen dann immer die besten Blogposts raus, die vollgeladen mit emotionalem Geschwafel sind, bei denen ich doch immer wieder mit dem Gedanken, sie nicht einfach alle zu löschen, spiele und die ich wahrscheinlich echt nicht gepostet hätte, hätte ich sie mir erneut durchgelesen und nicht einfach nach meinem letzten Punkt auf den großen orangenen Button "Veröffentlichen" gedrückt.
Und gerade bin ich schon wieder so emotional.
Ich sitze in meinem improvisierten Bett, das an und für sich eigentlich nur aus einer Matratze am Boden besteht, es wird schön langsam wieder hell, meine Haare sind noch von der vorhergehenden Dusche nass und ich bin vor ungefähr einer Stunde heim gekommen. Ja, beste Voraussetzungen, um mal wieder an sich selbst zu zweifeln, was?
Aber ich möchte nicht schon wieder über meine Selbstzweifel und so weiter schreiben. Das hat hier langsam echt keinen Platz mehr. Der Raum, den diese bis jetzt schon hier eingenommen haben, füllt sich schön langsam und ich weiß nicht, wie viele Zweifel jener noch aufnehmen kann. Aber trotzdem haben mich dieselben dazu motiviert und vor allem angeregt, jetzt über meine kleine Skala zu schreiben.
Ich möchte von zwei auf acht kommen. Das ist mein Ziel.

Für mich ist ein ganz großes Thema die Selbstliebe. Vielleicht, wenn ich irgendwann den Mut aufbringen kann, lass ich mir eben dieses Wort irgendwo auf meinem Körper eintattoowieren, somit kann ich immer daran denken und dieses wundervolle Gefühl, dass man bei acht hat, hervorrufen. Aber eins nach dem anderen.
Ich stehe ein paar Schritte von der Wand entfernt, die Gegenüberliegende ist aber immer noch ein großes Stück entfernt. Das soll meine Skala veranschaulichen. Als ich damit angefangen habe, befand ich mich auf dem zweiten Skalenpunkt. Die Zahlen stehen für den Grad der Selbstliebe, um es einmal irgendwie ein wenig theatralisch auszudrücken. 10 ist ganz, ganz viel, so viel, dass man sich selbst komplett akzeptiert und gerne hat, aber noch nicht überheblich oder arrogant ist. 1 ist schwierig zu definieren beziehungsweise die Definition von eins ist nicht gerade einfach, aus zu formulieren. Da ist auf jeden Fall von Selbstliebe nichts zu sehen.
Zwei ist ein klein wenig besser. Es ist wohl irgendwo auch ein bisschen Schutz für mich. Ob das jetzt verstanden werden kann, ist eine andere Frage, aber manchmal fühlt es sich viel einfacher an, allein Komplimente anzunehmen ist etwas, das schrecklich viel von einer verlangt, da ist es nun mal simpler, all sowas von sich zu weisen. Oder so. Ich glaube, ich kann das gar nicht richtig auf den Punkt bringen, warum es sich sicher anfühlt. Auf alle Fälle erzähle ich jetzt weiter...
Ich saß ich vor ein paar Tagen im Zug, mal wieder. Richtung Westen. Ich hatte vielleicht vier Stunden geschlafen, weil zuvor das GirlsRockCamp Abschlusskonzert war und ich noch bis tief in die Nacht Müsli zusammengestellt und über alles mit einer furchtbar lieben Freundin geplaudert habe. Eigentlich wollte ich ja mit einem früheren Zug fahren, damit ich noch zeitiger am sogenannten grünalternativen Sommercamp ankommen würde, das ja eigentlich schon einen Tag zuvor angefangen hatte. So, und ich habe mich unglaublich hetzen müssen, dass ich den InterCity überhaupt noch erwischt habe, bin von der Busstation, bei der erst in 10 Minuten der nächste Bus gefahren wäre, zum nächst gelegenen Citybikestandl gelaufen und bin vollgepackt losgeradelt. Rote Ampeln habe ich einfach übersehen. Und ich habs geschafft, als ich auf den Bahnsteig ankam, konnte ich gerade noch zwischen die sich schließenden Türen des hintersten Abteils schlüpfen.
Und dann schau ich auf mein Handy.
Die Verbindung, die ich mir rausgesucht habe, war für Montag, nicht Sonntag. Tja, was bedeutet das jetzt? Der Stress hat gar keinen Sinn gemacht, jetzt muss ich sowieso eineinhalb Stunden irgendwo in Oberösterreich sitzen und warten.
Vor noch nicht allzu langer Zeit hätte ich mich bei diesen Umständen so fertig gemacht und wäre so böse auf mich. Aber, was soll ich sagen? Ich fands eigentlich nur lustig. Dann sitze ich halt im falschen Zug, irgendwo komm ich ja doch hin. So ist das schließlich immer, nicht? Sogar, wenn man das mit-der-Bahn-fahren als Metapher versteht.
Und dann hatte ich eine Idee.
Heute hüpfe ich.
Ich hüpfe von zwei auf drei. Ganz bewusst. Ich kann das entscheiden, ich kann mir das erlauben, ich kann das. Eigenständig.
Ich sitze also im Zug und beginne, mich ein kleines bisschen lieber zu haben.

Wie sich das nun äußerst?
Es ist schon anders. Ich lasse viel mehr zu. Ich darf auch Eis essen, oder Süßigkeiten oder Weißbrot, auf das ich momentan unglaublich stehe. Das ist ja voll in Ordnung.

Und es gibt immer noch Tage, an denen es regnet. Das drückt die Stimmung. Das macht schlechte Laune und alles ist grau. Wenn dieser Regen keiner ist, der während eines warmen Sommertages vom Himmel tröpfelt, sondern wie aus Strömen die Sicht versperrt, dann macht das etwas mit dir. Mit mir zumindest. Und an solchen Tagen überdenke ich meine Entscheidung dann immer. Aber ich möchte meinen, dass es kein zurück gibt und ich muss, so wie mit allem, was man tut, mit den Konsequenzen leben. Und diese Konsequenzen beinhalten auch, dass ich mich nicht mehr in die Sicherheit von zwei verkriechen kann, beginnt es einmal zum Regnen. Oder fällt einmal ein blödes Wort.
Und eben diese bewusste Entscheidung merke ich mir. Ich möchte das öfter tun, aber jetzt heißts einmal ganz bestimmt geduldig zu sein, ein bisschen im Wasser herumtasten und schauen, ich aklimatisiere mich ja erst.

Donnerstag, 28. August 2014

Ich esse pflanzlich

Gerade eben hat sich mal wieder mein Facebook-Feed umgestellt. Ich sollte eigentlich prinzipiell aufhören, Dinge zu liken. Egal, ob es ein Status von Stefanie Sargnagel ist, oder ein Beitrag von Upworthy, meine Pinnwand füllt sich nach dem nächsten Klick auf den Aktualisieren-Button mit Dingen aus dem Leben eben dieser Leuten beziehungsweise Seiten. Jetzt ist der der Tellerchen-Debattierclub, der meine Startseite heimsucht. Hätte ich das Zitat "If you can be vegan except for one thing, then be vegan except for that one thing" doch bloß nicht geliked. Auf jeden Fall finde ich es eigentlich nicht ganz so cool, dass sich das so drastisch umstellen kann. Durch diesen Artikel bin ich überhaupt erst drauf gekommen, wie manipulativ das Ganze nicht ist.
Egal, ich möchte mich heute nicht zu viel über Facebook aufregen. Das würde ein langer Post werden, fürchte ich - angefangen vom Zeitraub über die Demotivation, die ich erfahre, wenn ich keine Nachrichten oder sonst etwas empfange. Dadurch, dass mein Feed jetzt gestopft voll mit Beiträgen zu Veganismus ist, ist mir eingefallen, wie viel derselbe mir nicht geholfen und gebracht hat. Ja, und das möchte ich ganz gerne heute teilen.

