Sonntag, 30. November 2014

Wenn Tage immer kürzer werden, und die Momente stets länger

Und ich sitze da. Auf der roten Coach, die mit einem dunkelblauen Tuch verdeckt ist. Die Überdecke ich halb herunter gerutscht und entblößt die Farbe, die sich unter ihr versteckt. Ich sitze auch eigentlich nicht, sondern liege viel mehr. Ringe nach Luft und meine Wangenknochen beginnen langsam zu schmerzen. Zu viel lachen. Zu viel Freude. Gegenüber, auf der olivgrünen Coach, die ebenso halb eingehüllt ist in eine Decke von der gleichen Farbe, befindet sich meine Mitbewohnerin in einer ähnlichen Position. So verweilen wir ein paar Momente. Links neben mir, an der Wand, hängt die große Weltkarte, von meiner anderen Mitbewohnerin, auf der es so aussieht, als wäre Russland fast dreimal so groß, wie ganz Europa zusammen gesehen. Australien ist in der Mitte, in der unteren Hälfte. So gern würd ich überall Pinnnadeln hineinstecken, als Zeichen, dass ich dort schon war. Ein paar könnte ich jetzt schon vergeben. Aber an wie viel erinnert man sich denn noch von Reisen, die in der frühen Kindheit begangen worden sind?

An der Karte selbst ist eine Uhr angebracht. Vorher war es noch halb acht. Oder vielleicht auch erst sieben. So genau hab ich auch wieder nicht geschaut. Den Tag vorher hab ich an der Uni verbracht, mich mit Menschen getroffen, war Rad fahren und habe gelesen, gekocht und jede Menge Zeug angestellt.


Ich schaue erneut rauf. Der große Zeiger zeigt auf die sieben. Der kleine beinahe auf die zwölf. Wo ist der Abend hin?

Und was war heute?
Was gestern?


Ich wache auf, wenn ich es denn schaffe, vor zehn aus dem Bett zu kriechen, und die Straßen sind noch beleuchtet, künstlich. Der Himmel bleibt grau. Erst langsam trauen sich die ersten hellen Flecken heraus. Aber das dauert. Man schließt nur kurz die Augen und es ist Tag. Und beim nächsten Zwinkern hat die Nacht begonnen. Das geht so schnell. Wenn man nicht aufpasst, läuft die Zeit davon. Mein Körper versteht die Welt auch nicht mehr. Am besten um halb acht schlafen gehen und bis um halb elf durchschlafen. Ich brauch die Sonne und in der Nacht kann ich nicht auf sein. Meint er. Aber so ist es nun mal nicht. Der Tag beginnt doch trotzdem um dieselbe Uhrzeit, wie noch vor zwei Wochen auch. Ich hab doch trotzdem so viel zum Erleben.



Ich zieh mich an. Setz mich vor den Schminktisch, male mir ein Gesicht auf. Schaue auf meinen Handykalender, der mich unglaublich nervt. Mache war für die Uni. Spiele Harfe. Habe Bandprobe. Gehe spazieren und schaukeln. Treffe mich zum Pizzabacken. Schlage eine Zeitschrift auf. Klimpere auf den Tasten der Schreibmaschine herum. Begebe mich auf die Uni. Helfe meiner Nachhilfeschülerin beim Zusammenfassen von Texten über Persönlichkeitstypen von Kindern. Sitze mit meinen Lieben da und tratsche. Schaue auf mein Handy. Koche. Esse. Fülle meine Trinkflasche nach. Und das alles an einem Tag. Trotzdem kommt alles zu kurz. Ich hab das Gefühl, für nichts Zeit zu haben. So Vieles möchte ich doch noch tun. Ins Museum gehen, viel mehr malen und zeichnen, mir Musik anhören, in Ruhe, auf dem Boden sitzen und nachdenken, mehr Zeit mit mehr Lieblingsmenschen verbringen, Poetry Slams im Internet anhören. Texte schreiben. Viel länger Schlagzeug spielen. Viel mehr Sport machen. Viel mehr mit Konsum beschäftigen. Viel mehr lesen. Ich möchte The Postal Service hören und einfach nur nichts tun, mich von den Klängen auffangen und mitreißen lassen. Ich möchte telefonieren und meinen Neffen besuchen. Ich möchte den Sonnenuntergang fotografieren. Aber Schlaf muss auch irgendwann mal sein. Der kommt doch eh am Kürzesten von allen.
Jetzt setzen wir uns wieder auf. Nächste Lachwelle. Das muss kurz überbrückt werden. Die Geschichte, die sie mir vorhin erzählt hat, war einfach zu komisch. Und jetzt reden wir wieder. Über irgendwas, was gestern war. Meine Mitbewohnerin ist ganz verwirrt und kennt sich nicht aus. Obwohl ich ihr doch erst vor einigen Stunden die Haare geschnitten habe. War das wirklich erst gestern? Kommt mir schon so lange her vor.