Angefangen habe ich ja als Vegetarierin mit elf. Aus relativ naiven Gründen eigentlich und ziemlich uninformiert. Aber macht nichts, der gute Wille zählt doch und schlussendlich habe ich es auch durchgezogen. Mir taten doch die Tiere so leid und das konnte ich nicht mehr unterstützen - von grauenvoller Massentierhaltung und Umwelt- sowie sozialen Faktoren konnte da noch gar nicht die Rede sein. Trotzdem habe ich in meine Avocado-Aufstrich-Semmel gebissen und es durchgezogen, obwohl ich Fleisch an und für sich schon ziemlich geil gefunden habe. Es hat mir halt geschmeckt und die erste Zeit war auch nicht gerade leicht für mich, das muss ich wirklich zugeben, es hat auch einige Rückfälle gegeben. Und jetzt sitze ich hier und lebe seit gut sieben Jahren fleischlos.
Später habe ich mich dann immer mehr mit dieser Materie, dem Vegetarismus, beschäftigt und bin auf immer mehr Dinge gestoßen. Immer mehr schreckliche Tatsachen und immer mehr Motivation für mein Tun. Aber trotzdem habe ich nie so wirklich darüber nachgedacht, ganz auf Milch und Eier zu verzichten. Käse habe ich sowieso immer schon grauslich gefunden und wie hätte ich denn sonst meine ach-so heißgeliebten Crunchys (wie ich meine gezuckerten Cornflakes, Honeypops und sonstige Musli-Varianten immer nannte) verspeisen sollen, wenn nicht in einer Schüssel zusammen mit Milch? Ich hab sogar schon rausgehabt, welche Crunchys mit warmer und welche mit kalter Milch besser schmeckten. Allerdings gab es bei uns zuhause doch ab und an mal eine pflanzliche Milch, meistens die Sojamilch mit Vanille, die mir auch zugesagt hat. Aber so ganz war mein Bewusstsein noch nicht gebildet. Das erste Mal, das ich mich erinnern kann zumindest, dass ich bewusst vegan gegessen habe, war bei meinem allerersten GirlsRockCamp. Dort wird einfach die ganze Woche über vegan gegessen. Punkt. Na gut, es hat um die Ecke einen Schnitzelkönig oder so gegeben, aber Fleisch war ja sowieso schon von meiner Speisekarte gestrichen. Ja, und dann das Jahr drauf hat das Essen dort immer noch so phänomenal geschmeckt. Das ist wirklich ein so enormer Pluspunkt, eine ganze Woche so lecker zu essen ist halt doch ein großer Luxus. Und dann nach meinem zweiten Camp bin ich irgendwie nachdenklich geworden. Ich habe mich mit der Köchin unterhalten gehabt und mit anderen vegan lebenden Frauen*. Es macht schon Sinn eigentlich...
Und dann kam ich ja bekanntlich in meine wundervolle Abwärtsspirale. Sojamilch hat ja fast gar kein Fett! Diese tierischen Produkte waren ja praktisch vollgepumpt mit ungesund und Fett, wie mir schien. Also, wieso nicht gleich ins für so viele Menschen Radikale gehen? Tut der Umwelt gut. Tut den Tieren gut. Tut meinem Körper gut. Naja, das mit dem Körper ist ja so eine Geschichte.
Bei mir hats dann schätzungsweise genauso angefangen, wie für die meisten vegan lebenden Menschen. Zuerst einmal nur gemeint, man lasse einfach für eine bestimmte Weile Milch und Eier weg und probiere ein paar neue Dinge. Irgendwann kippt das dann ins deklarierte Veganerinnen-Dasein.
Ich war so vollgefressen mit all dieser Fleischproduktion, dem wirtschaftlichen Grundtenor, der immer mitschwingt, der Massentierhaltung, der Auswirkungen auf die Umwelt, der Wasserverschwendung und so weiter. Und ja, so schwer es mir auch fällt zuzugeben, die fettreduzierte Diät unter dem Deckmantel "vegan" spielte ihren Teil mit.
Aber die rein pflanzliche Ernährung hatte nicht nur eine große Rolle zu Beginn meiner Abnehmensgeschichte, sondern eine ganz wesentliche am Ende derselben. Veganes Essen kann ich essen. Da ist das schlechte Gewissen nicht so groß. Es gibt auch ganz häufig einfach nur tierische Süßigkeiten und ich hatte irgendwo eine Ausrede, diese nicht verspeisen zu können. Und es war sehr wichtig für mich, diese tierischen Nahrungsmittel weglassen zu können. Zum Einen, weil ich dann vielleicht doch ein bisschen Kontrolle hatte und mir ein paar Regeln aufstellen konnte. Aber wahrscheinlich zu einem großen Teil deswegen, weil vegan schon sehr gesund ist meistens. Natürlich sind Pommes auch vegan, aber sonst wird viel mit Gemüse und Vollkorn und gut gekocht.
Letztens habe ich auch in den an.schlägen, die vor einiger Zeit ein Heft mit Schwerpunkt Veganismus&Feminismus rausgebracht haben, einen Artikel durchgelesen, der auf eben diese Thematik eingegangen ist. Für viele Menschen, die eine Essstörung haben, ist es hilfreich, sich vegan zu ernähren, weil man dadurch mit dem Gewissen eher im Reinen ist und sich trotzdem noch irgendwelchen selbstaufgetragenen Regeln, die das Essverhalten betreffen, unterwerfen muss oder kann. Essen wird dadurch thematisiert, das ist keine Frage. Man muss sich bei manchen Lebensmittel die Inhaltsstoffe durchlesen und ist oft auch vernetzt, liked Seiten auf Facebook über dieses Thema oder unterhält sich über vegane Rezepte mit Freund*innen, man kann nicht unbedenklich irgendetwas von jemandem annehmen und es sich in den Mund stecken, weil immer nachgefragt werden muss, ob etwas Tierisches enthalten ist. Aber Nahrung ist soundso ein Thema. Das kann man so viel leugnen, wie man will, es ist einfach so. Und dadurch wird es irgendwo...sinnvoller umgesetzt. Man beschäftigt sich mit dem, was man zu sich nimmt, und macht es aber gleichzeitig nicht aufgrund von irgendwelchen Selbstrestriktionen oder wegen des Abnehmens. Man macht es, weil es einfach besser ist. Beziehungsweise habe ich für mich entschieden, dass es besser ist und ich anders nicht klar kommen würde. Ich hab sozusagen ein bisschen das Medium gewechselt. Und dennoch habe ich für mich herausgefunden, wie ich trotz alldem nicht zugrunde gehe, weil ich mir selbst etwas verbiete. Ich esse Honig, wenn er von einer Imkerei aus meinem unmittelbaren Umfeld im Waldviertel stammt und ich sicher sein kann, dass es den Bienen gut ergangen ist. Honig liebe ich einfach und außerdem braucht unser Ökosystem und all unsere anderen angebauten Pflanzen die summenden Insekten so sehr! Industriehonig kann ich nicht vertreten, den aber schon und irgendwie tut man dadurch auch ein bisschen was Gutes - ich unterstütze so die hiesigen Imker und Imkerinnen und die Umwelt hat ein paar Bienchen mehr. Ich frage auch nicht immer nach. Beim grünalternativen Sommercamp, auf welchem ich die letzten paar Tage verbracht habe, gab es zwar mittags und abends Veganes auf die Teller, das Frühstück wurde aber von der Herberge bereitgehalten und das war leider nicht sonderlich veganerinnenfreundlich. Es gab Wurst, Käse, Aufschnitte, Marmelade und Honig im Plastikbecher, Milch, Cornflakes, Semmeln. Oberflächlich betrachtet bleiben die Cornflakes, die Semmeln und die Marmelade über. Gut, ledige Cornflakes sind jetzt nicht grad das Wahre - dann halt eine (oder drei) Semmel mit der mehr als künstlichen Marmelade. Aber es kann so gut sein, dass diese Semmel, die da auf meinem Tellerchen liegt, mit Ei bestrichen worden ist, beziehungsweise Milchzucker, Molkepulver oder sonstige Inhaltsstoffe beinhaltet. Das kommt recht häufig vor und würde mich auch nicht weiters wundern. Ich habe aber nicht die Energie gehabt, das herauszufinden. Ich brauche mein Frühstück und kann natürlich hoffen, dass nichts Tierisches da drinnen war, bin mir aber eben nicht hundertprozentig sicher. Aber das geht auch. Ernährung ist etwas so unglaublich Persönliches, und wenn ich für mich entscheide, dass ich das vertragen kann, ist das in Ordnung, finde ich. So habe ich auch ein bisschen die Last des veganen Essens von mir genommen - ganz strikte Essensvorschriften sind halt einfach nicht gut für mich, das weiß ich mittlerweile.
Aber trotzdem, es geht, dass ich in einen veganen Kuchen reinbeiße und ein veganes Vanilleeis löffle. Kommt mir immer noch etwas besser vor. Und außerdem habe ich gesehen, dass die Schokoflakes, die meine Mitbewohnerin gekauft hat, ebenfalls vegan hergestellt worden sind. Tja, was soll ich sagen? Heute habe ich mir allen Ernstes ein paar von diesen Kalorien- und Zuckerbomben in eine Schüssel geleert und gegessen, ganz für mich alleine und es war gar kein Riesending. Ich habe sie gegessen, weil ich sie essen wollte, sie sind ja schließlich vegan, das darf ich also. Ich habe sie auch nicht gegessen, weil ich irgendwem beweisen wollte, dass ich es könne. Einfach nur, weil ich gerade Lust darauf hatte.
Vegan sein hat mir wirklich unheimlich geholfen. Das ist mir erst heute so richtig, richtig bewusst geworden.
Ich sehe, wie viele Schritte ich immer wieder mache und freue mich. Ich lass so viel zu und eigentlich, zumindest gerade in diesem Moment, habe ich das Gefühl, kann ich alles essen, das mich gerade gelüstet. Schlussendlich habe ich in letzter Zeit bitte weiße Semmeln gegessen, Eis geschleckt und Gezuckertes zwischen meine Zähne geschoben. Ist ja nichts dabei.

Mittwoch, 27. August 2014

Mädchen*, macht euch die Welt, wie sie euch gefällt!

Perspektiven, Veränderungen, Freiräume, Denkanstöße, Kontroverse und jede Menge Spaß an der Freude - das ist bezeichnend für das pink noise GirlsRockCamp. Und ein Haufen Feminismus und Mut. Und Schlagzeug. Außerdem wird großer Wert darauf gelegt, mit vorherrschenden Geschlechterrollen zu spielen, sie zu betrachten, benennen, zerpflücken und schlussendlich dann eigene Vorstellungen zu bauen, aus eben diesen gesprengten Realitäten, die uns tagtäglich über den Weg laufen und uns doch so freundlich zuwinken.
Aber jetzt hat das diesjährige Camp ein Ende genommen. Um genau zu sein, wurde die Ziellinie mit Samstagabend überschritten - und mit zumindest dreiundzwanzig Metern überlaufen. Am 23. fand nämlich der alljährliche Abschlussabend statt. Ohne Übertreibungen ist das eindeutig das schönste Konzert des Jahres. Der letzten vier Jahren jedes Mal aufs Neue.

Ich kann gar nicht glauben, dass mein erstes Jahr als Teilnehmerin des GirlsRockCamps schon 2011 war. Und vor allem, dass das vierte Camp schon vorüber ist, bei dem ich wieder in eine andere Perspektive schlüpfen durfte. Seit letztem Jahr wurde mir nämlich die Ehre zugetraut, den Schlagzeugworkshop mit zu leiten.

Aber zuerst möchte ich noch ein paar Worte über den Aufbau dieser Woche verlieren:
Ich persönlich meine ja, dass das wichtigste Element des Camps der geschützte Raum ist. Es wird ein Freiraum geschaffen, wie es ihn sonst nur sehr selten gibt. Außerdem war es das erste Mal für mich, dass mir dieser Freiraum so bewusst gewesen ist und ich ihn so unglaublich gut auskosten und -nutzen durfte. Das alles wird dadurch geschaffen, dass - ganz einfach - nur Frauen* mitarbeiten. Tontechnikerin*, Köchin*, Instrumentenworkshopleiterin*, Organisatorin*. Und auch nur Mädchen* sowie Frauen* teilnehmen dürfen. Das gibt einer einmal die Möglichkeit, sich ganz ohne Rücksicht auf die doch alltäglichen patriarchalen Strukturen auszuprobieren. Musik ist eine Männerdomäne. Das kann leider kein Mensch leugnen und deswegen ist es umso wichtiger, Mädchen* und Frauen* in ihrem musikalischen Tun zu bestärken. Der Kontext wird queerfeministisch gehalten und auf allen möglichen Ebenen auf politische Korrektheit geachtet - sei es bei der vollkommenen veganen Ernährung während dieser Tage oder dass die Camp-Shirts unter fairen Bedingungen und mit Berücksichtigung der Umwelt produziert werden, um bloß zwei Beispiele zu nennen.

Ja, es geht um Musik. Und es geht um die Frage der Geschlechter in eben dieser. Die Rolle der Frau, die Rolle von jeder Person, die sich nicht als cis-Mann empfindet. Und ich kann eines aus Erfahrung sagen, drück den Mädels* ein Instrument in die Hand und lass sie machen - nur das beste und ehrlichste wird rauskommen.
Also, die Teilnehmenden haben zu allererst einmal die Möglichkeit, diverse Instrumentenworkshops zu besuchen. Und, wie schon erwähnt, darf ich seit letztem Jahr den Schlagzeugkurs co-leiten. In diesen werden sie mit dem Camp-Lied konfrontiert. Rebel Girl von Bikini Kill. Le Tigre. Gossip. Und zuletzt Girls Like Me von Nikki&The Corvettes. Das hat den Grund, dass die Mädchen* später, nachdem sie sich zu Bands zusammengeschlossen haben, schon einmal einen gewissen Grundstock und Anreiz haben. Auch ist das Erlernen eines Liedes insofern von großer Bedeutung, dass dadurch die Angst vor Musikstücken und der Komplexität von denselben weggenommen werden kann.
Wow. Dieses Jahr war ich wieder vollkommen geplättet. Drei Workshops waren angesetzt und ein jeder war anders. Ein jeder war perfekt. Und die Mädchen* hatten es drauf, alterfalter, wie M.immer zu sagen pflegt, die konnten in kürzester Zeit nicht nur das Lied nachspielen sondern auch noch viel mehr - improvisieren, Takt halten, Fill-ins einbauen... Das war schon unheimlich schön.
Aber es gibt nicht nur Kurse um eine gewisse Ahnung von Instrumenten zu bekommen, sondern auch welche über sozialkritische Themen, über Körper und Bühne, übers Texte schreiben, Tanzworkshops und vieles mehr einfach. Das Angebot ist überwältigend, aber auf die positivste Art und Weise nur vorstellbar. Auch Gustav hat ein paar Stunden mit Programm gefüllt.
Und natürlich gibt es die Bands. Insgesamt sollen vier Bands zusammengestellt werden, das dürfen die Teilnehmerinnen* selbst übernehmen - natürlich aber nicht ohne gezieltes Rahmenprogramm, Inputs und Hilfe. Mit diesen Konstellationen werden dann jeden noch verbleibenden Tag zusammen mit sogenannten Bandcoaches, die erfahrene und wundervolle Musikerinnen* sind, wie Aurora und Petra von petra und der wolf oder Birgit von first fatal kiss und zahlreichen anderen Projekten, in Proberäumen mit allem drum und dran geprobt, probiert, Neues entdeckt und gelacht. Außerdem gibt es abends meistens noch die Möglichkeit unter dem Programmpunkt "offener Proberaum" ohne Zuschauerinnen* auf die Instrumente zu hauen.

Ja, und am Ende folgt das Abschlusskonzert. Das, wie jedes Jahr eigentlich, einfach nur phänomenal war. Die vier Bands waren nicht nur unglaublich toll und versiert, sondern auch so sympathisch und wundervoll. Mir fehlen richtig die Worte. Ich war auch so nervös und so enthusiastisch und glücklich an diesem Abend, das ist schon ein wunderbarer Nebeneffekt vom GirlsRockCamp, auch, wenn ich nach meinen zwei Jahren als Teilnehmerin nur mehr von außen auf das alles blicken darf. Achja, und ich war so hin und weg, dass so viele der Mädels*, die das erste Mal bei Veronika und mir im Schlagzeugworkshop Drumsticks in den Händen gehalten hatten, sich auch auf der Bühne den Schlagzeughocker geschnappt haben und im Takt auf die Trommeln schlugen.
Das kann alles geschehen, wenn man sie einfach machen lässt, Mädchen* ein wenig anschubst und bestärkt in dem, was sie tun.

Das GirlsRockCamp ist mir ans Herz gewachsen. Und ich freue mich so sehr, kleine Teile dazu beitragen zu können, in der Küche auszuhelfen und zuzuschauen, wie Steffi die himmlischsten veganen Speisen zubereitet, schon einen Tag vor Start nach Hollabrunn zu fahren und die Drumsets aufzubauen, mir das Lied hundertmal am Tag anhören, damit ich alle Schlagzeuglines ohne Überlegen erklären kann und den Abschlussabend zur Gänze zu genießen.
Ich möchte auch nochmal ein riesengroßes und eigentlich noch größeres Lob an die teilnehmenden Mädchen* aussprechen. Nach der wunderbaren Moderation warf mich die erste Band schon einmal um - die spielen da erst eine Woche zusammen und schaffen es, so viele Lieder so gut klingen zu lassen. Und es wurde immer besser und alle waren anders und alle Bands hatten ihren eigene Stil und ihre eigene Herangehensweise. Charme. Humor. Können. Grrrlspower.
Durch das Camp bin ich auch zur Veganerin geworden. Die ganzen Diskussionen und Gespräche, die in diesem unhierarchischen Raum geführt worden sind und werden, haben mich geprägt und zum Denken veranlasst. Alle sitzen beim Essen zusammen, egal ob Bandcoach, Teilnehmerin* oder Mitglied des Orga-Teams und die Unterhaltungen sind so divers, dass es einfach nur eine Freude ist, von all den Erfahrungen, Überlegungen und Überzeugungen aller Beteiligten zu hören. Auch ist es, so blöd das jetzt vielleicht auch klingen mag, eine wahnsinnig tolle Art und Weise, sich zu vernetzen. Meine Band Schapka, die am 31. um 18:00 Uhr übrigens am Volksstimmefest auftritt (!!!!), ist nicht nur dadurch entstanden, wir haben auch die Möglichkeit bekommen, in Proberäume unsere neuen Lieder zu schaffen und auch eine Kassette rauszubringen.

Es ist schrecklich schade, dass es so wenige Projekte gibt, die in diesem Format organisiert und realisiert werden. Es ist doch so wichtig, junge Frauen* zu fördern und ihnen zu zeigen, dass sie es auch können und ganz schön umwerfend auf einem Bass herumzupfen können.
Ja, weil Girls rocken und Punk viel zu selten zum Thema gemacht wird bei jungen Frauen*. Weil am acoustic lakeside festival insgesamt bloß vier Frauen auf der Bühne gestanden sind - wobei es dann doch nur drei waren, Lucy Rose musste absagen. Weil Freiräume erkämpft, geschaffen und gefördert werden müssen. Weil ich nicht ganz so wäre, ohne diese paar Tage, die ich GRC-Luft schnuppern durfte und die liebsten Freundinnen missen müsste. Weil Musik Lebensqualität ist und diese frei für alle zugänglich gemacht werden sollte.

Sonntag, 17. August 2014

Ja, hallo! Wie gehts dir so?

Heute habe ich mit meiner Mitbewohnerin über dieses Thema geredet. Ganz kurz nur. Sie hat mir bloß erzählt, dass sie mit jemandem via irgendeinem sozial media Portal kommuniziert. Das hab ich witzig gefunden und wollte wissen, welchen Themen die beiden also beschäftigen.

Hey.
Hey.
Wie gehts?
Danke, gut. Und dir?

Das hat mich irgendwie zum Denken angeregt. Ich weiß nicht, aber ich habe das Gefühl, dass diese Frage schon zum Small Talk degradiert worden ist. Als würde ich fragen, wie mein Gegenüber das Wetter findet. Ja, schön. Vielleicht ein bisschen zu windig. Und du so? Und da ist es egal, wie schrecklich aufwühlend die Witterungslage sein kann, wie sehr man von den Konditionen, die da draußen herrschen, betroffen und gestört ist, wie unglaublich man sich an den paar Sonnenstrahlen, die durch die Wolkendecke brechen, erfreut. Ein bisschen windig halt. Obwohl es stürmt. Ganz angenehm. Obwohl man vor Lebenslust springen könnte. Ich hab heute eigentlich noch gar nicht aus dem Fenster geschaut. Obwohl die Stimmung, in der die Umwelt getunkt ist, und die ganzen Grautöne auf der Schulter lasten und bedrücken.
Wann antwortet man auf diese zwei Wörter, die doch eigentlich so vieles fragen, schon einmal wahrheitsgetreu? Zu hundert Prozent. Wann möchte die Person, mit der man doch gerade eine Konversation, egal durch welches Medium, egal auf welchem Wege, führt und führen will, denn wirklich eine richtige Antwort hören und nicht bloß das Schweigen, die sooft rezitierte peinliche Stille, überbrücken? Wer interessiert sich denn nun echt dafür?