Ja.

Mir auch.


Es ist dauernd dunkel draußen. Und die Tage werden kürzer. Die Taten aber nicht. So viel ist zu tun, überall gibt es ein kulturelles Angebot, das ausgekostet gehört. Und Techno-Partys und Bücher. Und lustige Dinge, die man mit dem Handy anstellen kann, wie Selfies auf Instagram hochladen und mit tollen Menschen kommunizieren. Und schon ist wieder eine Stunde um. Der Tag ist voll gefüllt mit Momenten, die es eigentlich alle Wert sind, behalten zu werden, konserviert. Der Tag ist voll von verschiedenen Schauplätzen. Der Tag ist voll von zu wenig Zeit und zu viel zu tun. Ich verliere den Überblick; weiß schon gar nicht mehr, wann ich diese Dinge gesagt, was ich vorgestern angezogen habe, oder wie lange die letzte Begegnung jetzt wirklich schon her ist. Mein Zeitgefühl war immer schon nicht das Beste. Aber sich in ganzen Tagen zu vertun ist mir im Waldviertel selten passiert.

Und obwohl so viel gemacht wird, am Abend möchte ich immer noch mehr tun. Einen Blogeintrag verfassen. Hula-Hoop üben. Lesen. Das Abschminken wird hinausgezögert. Das Zähneputzen auch. Und schon ist es 22:53 Uhr und ich sitze immer noch im Zimmer, die Lichterkette ist angeschalten, draußen fährt ein Moped vorbei. Heute habe ich endlich mal wieder aufgeräumt, gestaubsaugt, die Laken gewechselt. Heute habe ich mit einer meiner Lieblingsfreundinnnen ganz viel getratscht und Kaffee getrunken. Habe ein Beispiel für Physik gerechnet. Heute war ich schon im Cafe Jellinek und hab mir meinen Adventkalender von der Mutter abgeholt. Heute hab ich Bauchmuskelübungen gemacht, mich bei einer Seite beworben. Lange geschlafen. Bis um zehn. Und bis um halb elf im Bett gelegen. Ich war auch schon draußen. Und duschen. Und hab noch so viel vor. War das wirklich erst heute, dass ich im Wohnzimmer gesessen habe und über meine Sojamilch mit Grüntee drinnen geredet habe? Dass ich F. von meiner neuesten Band-Entdeckung erzählt habe? Und wie lange ist es schon her, dass ich das Prüfungsergebnis erfahren habe? War das auch erst gestern? Komisch. Die Tage vergehen so schnell irgendwo. Und irgendwo auch gar nicht. Irgendwo passiert so viel. Wien bietet an jeder Ecke eine neue Überraschung. Ladet zum Träumen ein. Verleitet zu Taten.



Zeit ist doch relativ. Und bewegte Uhren laufen langsamer. Deswegen vielleicht. Weil so viel passiert. Deswegen geht die Zeit nicht so schnell verloren. Relativitätstheorie. Noch was vom Schulwissen übrig. Und wenn mir jetzt die Augen zufallen, weiß ich, dass es wohl mehr Sinn machen würde, mich jetzt abschminken zu gehen und unter die Decken zu schlüpfen. Morgen früher aufstehen und mehr tun.