Ich Stelle diese Frage relativ häufig. Auch gerne mehrmals am Tag ein und derselben Person. Ich weiß doch, wie schnell Stimmungen umschlagen können, durch was für Kleinigkeiten man sich in diesem Sinne beeinflussen lassen kann und wie die Welt plötzlich eine andere Farbe annimmt, nimmt man die rot getönte Sonnenbrille ab. Wenn du mich interessierst, möchte ich auch erfahren, was in dir vor geht, wie es dir geht.
Aber egal, was meine Motivation, mein Motiv, für das Fragen war, die Antwort fällt doch zumeist sehr ähnlich aus. Geht so. Ganz in Ordnung. Passt schon. Okay. Und was fange ich jetzt an damit? Ich freue mich. Oder auch nicht. Allein bei dem kleinen passt schon kann man so einiges rein interpretieren. Es kommt auf den Tonfall, auf den Ausdruck und das Zwinkern drauf an.

Trotzdem kommt es mir manchmal so vor, als würden Viele das Gehts dir gut? nicht ernst meinen. Sie fragen einfach des Fragens Willen. Das gehört sich so. So beginnt man eine Konversation. Und wenns nur darum geht, dass man dann zurückgefragt wird und die Gesprächspartnerin vollquatschen kann über die eigene Gemütslage und die wirklich schlimmen Problemen, durch die man gerade mit den Kakteen durchgehen muss. Die wollen nämlich einfach nicht blühen. Also nur der eine, der bei mir im Wohnzimmer auf der Fensterbank steht. Das Erfragen nach der emotionalen Stimmung der anderen wird also häufig ausgenutzt, oder liege ich dabei falsch? Erst letztens wurde ich von einem Bekannten angeschrieben, mit genau diesem Satz. Beziehungsweise mit einem simplen "hey". Der Beginn unseres Whatsappverlaufes schaut also sehr ähnlich aus, wie der oben angeführte. Nur hat er mir dann irgendwas erzählt, auf das er eindeutig hinaus wollte - selbst wenn ich geschrieben hätte, es könnte mir besser gehen, wäre er höchstwahrscheinlich nicht darauf eingegangen. Er hat ja schließlich was auf der Zunge, oder auf den Fingern, brennen, das er unbedingt loswerden muss. Ist auch okay. Eigentlich. Aber diese Scheinheiligkeit macht mich fertig. Wenn du dich nicht dafür interessierst, wies mir geht, dann tu doch nicht so. Rück gleich raus mit der Sprache.

Und noch eine Frage kommt in diesem Kontext auf. Wann beantwortet man "Wie geht es dir so?" schon der eigenen Wahrheit entsprechend? Wir machen jetzt also einen Perspektivenwechsel - jetzt gehts um die Gefragten. Und schon wieder spreche ich von mir. Das tue ich, weil ich an und für sich nur für mich reden kann, vielleicht empfindet das eine andere komplett anders und verallgemeinern soll man ja bekanntlich nicht. Außerdem bin ich mir am nähesten, so komisch das jetzt auch klingt. Aber ich weiß einfach, wie ich antworte und was ich eigentlich gerne gesagt hätte. Bei anderen kann man das immer nur erahnen. Vielleicht meint er es ja wirklich so. Sie fühlt ganz anders, das merk ich. Und obwohl das mit den eigenen Emotionen Erforschen ganz und gar nicht einfach ist - wie oft weiß man denn selbst nicht, wie es einer geht? - ist es doch um einiges leichter, als von der nonverbalen Gestikulation anderer Menschen auf ihren inneren Zustand zu stoßen.
Also, ich antworte eigentlich konsequent mit einem mir gehts gut, danke. Vielleicht ab und an auch geht eh. Bin gerade ein bisschen fertig, aber sonst passt alles. Ja, schon in Ordnung. Aber eigentlich tobt es in mir und ich möchte mit all meinen Emotionen rausplatzen, mich anvertrauen und über mein Innenleben sprechen. Aber wie gesagt, die meisten interessieren sich sowieso nicht dafür. Oder aber ich komme mir blöd vor, weil dann ein großer Teil des Gespräches damit verbracht wird, über meine Person zu reden, weil ich mich dann in den Mittelpunkt dränge. Und außerdem, wem kann man denn wirklich das erzählen, was gerade brennend beschäftigt? Weiters kommt dann meine Inkompetenz, das auszudrücken, was in mir vor sich geht, hinzu. Und die Scham. Wie kann ich denn meinem Gegenüber erzählen, dass ich mich schlecht fühle, weil ich etwas gegessen habe, ohne für verrückt gehalten zu werden? Das ist ja nicht zum Nachvollziehen, eigentlich. Und trotzdem spukt es in meinem Kopf herum, dieser Gedanke, dieser Schatten. Wie kann ich bitte klar machen, dass ich mich unendlich viel freue, hier sein zu dürfen? Ich möchte ja nicht übertrieben und übertreibend wirken, nicht so rüber kommen. Außerdem kann ich gar nicht beschreiben, wieso es mir so fantastisch geht. Es passt einfach gerade alles zusammen.

Ich empfinde es trotzdem als unheimlich wichtig, über die Gefühle zu reden beziehungsweise das überhaupt zu können. Dafür braucht es aber viel. Es braucht einmal ein Gegenüber, dem man vertraut, das interessiert an einer ist, dem man so nah ist, das allerdings immer noch einen gewissen Abstand, eine gewisse Objektivität bewahren kann, kritisch und einfühlsam, gelassen und konsequent ist. Dann muss natürlich - wie eigentlich immer - die Situation und das Umfeld passen und wenn man sich wohlfühlt, ist das bestimmt auch kein Fehler, nicht? Wenn einer dann die Emotionen aber unglaublich peinlich sind, wird es schwer. Am besten wäre es wohl, wenn das eben erwähnte Gegenüber auch ein/zweimal nach hakt und auch nicht locker lässt. Es außerdem so meint. Nicht mit Geplänkel die Zeit vertreiben möchte und ein ernsthaftes Interesse an den Tag legen kann.
Ich will nicht über das Wetter und mein Gemüt reden. Ich will ausdrücken, was der Nieselregen, der auf die Blütenblätter prasselt, in mir hervorruft, wie sich die Welt plötzlich schneller dreht und mein Herz stehen bleibt, ich möchte mein ganzes Innenleben umkrempeln, gemeinsam mit dir aufräumen und alles auf den Tisch legen.
Ich will keinen Small Talk führen. Nie. Keine auswendig und schon hundertmal runtergebeteten Phrasen aufsagen. Ich geh ja auch nicht in die Kirche. Gespräche müssen auch etwas bedeuten, und selbst wenn es um die äußerlichen Gegebenheiten der Witterung geht, möchte ich übertreiben dürfen. Ich will Interesse und diese auch zeigen. Ich will auf ein das nächste wie geht es dir antworten, dass ich gerade in einer Sinneskrise stecke, dass ich gerade strahle. Ich möchte erzählen können, was los ist und auch das Gleiche von anderen erwarten. Ich möchte Gespräche, kein hin- und herschupfen von einem Ping-Pong-Ball. Ich will zuhören und gehört werden.

Also, wie geht es dir?

Samstag, 16. August 2014

Und heute bin ich stark

Stärke.
In letzter Zeit denke ich sehr viel an dieses Wort, diese Eigenschaft. Was macht dich aus? Wo bist du? Und vor allem, wieso fehlst du so Vielen, bist bei den meisten nicht anwesend?

Die Antworten, die ich mir selbst auf diese in den Kopfraum hingestellten Fragen gebe, variieren schrecklich. Meine Definitionen von Stärke können sich von dem einen Moment auf den anderen um hundertdreiundsiebzig Grad wandeln und sich ins Gegenteil umkehren. Das ist verfassungsabhängig. Manchmal komme ich mir selbst sogar unheimlich stark vor. Starke Persönlichkeit. Starkes Auftreten. Und dann auf einmal ein Blick, eine unacunachtsame Geste und meine eben dagewesene Kraft scheint abzubröckeln und ich bin einfach nicht imstande, die Brösel einzusammeln. Dann gibt es wiederum Zeiten, wo ich mich zurückdenke. Wie stark ich nicht gewesen bin, dass ich bei so vielen Versuchungen stand gehalten habe und mich nicht verlocken habe lassen, dass ich es geschafft habe, so viel Disziplin aufzubringen, von dem Leckerbissen, der sich doch so unmittelbar vor meiner Nase befindet, nicht mehr als einmal abzubeißen. Alles unter Kontrolle - ganz stark. Und dann fühle ich mich schlecht. Ich fühle mich schlecht, weil ich das Gefühl nicht loswerde, schwach zu sein, meine Stärke verloren zu haben. Ich kann nunmal bei diesen Dinkelflakes bloß eine Schüssel essen, und wenn ich noch dazu eine so gutschmeckende selbstgemachte Nuss-Reis-Nelken-supergeil-Milch im Kühlschrank stehen hab, kann mich so gut wie nichts stoppen. Ich verliere irgendwo die Kontrolle. Ich esse über den Hunger. Ich esse. Das hat sich in mein Gehirn eingebrannt - essen gleicht Schwäche. Wäre ich nur ein wenig stärker, könnte ich auf die unnötigen Nährstoffe verzichten. Wäre ich nur ein wenig stärker, könnte ich das Abendessen weglassen. Wäre ich nur ein wenig stärker, ich könnte...

Ja, was könnte ich?

Ich könnte krank sein und schwach und zerbrechlich. Ich könnte lasch sein und ohne Freude und unglaublich gestresst.
Ich könnte nicht unabhängig sein. Zur Unabhängigkeit gehört das dazu. Es gehört dazu, sich zu versorgen. Und ohne Essen geht das nicht.
Also denke ich mir dann, dass das eigentlich ein riesengroßer Schwachsinn ist, was sich da in meine grauen Zellen eingeschlichen hat. Dass diese Denkweise, die mich in so gewissen Situationen überkommt, unbegründet und einfach falsch ist.
Stark sein bedeutet, für das einzustehen, an was man glaubt. Stark sein heißt, auch einmal etwas zu tun, was einer nicht unbedingt gefällt, weil darauf ein mehrheitlicher Nutzen gezogen werden kann. Stark sein heißt, die Zähne zusammen zu beißen. Stark sein heißt aber auch, zu sagen, dass etwas zu viel ist oder wird, dass man mit der Gegebenheit einfach nicht klar kommt. Stark sein ist Gefühle äußern. Zu dem, was man empfindet, zu stehen. Stark sein ist viel mehr als eine bloße Verweigerung. Stark sein ist Revolution. Aber nicht gegen sich selbst. Denn stark sein bedeutet einfach, es zu schaffen, dass es einer gut geht. Dass man mit allem versorgt wird. Ich bin stark, wenn ich meinem Körper den notwendigen Treibstoff gebe und diesen ihm nicht verweigere, weil sich irgendwelche Emotionen eingeschlichen haben, weil ich einen Grant auf ihn habe.
Wie kann man stark sein, wenn eigentlich keine Energie da ist? Da ist ein logischer Fehler drinnen. Logik habe ich doch in Philosophie-Unterricht durchgenommen. Caesar ist ein Mensch. Alle Menschen haben irgendwas. Caesar hat irgendwas. Ganz einfach.
Es gibt so viele starke Menschen, so tolle starke Frauen*. Ich finde ja, dass Virginia Woolf dazu gehört, und Laverne Cox, und Malala Yousafzai, und meine Schwester, und Emma Goldmann, und Marie Curie. Sie waren oder sind stark. Auf ihre eigene Weise. Und manchmal war das in gewisser Hinsicht selbstzerstörerisch - Marie Curie probierte zum Beispiel ihre Experimente mit den Strahlen an sich selbst aus. Aber das hat doch einen Sinn gehabt. Sie haben es durchgezogen und etwas sinnvolles gemacht, machen etwas sinnvolles. Nicht essen hat leider nichts mit Sinn zu tun, vor allem, wenn man in der privilegierten Lage ist, sich gutes Essen, dass ethisch vertretbar angebaut, gemacht worden ist, leisten zu können. Es ist eher respektlos. Nicht sinnvoll. Nicht stark.

Stark ist, trotzdem aufzustehen, obwohl du nicht mehr möchtest und es immer wieder aufs Neue versuchst. Stark ist, von sich selbst zu sagen, man hat das gut gemacht, man kann das, man schaut schön aus. Stark ist zur Meinung zu stehen und diese auch zu leben. Stark ist, an andere zu denken. Stark ist, sich selbst aber nicht zu vergessen.

Stärke müssen wir noch lernen. Konsequent.
Ich möchte einmal, dass von mir gesagt werden kann, ich sei stark. Momentan bin ich mir da nicht sicher. Momentan ist noch so vieles so schwach.
Aber dann sehe ich, wie die Sonnenblumen jeden Morgen die Blätter auffalten und der Sonne nachschauen. Ist es ein guter Tag, ist es hell, dann machen sie das. Immer. Bis sie verblühen. Bis dahin lassen sie sich auch nicht von Regen entmutigen. Sonnenblumen sind standhaft. Nehmen wir uns doch ein Beispiel an ihnen!

Donnerstag, 14. August 2014

Bestätigung

Und schon wieder bin ich verleitet noch einen Post mit "Ich gehe die Straße entlang..." zu beginnen. Woher dieser Satz seine Attraktivität nimmt, ist mir eigentlich schon ein Rätsel, aber die Sache mit den Einleitungen habe ich bei den Erörterungen im Deutschunterricht schon immer vor mich hingeschoben und meistens erst ganz am Schluss geschrieben, nachdem ich zwischen meinen argumentativen Absätzen immer wieder gestockt habe und mir blitzartig eingefallen ist, dass der direkte Einstieg in einen Text von solchem Format bei meiner lieben Deutschlehrerin leider gar nicht gut ankommt. Deswegen bin ich immer froh, wenn ich wenigstens ein/zwei Satzfragmente habe, die es halbwegs schaffen, ein Szenensetting zu erschaffen und auf die Situation hinauslaufen, die ich mit meinen Worten beschreiben möchte.
Aber gerade heute habe ich mir ganz viele wundervolle Poetry Slams angesehen - Button Poetry und Poetry Slam Dornbirn sind wirklich gute Kanäle, um sich von Wörtern, die mehr können, als bloß zu sprechen, inspierieren zu lassen. Und natürlich, ich als alte Slamorganisatorin (haha) spornt das zu größeren literarischen Formulierungen an. Na gut, daran werde ich noch üben. Mein Tagebuch wirds mir danken. Allerdings ist das auch mit ein Grund dafür, dass ich heute nicht wieder mit diesem Anfang diesen Eintrag eröffnen möchte (und versuche, so gekonnt wie möglich, Wortwiederholungen zu umgehen).
Also schweife ich ab. Darin bin ich wohl sehr gut. Und dann werden die Einleitungen plötzlich mindestens genauso lang, wie der Hauptteil selbst...

 Gut. Es fällt mir doch irgendwo schwer, das so öffentlich zuzugeben. Aber springen wir mal über den sprichwörtlichen Schatten, nehmen uns ein Beispiel an KleinstadtCarries #ohnealleszummitnehmen.

Ich bin schrecklich angewiesen auf Bestätigung.

Es fällt mir zwar unglaublich schwer, ein Kompliment anzunehmen, aber trotzdem komme ich mir ohnehin schon desöfteren furchtbar vor, und habe dann das Gefühl, von anderen Menschen Meinungen hören zu müssen, die dieses Denken entkräften.
Gut schaust du heute aus. Deine Zeichnung ist wirklich schön geworden. Die Playlist ist super. Und ich strahle.
Irgendwie nehme ich es doch nicht ernst. Aber egal, mit netten Leuten umgebe ich mich so gerne, dass auch, wenn es nicht ganz so stimmt, was sie dann von sich geben, meine Mundwinkel nach oben hüpfen.
Und momentan kommt es mir doch häufig so vor, dass es so selten vorkommt, dass ein liebes Wort fällt. Kompliment! Ich werde wieder unsicher. Komme mir vielleicht nicht gerade fehl am Platz, aber doch auch nicht ganz richtig vor. Wieso muss das sein?
Und dann gehe ich die Straßen entlang. Vorzugsweise nachts. Richtung Fortgeh-Lokal. Und bin ich dann alleine, kann ich es schon hören. Das Gepfeife, das Nachgeschrien werden. Letztens wurde sogar meine Hand genommen. Einfach so. Von irgendeinem wildfremden Mann. Das ist vielleicht der einzige Nachteil an der großen Stadt. Dass doch so viele Menschen aufeinander treffen, was unglaublich toll sein kann, sich dann dennoch die Anzahl der Idioten in absoluten Zahlen erhöht. So viele verschiedene Leute treffen und prallen aufeinander. Verschiedene Schichten. Verschiedene Geschichten. Verschiedene Manieren. Verschiedene Auffassungsweisen. Und ich bin nun mal eindeutig erkennbar weiblich. Da ist das Sich-Selbst-Definieren schon an ein Ende gekommen.
Und so ist die meiste Bestätigung, die ich gerade erfahre, eben diese. Blöd angequatscht.
Darunter leidet mein Selbstvertrauen allerdings auch wieder.
Ich könnte jetzt natürlich wiederum ausholen und darüber schreiben, wie unglaublich unmöglich das nicht ist, sich so zu verhalten, wie sexistisch, objektivierend dieses Verhalten ist. Es ist ja schrecklich, kaum bist du das vermeintlich schwächere Geschlecht, kann man so mit dir umgehen. Meistens ohne Konsequenzen. Sonst wäre der Manager von American Apparel schon viel früher entlassen worden.
Aber ich möchte darauf eingehen, wie es mir dabei geht. Ganz selbstzentriert, wie immer halt.
Wenn eine Freundin von mir sagt, dass ich mich doch freuen soll, wenn mir nachgepfiffen, ich Kussmünder zugeworfen bekomme, verstehe ich die Welt nicht mehr. Wie kann ich mich darüber freuen? Wie kann ich froh sein, als eindeutiges Objekt wahrgenommen zu werden? Als ein Stück Fleisch. Ich habe dann immer das dringende Bedürfnis, meine Haare ganz kurz abzuschneiden, einfach aus der Hoffnung heraus, dass das alles dann aufhört. Ich fühle mich schlecht, weil ich ja auch einen kurzen Rock angezogen habe. Ich fühle mich weder schön noch begehrt noch was weiß ich was. Einfach schlecht. Weil es ja nichts mit mir zu tun hatte, dass ich auf diese Art angemacht worden bin. Es hat einzig und allein damit etwas zu tun, dass unsere Gesellschaft immer noch nicht gleichberechtigt ist, dass man so mit Frauen* umgehen kann. Ja, dass es schon ganz alltäglich geworden ist, wenn man an Baustellen vorbeigeht, dass man dann Blicke auf sich zieht, hat man etwas engeres an. Oder auch nicht. Bist du erkennbar weiblich, wirst du schon zum Objekt gemacht. Das erinnert mich dann immer an Nora oder ein Puppenheim beziehungsweise an Jelineks Fortsetzung Was geschah, als Nora ihren Mann verlassen hatte. Nora möchte vom Objekt zum Subjekt werden. Wer will das nicht?