Aber nein! Ich würde doch so gerne noch ein bisschen schreiben mit C. Noch ein bisschen Musik hören. Und auch noch ein bisschen rechnen. Mich auf die Universität vorbereiten. Mir einen Plan für morgen zurecht legen. Listen schreiben. Eine Seite meines Inspirationsbuches gestalten. Und ganz viel nachdenken, reflektieren. Runterkommen. Und nicht in Melancholie versinken. Das ist nämlich doch sehr gefährlich, so abends.


Und morgen werd ich zurück denken.

Was ist jetzt alles passiert?

Was das wirklich alles heute?


Dienstag, 25. November 2014

Jetzt ist es halb elf und ich esse Müsli - eine Retrospektive

Am Sonntag ist es mir erst bewusst geworden.

Jetzt ist es ziemlich genau ein Jahr her. Vielleicht ein bisschen länger. Aber vor einem zumindest war mein Maturaball. Der hatte dann zur Folge, dass einfach viele, viele Bilder auf diversen social media Plattformen kursiert sind. Von mir im Ballkleid. Von mir während der Mitternachtseinlage. Von mir nur mit Knochen. Spätestens dann haben es alles gewusst. Und mir selbst war es auch schon bewusst.


Wann genau ich mit dieser Krankheit begonnen habe, ist schwer einzuschätzen.

Wars damals mit dreizehn, mit fünfzehn, mit sechzehn, oder doch erst im Winter, als ich dann den endgültigen Beschluss gefasst habe, weniger zu werden? Aber das ist jetzt egal. Passiert ist passiert. Auch eine Erfahrung mehr. Hat mir genauso einiges gebracht, mich stärker gemacht, so kitschig das jetzt auch klingen mag, mich weiterentwickeln lassen, mich zu mich gemacht. Und es macht mich immer noch in gewisser Weise aus. Ist ein Teil von mir, und wer weiß, vielleicht bleibt es das ja auch noch länger. Jeder Tag ist irgendwo eine Herausforderung, die beim Frühstück beginnt und beim Abendessen aufhört. Jeder Blick in den Spiegel sagt etwas anderes. Der Blick in den Kasten dauert zumindest noch immer schrecklich lang. Was kann ich anziehen, was meine Oberschenkel kaschiert? In was sieht man die Tonnen von Essen, die ich gestern in mich reingeschoben habe, am wenigsten? Aber immer noch kein Vergleich zu früher.



Nein.

Es fällt mir schwer, die Bilder von früher anzusehen. Es fällt mir schwer, wegzusehen.

Aber was mir immer wieder bewusst wird, wenn ich doch einmal über sie stolpere, ist, dass sich so Vieles verändert hat. Alles neu. Alles anders. Wieder beim Alten. Man wandelt sich doch immer, tauscht Facetten aus, entdeckt sich neu, findet einiges raus und versteht. Das machen wir alle. Bei mir konnte man es im vergangenen Jahr nur besonders gut sehen. Es war schließlich sichtbar, an meinem Aussehen. An meiner Figur, wie viele Haare an meinem Kopf wachsen. Aber natürlich auch an meiner Art. Und meinem Innenleben. Meiner Gelassenheit. Meiner Umgänglichkeit. An mir eben.
Alles hat sich verändert. Ich erkenne mich gar nicht mehr wieder, wenn ich durch alte Tagebucheinträge blättere und versuche, meine Schrift zu entziffern.
Jetzt bin ich so. Und auch, wenn ich eigentlich jeden Tag ein klein bisschen anders bin. Weil jeder Tag ist eben anders. Und es gibt schlechte und gute Zeiten. Aber selbst, wenn es Momente, die zu Stunden ausarten, gibt, wie Sonntag, an dem ich einfach nichts geschmacksintensiveres als Kräutertee zu mir nehmen konnte, folgt ein Montag, der voll war. An dem ich aufholen konnte.