Ich will Bestätigung. Ich will nicht nach Komplimenten fischen müssen, um sie dann doch nicht zu erhalten.
Aber das will ich nicht.

Aber eigentlich möchte ich gar nicht angewiesen sein, auf die Meinung anderer. Wieso muss ich mich immer dadurch definieren, was andere von mir denken, sagen? Schlussendlich muss bloß ich mit mir leben. Mit mir auskommen. Ich muss mir sagen können, wow, siehst du heute aber gut aus. Nicht schlecht. In den Spiegel schauen und zufrieden sein.
Und wieso ist mir das immer nur in der Theorie bewusst?
Hat das alles schon wieder etwas mit unserer Leistungsgesellschaft zu tun?

Also ich mache gerne Komplimente. Ich versuche auch immer gleich das zu sagen, was mir an anderen gefällt. Von der Jacke bis zur Persönlichkeit. Das wird manchmal schwierig, weil ich mich nicht traue. Vielleicht findet das mein Gegenüber ja auch komisch, wenn ich einfach so von mir gebe, dass ich dieses wirklich bemerkenswert finde.
Und da schließt sich der Kreis meines komischen Verhältnisses mit Bestätigung. Was ich auch immer heute ausdrücken wollte, weiß ich leider selbst nicht. Vielleicht sollte ich anfangen, ein bisschen geplanter an die Sache zu gehen und nicht einfach drauf los zu schreiben. Oder mir das alles nochmal durchlesen, überarbeiten. Tja. Vielleicht das nächste Mal.

Dienstag, 12. August 2014

Und deswegen bleib ich analog.

Irgendwie ein ironischer Titel für einen Eintrag eines digitalen Blogs, der auf einer Internettastatur verfasst wird. Aber egal, außer diese Posts schreibe ich nur Facebook-Nachrichten am Computer, um ehrlich zu sein.




So, aber jetzt muss ich doch ein wenig ausholen. Eigentlich wollte ich heute einen Beitrag über meine ideologische Einstellung zu Brot und das Backen desselben hochladen. Ja, eigentlich. Und jetzt sitze ich auf meiner improvisierten Couch, versuche die Werbepause auf FM4 auszublenden und schreibe einen emotionsgeladenen Eintrag. Irgendwie bin ich schon wütend. Naja.
Und jetzt endlich zum Ausholen: Seit gestern ist irgendwie alles um noch eine Nuance bunter. Ich bin am Montag ganz von alleine, ohne Wecker bitte, schon um halb elf aufgewacht und das ist wirklich eine Leistung für mich, die zum Einen eine pathologische Langschläferin ist und außerdem erst um halb sieben in der Früh das Buch - der dritte und letzte (!!!!) Teil der Hunger Games - aus der Hand gelegt und wirklich die Augen nach einer durchquatschten und -lachten und -lesenen Nacht zugemacht hat. Und dann kam ich aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Morgenroutine. Aber mit hundertmal mehr Elan. Ich hatte die Wohnung einmal wieder für mich - okay, ich liebe alle meine Mitbewohnenden unglaublich, aber die Küche, die die letzten Tage ein wenig okkupiert wurde, habe ich endlich mal wieder ohne Menschen vorgefunden und konnte mir ein wundervolles Frühstück zubereiten und habe wieder einmal Brot gebacken und dann hatte Zeit dafür, den gesamten Montags-Standard durchzulesen und habe mit der Familie telefoniert und die freie Küche einfach wirklich ausgenutzt. Und das alles zu Musik. Getanzt habe ich durchgehend. Bewegung. Lachen. Freude. Und heute ähnlich. Nur hat sich das Aufstehen auf neun verlegt; ich bin immer noch unheimlich erstaunt von mir und meinem Körper. Schlaf zahlt sich aus. Überall Musik. Der Radiosender hat einen guten Tag, so wie ich. Gespräche über Tiefgründiges, über Emotionales. Mundwinkel nach oben. Und meine sportlichen Aktivitäten, die eigentlich bloß Mittel zum Zweck waren, haben den Regen angezogen. Also bin ich lautstark singend noch vor zwölf Uhr durch Margareten am Skateboard gefahren und später die Seidengasse gefunden, dort muss ich nämlich abbiegen, um zur Thaliastraße zu fahren, möchte ich mich mit meinem Rad fortbewegen. Und ich hab irgendwoher noch mehr Energie.





Und ich bin froh darüber. Natürlich, dass es gerade so schön ist, ist schon von Grund auf toll. Für sich alleine gesehen. Aber es hilft auch. Es hilft einerseits, wenn nicht ganz positive Erinnerungen hervorgerufen werden, oder sich Unsicherheiten einschleichen. Und dann ist es eine große Stütze, wenn einfach blöde Dinge passieren.






So wie vorhin.

SD Karte defekt. Wollen Sie formatieren?

Alle Bilder, alle Schlagzeugnoten, alles, was ich auf dem Mobiltelefon gespeichert hatte, - und ich mit meiner Dummheit habe natürlich keine Backups angefertigt - ist jetzt weg. Ich weiß gar nicht, wie das geht, dass digitale Information gelöscht wird. Wäre auch sicher einmal spannend, zu sehen, wie das genau vor sich geht. Naja, ich habe ja das Facebook-App auf dem Handy, vielleicht schreib ich denen mal eine E-Mail, sie sollen mir meine Daten zukommen lassen.


Aber es ist nur halb so schlimm. Es sind, wie gesagt, Daten. Ein paar Bildpunkte und eigentlich nur Zeilen. Es gibt Wichtigeres. Trotzdem ist mir nur einmal wieder bewusst geworden, wie wundervoll es nicht ist, all die Fotos ausgedruckt zu haben, all das Geschriebene in einem Buch vorzufinden, die Termine analog im Kalender stehen haben.

Ich habe zwar einmal einen eBook-Reader geschenkt bekommen, aber den rühre ich so gut wie nie an. Ich hab auch einmal ein Buch - Benjamin Button - am Handy gelesen. Das war auch eine Erfahrung für sich. Aber ich komme nicht weg vom Umblättern. Ich brauche das Rascheln der Seiten und das Visuelle, dass mir signalisiert, wie weit ich schon mit dem Buch gekommen bin, wie viele Seiten noch übrig sind. Keine Prozentangaben. Ich möchte mich darauf verlassen können, dass ich es, sofern ich das Buch eingesteckt habe, auch immer lesen kann. Ohne auf die Akku-Anzeige starren zu müssen und hoffen, dass es die nächsten paar Stunden aushält. Ich weiß, Bücher brauchen viel Papier. Deswegen habe ich auch schon oft überlegt, nicht doch umzusteigen. Aber andererseits, ich muss mir aus dem Internet eine digitale Version runterladen - das verlangt Strom und die Internetserver senden auch nicht gerade wenig CO2 aus, ich muss das immer gleich aussehende, dünne, leichte Buch aufladen. Was ist also besser? Bibliotheken. Oder gebraucht kaufen. Irgendwie ein bisschen wie bei der Mode, nicht?






Und es ist doch so einfach, aus dem Internet Lieder runterzuladen. Man klickt sich durch YouTube und findet etwas, das dir gefällt und drückt bloß einen Button und schon hat man es. Okay, ganz analog - also bloß Vinyl und Kassetten - bin ich auch wieder nicht. Ich habe meine CD-Sammlung. Und die können zerkratzen und irgendwann nicht mehr abspielbar sein. Aber ich hab noch viel mehr als bloß die Daten. Ich habe ein angefertigtes Büchlein dazu und etwas in der Hand. Eine Geschichte, die die aneinandergereihten Lieder erzählen. Und einzelne CDs sollen kaputt gehen, ein paar bleiben doch trotzdem übrig. Was von der Musik, die ich auf meinem Handy verloren habe, übriggeblieben ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich gar nichts.
 




Ja, und dann das Schreiben. Das ist mir wichtig und irgendwo, ich weiß nicht, fühlt es sich nicht ganz so natürlich an, Tasten zu drücken und dann auf einem Bildschirm Zeichen aufscheinen zu sehen. Ich mag Handschrift. Ist persönlich. Ist leichter, weil es so direkt ist. Ich mag aber auch meine Brother-Schreibmaschine. Die ist zwar nicht ganz so direkt, aber man sieht jeden Vorgang, man kann alles nachvollziehen und das sofort. Und ich kann meine vollgeschriebenen Seiten aufbewahren, ich kann sie auch verlieren. Aber meine Tagebücher bleiben mir erhalten. Meine - naja, wie soll ich die Dinge, die ich mit der Schreibmaschine verzapfe, nennen? - Fragmente?, Gedichte?, Geschichten? sind noch immer nachzulesen, obwohl die SD-Karte kaputt ist.