Früher, da konnte man meine Kopfhaut sehen. Da konnte ich nicht länger als zehn Minuten stehen. Da wollte ich mich selbst nicht angreifen. Da hatte man das Gefühl, bei jedem Blick könnte ich zerbrechen. Da konnte ich nicht reden. Da wollte ich nur schlafen. Früher, da wars das mit der Energie. Da haben mir meine Kleider nicht gepasst. Da war jeder Gedanke gekoppelt. Angekettet an Essen und Mahlzeiten und Oberflächlichkeiten. Da hab ich jeden Tag geweint. Da war ich einsam. Da wusste ich nicht, was ich tun sollte. Da musste ich immer etwas tun. Da konnte ich nicht lieb zu meinen Liebsten sein. Da fehlte mir die Kraft. Da schlug mein Herz zu langsam. Da war mir öffentliches Nahrungsaufnehmen unangenehm. Da war mir sprechen unangenehm. Da musste mein Maturaballkleid am Tag vor meinem Maturaball noch einmal enger genäht werden. Da zählte ich Kalorien. Da war jeder Tag eine Tortur. Da war nicht einmal mein Bett weich für mich. Da wollte ich niemanden sehen. Da war alles Zeitverschwendung und alles ungesund. Da verbrachte ich meine Zeit noch im Waldviertel. Da bin ich noch in die Schule gegangen. Früher, da war mein Körper am kaputt gehen. Früher, da wollte ich nichts. War mit nichts zufrieden. Ich wollte ganz viel anstellen, konnte aber nicht. Da standen überall die Knochen raus. Da war mein Lachen aufgesetzt.

Und jetzt. Jetzt ist alles anders.


Das meiste zumindest.

Jetzt sitze ich stundenlang mit meiner Mitbewohnerin auf der Coach und lache über Geschichten über ihre Freundin. Da treffe ich mich mit Menschen zum Kochen. Ich hab die Haare abgeschnitten, aber endlich sind wieder mehr als nur drei Strähnen von ihnen da. Ich kann ohne Probleme Bilder von mir posten, auf denen ich esse. Ich kaufe ein für mich. Ich stibitze mir einen Apfel. Ich wasche Wäsche. Ich studiere. Ich studiere Biotechnologie und hab wahrscheinlich die allererste Prüfung meines Lebens nicht geschafft. Ich bin gelassen. Trage Blumen in den Haaren. Tanze durch die Nacht. Bin immer noch verwirrt. Lasse Müslischüsseln fallen. Lache in einem Durch. Schaue immer noch auf meine Ernährung. Spiele Harfe. Und in einer Band. Habe ein Hochbett gebaut und verwende ganz viel Wasserfarbe. Stehe früh auf. Lerne Kinematik. Treffe mich mit Freundinnen und gehe auf alle zu. Spreche alle an. War in der Zotterfabrik. Mache Zumba. Radle wann immer es möglich ist. Jetzt tun mir meine Knie weh und mein Herz geht wieder normal. Ich habe schlechte Tage. Ich habe gute Tage. Ich habe immer noch ein gestörtes Essverhältnis. Lebe in einer Großstadt. Habe auf meinen Spiegel geschrieben und hänge Fotos, die ich geschossen habe, in der Wohnung auf. Erzähle allen von meiner Milchmaschine und meinem fairen Handy. Rede ganz viel. Liebe Genetik. Bin nicht immer gut drauf. Jetzt kann ich mir auch mitten in der Nacht etwas zum Essen machen. Und trotzdem bleibt das schlechte Gewissen. Aber es gibt eben immer schlechte Tage, solange sie nicht zu schlechten Zeiten ausarten. Lasse Schlüsseln nachmachen. Zeichne Bilder. Klopfe auf meine Schreibmaschine. Koche mir. Kaufe mir Nudeln beim Asia-Standl um die Ecke. Mache deprimierte Einkäufe im BIPA und DM. Tu Frust-Spenden. Informiere mich. Lese Blogs. Lese Bücher. Lese Missy-Magazine. Checke viel zu selten meine E-Mails. Schreibe viel zu selten Einträge. Habe mir meine Kameras an die Wand an Nägel gehängt. Jetzt bin ich so viel mehr, als ich mir überlegen kann. Jetzt schneide ich allen die Haare. Und mir, besonders, wenn ich nicht besonders drauf bin. Ich sitze zwischen Marina und Alex in den Physik-Übungen. In Mathe neben dem anderen Alex, der sich morgen bei mir eingeladen hat. Hab ein volles Programm. Möchte viel mehr tanzen. Viel mehr schlafen. Viel mehr lernen. Möchte alles viel mehr tun. Ich arbeite an mir, reflektiere und versuche, das beste zu tun, das beste aus allem zu machen. Ich geh den längeren Weg. Ich trage weites Gewand. Manchmal auch nicht. Manchmal schleicht sich auch die ein oder andere enge Hose ein. Ich wasche meine Haare und bin manchmal sogar zufrieden mit der getrockneten Version von ihnen. Jetzt geht es mir gut. Meistens. Jetzt bin ich glücklich. Jetzt habe ich Anschluss, kenne Menschen, die genauso ticken wie ich, fühle mich in meiner Umgebung wohl. Umarme alle. Ich mach mir Jausen. Schreibe ganz viele SMS, vor allem mit meiner Mutter. Führe Listen. Komme mit meinen Listen nicht nach. Bald ist Weihnachten! Besuche meine Schwester in der Berufsschule. Schwärme vor mich hin. Genieße es. Lass alles auf mich zukommen. Schlafe auch manchmal aus. Manchmal kann ich auch gar nicht schlafen. Ich trinke viel zu viel Kaffee und bin immer noch unzufrieden mit mir. Ich versuche, das Volle aus dem Tag zu schöpfen. Möchte mit Wörtern um mich schmeißen. Möchte so viel wie möglich erleben. Ich möchte helfen. Gebe ehrenamtlich Nachhilfe für einen Flüchtling. Putze die Küche. Fange ganz schnell zum Weinen an. Jetzt wohne ich mit drei anderen in einer Wohnung. Teile die Gasrechnung auf. Verwalte das Geld. Jetzt fehlt mir nicht viel. Außer vielleicht das Geld. Aber wer braucht schon Geld, Geldhaben ist doch uncool. Ich höre Musik. Immer. In dieser Zeit, bei dem Wetter am besten The Postal Service, Mixe von Angus&Julias Stone und The Beatles. Besser geht es gar nicht.

