Und dann gibt es doch noch die wundervolle Fotografie. Da hab ich digital begonnen und mich dann schlussendlich ziemlich distanziert davon. Analoges Fotografieren ist ein anderes Sehen. Du beobachtest und überlegst, nimmst ganz bewusst auf und drückst ab, im Hinterkopf die verbleibenden Fotos. Man kann nicht wahllos von allen Winkeln ein und dieselbe Sache ablichten. Gut, man kann schon, aber das wird dann teuer. Es muss nachgedacht werden. Es ist viel emotionaler. Für mich zumindest. Und die Tatsache, dass man dann wirklich Bilder in der Hand hält, spricht auch für sich. Wann lässt man denn schon die anderen Fotos auf Papier bringen? Vielleicht macht man das ja mit den Urlaubsfotos. Dann verschwimmt der Rest in den Untiefen der Festplatte. Bis diese auch irgendwann den Geist aufgibt. Und tausende Fotos sind weg. Schade. Aber hat man sich die auch wirklich wieder angesehen?






Im ersten Moment war ich schon sehr sauer. Traurig. Eingeschnappt. Aber zum Glück war das perfekte Selfie eh nicht bei den gelöschten Fotos. Und es ist nichts Schlimmeres passiert. Mein Handy ist noch ganz, es fehlt ihm bloß ein kleiner - 64 Gigabyte großer - Teil. Und ich schau auf mein E-Schlagzeug und bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit habe, trotz Wohnung auf Trommeln zu hauen, freue mich aber schon sehr auf ein normales. Es ist doch etwas anderes. Ich kann mir zwar von 50 Pattern das Bestpassendste aussuchen, aber das klingt dann auch immer gleich. Ohne Charakter eben. Jedes andere Schlagzeug hört sich anders an. Man kann nachstimmen. Den Klang verändern. Und das Wesentliche bleibt trotzdem.






Regnet es morgen wieder? Vielleicht fahre ich ja wieder die Castelligasse entlang.



Sonntag, 3. August 2014

die wunderbar große Hauptstadt und ganz viele Gesichter

Ich biege ab, überquere die Straße. Mein Radweg endet hier. Das Fahrrad stelle ich kurz ab und mache die große Flügeltür, die den Eingang in das eben erst renovierte Gebäude im fünften Wiener Gemeindebezirk bildet, auf. Lift. Ich freue mich auf die kühlen Temperaturen, die mir plötzlich entgegen kommen, kaum geht die Lifttür auf und manövriere meinen fahrbaren Untersatz aus der kleinen Kammer, die es irgendwie schafft, von Stockwerk zu Stockwerk bloß auf Knopfdruck zu flitzen. Jetzt wird es gleich noch kühler. Ein schöner Kontrast zu der schwülen Luft, die dich in den letzten Tagen draußen umfasst. Kellerabteil aufsperren, zusperren, soll ich mit dem Lift die paar Stöcke überwinden? Soll ich gehen? Ich entscheide mich heute einmal wieder für die unanstrengendere Variante und lasse mich kurz vor die Wohnungstür bringen, meistens gehe ich aber die Stufen und staune über die Schönheit dieses Hauses und die gußeisenen Geländer, an denen man Halt suchen kann, und über die Wasserhähnen, die vom Parterre übers Mezannin bis ins Dachgeschoß in jedem Stockwerk zu finden sind, freue ich mich, vor einigen Jahren mussten wohl die in diesem Haus lebenden Personen mehrmals täglich hier her kommen, heute sind sie großteils Zierde, funktionieren aber immer noch als schneller Durstlöscher.
Schlüssel rauskramen. Wo hab ich den noch schnell hingesteckt? Wenn mein Rucksack nicht so viele Fächer hätte... Ah, gefunden! Ich drehe ihn im Schluss um und bin positiv überrascht, als das schallende Gelächter meiner beiden Mitbewohnenden an meine Ohren dringt, dachte eigentlich, ich würde jetzt wieder alleine sein. Ich schnalle mein Skateboard von meinem Rucksack ab und stell es auf den Boden neben die Schuhe, die im Vorraum herumstehen - größtenteils sind es meine - und gehe ins Wohnzimmer.
Erst als ich mich auf einen Sessel fallen lasse, bemerke ich, wie mir alles wehtut. Meine rechte Hand und Seite lassen mich meinen gestrigen Sturz vom Board noch immer nicht vergessen, mein Rücken macht sich bemerkbar, Muskelkater über die Zähnen möcht ich gar nicht erst anfangen, zu jammern, und da sind noch weitere blaue Flecken auf meiner Haut, von denen ich die Ursache entweder nicht bemerkt oder schon wieder vergessen habe. Aber das macht jetzt nichts. Ich freue mich gerade darüber, dass mein Körper so standhaft ist, dass er sich zeigt, dass er da ist und dass ich so viel mache. Ich fahre mit dem Rad durch die Stadt und klingle Fußgänger und achtlose Touristinnen von meiner Fahrbahn, ich steige aufs Skateboard und probiere damit um eine 90 Grad Kurve zu fahren, ich treffe ganz viele liebe Leute. Und vor allem mache ich etwas und das auch noch mit jeder Menge Freude und ganz vielen Freundinnen. Heute bin ich vom spontanen Skaten am Donaukanal mit dem Rad über den Ring nach Hause gefahren und bin irgendwo abgebogen, weil mir die Gegend schon so vertraut ist. Da komm ich doch auch heim. Ich fahr durch Gassen und schlage andere Wege für den Heimweg ein und entdecke die Stadt. Sie gehört schließlich mir.
Unlängst hat meine liebe Mitbewohnerin den Kopf geschüttelt und gemeint, ich kenne so viele Leute. Und das freut mich so sehr. Es freut mich so sehr, dass ich Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung weiß und noch viel mehr, dass ich so viel Zeit mit eben diesen verbringen darf. Jeden Tag sehe ich eine andere Freundin. Jeden Tag wird etwas unternommen, und wenns die schon beinahe zum Jourfixe gewordene wöchentliche Kaffeeplauderei mit einem Lieblingsmensch bei mir in der Wohnung ist.
Ich gehe an so vielen Personen vorbei, von denen ich nichts weiß. Ich kann nur raten. Das mache ich gerne. Gerade vorgestern habe ich mit einer Freundin darüber geredet, wie viel Spaß wir daran haben, uns Geschichten zu manchen Menschen zu überlegen. Warum bist du heute hier? Wie gehts dir überhaupt? Am liebsten würd ich sie alle ansprechen. Aber nun ja, meine eigene Feigheit lässt mich ja nicht einmal bestimmte Nachrichten verfassen oder gewisse Bilder posten; da wird das wohl nichts mit dem Fremde-Leute-anquatschen. Wer weiß, vielleicht, wenn ich irgendwann dann doch eingesessene Wienerin geworden bin. Allerdings bleibt mir im Hinterkopf immer noch die wundervollen Personen, die mir helfen, meinen Alltag auszufüllen und die ihre Zeit für mich investieren. Ich kenne so wenige Leute, das stimmt. Im Wohnhaus, in dem auch rein zufällig unsere Tür zu finden ist, weiß ich von niemandem den Namen. Hallo sage ich trotzdem immer.
Aber jetzt ist einfach Sommer. Und ich habe noch wundervolle Tage vor mir, in dieser Hauptstadt. Und meine Haare kringeln sich ein und heute fühle ich mich wie eine Löwin. Mein Liedstrich sitzt hoffentlich und ich greife erneut zum Buch. Draußen donnert es gerade, wie ich höre und ich liege auf der Matratze am Boden. Das Bett wird schon noch irgendwann kommen. Später. Momentan genügt mir die kleine 90 Zentimeter breite Unterlage. Ich hab einen Spiegel in meinem Zimmer und ich bin mir meiner selbst bewusst. Ich beneide Bloggerinnen, die es nicht nur schaffen, mit ihren Worten in einer so phantastischen Art um sich zu werfen, sondern auch noch perfekte Fotos schießen und dann auch noch großartig aussehen. Aber ich kann vielleicht langsam akzeptieren, dass ich einfach nicht so ausschaue. Ich muss nicht schön sein, das definiert mich doch nicht, das sollte mich nicht definieren, rede ich mir zumindest ein.
Ich stopfe in meinen Rucksack alles mögliche an Zeug, das ich vielleicht brauchen könnte, wenn ich dann wieder rausgehe. Einen Regenschirm. Eine Weste. Trinkflasche, Geld, Labello und Schlüssel. Achja, etwas zum Schreiben sollte ich nicht vergessen.
Man weiß ja nie, was unterwegs so einfällt, was für Ideen andere so haben, wo die Inspiration herkommt.

Samstag, 2. August 2014

The Hunger Games und eine schöne Reflexion unserer Gesellschaft

Aus den Überbleibseln, den Resten von Nordamerika entsteht etwas Neues. Wie lange Amerika oder vielleicht auch die ganze Welt schon untergegangen ist, kommt nicht zur Sprache. Es muss wohl schon lange her sein, als das letzte Mal der Alltag der uns bekannten Bevölkerung dieses Erdteiles vonstatten gegangen ist. 13 Distrikte werden errichtet. Ein Kapitol. Panem. Irgendwann bricht ein großer Krieg - Bürgerkrieg? - aus, denn die verschiedenen Teile der neuen Welt müssen mit einer ungerechten und ungerechtfertigten Verteilung leben. Die einen in Reichtum, Glanz. Die anderen haben nichts und müssen sich täglich bemühen, auch genug auf den Esstisch zu bekommen. Der Aufstand wird aber niedergeschlagen und dem Kapitol ist es möglich, den Sieg davon zu tragen. Distrikt 13 wird dabei vollkommen zerstört und von ihm bleibt nichts übrig. Außer die Hunger Games.
Schätzungsweise spricht man im Deutschen von den Hunger Spielen, das Buch von Suzanne Collins wurde aber von mir in der Originalsprache verschlungen. Als ich es mir vor ein paar Tagen von meinem durchaus begeisterten und von der Qualität dieses Werkes überzeugten Mitbewohner ausgeborgt habe, war ich trotzdem noch sehr skeptisch. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das Internet voll war mit Lobeshymnen und Hochpreisungen. Ich weiß auch noch genau, wie es war, als der Film basierend auf eben diesem Buch rausgekommen ist. Alle waren begeistert und eigentlich habe ich mir auch vorgenommen, die Triologie zu lesen. Warum ich es nicht getan hab, liegt wohl daran, dass ich noch genug andere unaufgeschlagene, tolle Romane in meinem Bücherregal herumstehen hatte und auch wahrscheinlich ein bisschen zu faul war, zum kleinen Buchgeschäft in der Nähe zu fahren und es zu bestellen. Nachdem ich dann letzte Woche mein Buch von André Gide niedergelegt habe, dachte ich mir aber, jetzt ist es endlich an der Zeit, mich auch mit dieser Materie ein wenig zu befassen. Meine Skepsis war allerdings auch vorhanden, weil ich schon desöfteren mit sehr hohen Erwartungen Bücher gelesen habe, die laut Tumblr und co. einfach nur wundervoll sein sollten, mir im Endeffekt dann ein wenig zu oberflächenkratzend oder sonst was waren.
Es ist immer schwierig, wenn eine gewisse Vorfreude und Aufgeregtheit gegeben ist, da wird man schnell einmal enttäuscht.

Das war aber bei "The Hunger Games" beziehungsweise "Die Tribute von Panem", wie der Roman wohl auf Deutsch heißt, wirklich nicht der Fall.

Meiner Meinung nach hat die Autorin es wundervoll geschafft, Spannung aufzubauen und Gesellschaftskritik mit Problemen, mit denen man halt oftmals als Jugendliche kämpfen muss, zu verweben. Das Buch ist durchzogen von Katniss' Hass auf das regierende Regime, obwohl sie diesen nur selten direkt zum Ausdruck bringt. Es handelt aber auch von der wunderbaren Verwirrung verursacht durch Zuneigung und Liebe und Verlust und Bewunderung und Wettkampf.
Katniss opfert sich für ihre Schwester, und muss so schließlich selbst bei den Spielen mitmachen. Es ist nämlich so, dass ab deinem 12 Geburtstag dein Name in einen großen Topf geworfen wird, und je älter du wirst beziehungsweise je mehr du dazu verdienen möchtest, ein weiterer Zettel mit deinem Namen bedeutet nämlich eine weitere Ration Essen, was in bestimmten Distrikten eine Mangelware darstellt, desto häufiger findest du dich dort wieder. In diesem Jahr ist "Prim", Katniss' Schwester, zum ersten Mal, allerdings bloß einmal in dem Topf. Nichtsdestotrotz ruft Effie Trinkett ihren Namen voller Enthusiasmus in die Menge.
Es gibt pro Distrikt, von denen ja nur mehr 12 vorhanden sind, zwei Tribute. Einen männlichen und einen weiblichen. Insgesamt "spielen" dann 24 junge Menschen in einer Arena um ihr Leben. Sie müssen kämpfen und töten und jagen und Wasser finden. Nur eine Person überlebt.

Während Katniss' Alltag normalerweise daraus besteht, über den Zaun in den Wald zu schleichen und dort Essen für ihre Mutter und Schwester zu finden, wird sie nun mit einer komplett neuen Aufgabe konfrontiert...

Eine Passage im Buch hat mir besonders gefallen. In dieser macht sich Katniss nämlich Gedanken darüber, wie verdreht ihre Welt nicht ist. In ihrem Zuhause, Distrikt 12, werden Menschen, die mehr Rundungen, mehr auf den Rippen haben, bewundert. Wenn du selbst nur spärlich Essen zur Verfügung hast, ist dein Verhältnis zu runderen Körpern natürlich auch eine anderes. Und auch, wenn jemand es geschafft hat, ein gewisses Alter zu erreichen, hat man Ehrfurcht vor dir. Währenddessen wird im Kapitol größter Wert darauf gelegt, dass deine Fältchen weggelasert und deine Fettpölsterchen wegoperiert werden. Du möglichst jung und möglichst dünn erscheinst. Irgendwo spiegelt das doch auch unsere Realität wieder. Es gibt einfach diese eine Welt, die besessen vom Dünnsein, von Schönheit, von Jugend ist - das wird als erzielenswertes Ideal betrachtet. Aber so viele Menschen sterben vor Hunger. Da gibt es Leute, die jeden Tag zittern, weil es ihnen vielleicht nicht möglich war, genügend zu essen aufzutreiben und ihre ganze Energie darauf verwenden, vielleicht doch noch ein bisschen mehr zu ergattern. In der sogenannten "developed world" wird auch viel Augenmerk auf die Nahrung gelegt, aber aus einer ganz anderen Perspektive.
Suzanne Collins schafft es, mit subtiler Sprache und kurzen Sätzen, diese so schrecklich aktuelle Thematik in einer völlig neu konstruierten Welt einzubetten. Sie beschreibt die Menschen aus dem Kapitol mit so viel Klugheit und irgendwo auch so viel Witz, dass man diese bunten Gestalten direkt vor den Augen hat und irgendwo ihre Motive nachvollziehen kann, sie allerdings doch ziemlich abscheulich finden muss.

Außerdem spiegeln die Spiele an sich auch sehr schön, finde ich, unser Wettkampfbewusstsein wieder. Bei allem möchte man doch am besten erscheinen, die schönste Figur machen und die anderen Mitmenschen übertrumpfen. Hier wird dieses allerdings überzeichnet und endet für die meisten Beteiligten mit dem Tod. 

Und hier kommt der Twist.

Das Buch wurde verfilmt.
Als dieser erschien, hab ich ihn mir sogar angeschaut, nur um festzustellen, dass ich ihn wirklich nicht so großartig finde. Da hüpfen zwar ein paar Charaktere in einem Wald herum und bringen sich gegenseitig um, aber das Tiefgründige, das Innenleben, das so hervorragend in der geschriebenen Version vorhanden ist, fehlte. Es war wohl spannend und ich habe natürlich auch ein wenig mitgefiebert, mir die Tränen beim (Achtung: Spoiler!) Tod von Rue verkneifen müssen und Sympathien für Peeta entwickelt. Aber das wars auch schon wieder. Der innere Zwist von Katniss rund um ihre Beziehung zu eben diesem musste verkürzt werden und die Gesellschaftskritik blieb größtenteils außen vor. Irgendwo ist das aber auch selbstverständlich für einen Film, der nicht länger als zwei Stunden dauern sollte. Mit Worten ist es irgendwo doch auch leichter, etwas rüberzubringen, das sehr stark mit Innenwelt und Gefühlen zu tun hat, als mit Bildern. Außerdem hat Hollywood ja auch seinen Teil dazu beigetragen. Es war wohl verständlich, dass Katniss zuhause Hunger leiden musste, aber über dieses große Angebot von Essen, das ihr vorgesetzt worden ist, während sie ihre kurze Zeit im Kapitol fristen musste, freute sie sich nicht sonderbar merklich. Im Buch wurde immer mal wieder darauf eingegangen, dass sie ein paar Kilos zunehmen könne und das Nahrungsaufgebot gut nützen sollte. Sie hat dann auch immer besonders viel gegessen und als sie dann aus der Arena zurückgekehrt ist, war ihr die Tatsache, dass sie schon wieder so sehr abgenommen hat, furchtbar unangenehm. Im Film, so weit ich mich erinnern kann, waren zwar einige Szenen mit Mahlzeiten verbunden, das Essen blieb aber größtenteils unangerührt. Und eben diese Feststellung von Katniss, dass dort die Leute hungern und hier die Menschheit genau das verhungerte Schönheitsideal anstreben, blieb aus. Hollywood behält halt den eben bei uns gängige Maßstab bei. Dünn. Wenig essen. Vor allem für Mädchen*Frauen.

Vor ein paar Minuten, kurz bevor ich diesen Eintrag angefangen habe, zu schreiben, habe ich das erste Buch der Reihe zugeklappt. Es hat mich gefesselt und in eine andere Welt, die eigentlich gar nicht mal so anders ist als unsere, gezogen. Ich kann sehr gut verstehen, warum, zumindest das erste Buch, ein Bestseller geworden ist - denn selbst wenn du dich nicht sonderlich für Gesellschaftskritik interessierst, spannend genauso wie packend ist es allemal. Du fieberst mit, Wut lässt sich spüren, Angst und Hoffnung. Ganz viele Emotionen werden übertragen und die Perspektive von der Protagonistin wurde wunderbar gewählt und ausgeführt. Es liest sich leicht von der Hand und obwohl die Worte wunderbar verwendet werden, ist es kein schwerer Brocken, nicht einmal auf Englisch.
Die Autorin muss sich einiges über- und zurechtgelegt haben für diesen Roman, für diese Geschichte. So gekonnt wird Alltägliches mit Außergewöhnlichem verbunden, so geschickt fließen Standpunkte, Vorwürfe und Thematisierungen in die Handlung ein. Viele werden wahrscheinlich auch nur unterbewusst wahrgenommen und gar nicht so direkt realisiert.
Außerdem hat Collins eine wundervoll starke Hauptfigur geschaffen, die so gar nicht unserer Norm "Mädchen" entspricht. Sie ist eindeutig in sich gekehrt, macht sich aber trotzdem unglaublich viele Gedanken und ist bewusst gefühlsunbetont. Es handelt sich einmal mal nicht um einen starken und klugen Mann, sondern um Katniss, the girl who was on fire.