Ich backe Kuchen mit einem meiner Lieblingsmenschen und esse ihn dann auch. Mache mir ganz viele Sachen aus. Nehme mir Dinge vor. Ich weiß, ich kann nicht alles schaffen. Ich wasche meine Wäsche. Ich bin viel spontaner geworden. Muss nicht alles vorher planen, nicht jede Mahlzeit einkalkulieren. Versuche, mehr Kreativität in den Tag zu bringen. Hab überall ein Notizbuch dabei. Krieg Herzklopfen. Bin nervös. Trau mich nicht. Gehe auf Konzerte. Verschlafe die Uni. Verschlafe ganze Tage. Lade Leute ein zu mir. Ich verstecke mich nicht. Zumindest nicht mehr so sehr.

Es geht vieles weiter.

Man glaubt es selbst nur oft nicht.
Wenn man nicht den extremen Vergleich hat, hat man oft das Gefühl, man steht im Stillstand. Wenn man nicht weiter zurück denkt und sich überlegt, wie viel man geleistet hat. Wie sehr man über sich selbst hinausgewachsen ist. Und am besagten Sonntag habe ich von meiner Schwester erzählt, die, nebenbei gesagt, eine unglaubliche Person ist. Sie hat mir mein Ballkleid, das weiße, bodenlange, genäht, das wir nochmal umnähen müssen, für das die Nacht dann durchgemacht worden ist, weil es mir viel zu locker geworden ist. Zwei meiner liebsten Studienkolleg*innen hab ich davon erzählt. Eben auch von dem Kleid. Dann wurden Fotos verlangt. Und auf den Fotos erkennt man es einfach sofort. Da wurde es mir einfach wirklich klar. Es geht weiter. Immer. Auch, wenn man das manchmal nicht glauben mag. Nicht für möglich hält. Und obwohl ich ein backiges Gesicht habe, keinen komplett flachen Bauch, Oberschenkel, die sich nun mal oben berühren, ich möchte nicht mehr zurück. Ich möchte weiter springen können. Wegen meiner Energie bekannt sein. Das macht mich zu einem gewissen Maße aus, dass ich motiviert bin, dass ich fünf Stunden am Stück auf der Tanzfläche herum hüpfen kann. Und das ohne Speed. Ohne Drogen. In genau solchen Momenten führe ich mir das immer wieder gerne vor Augen. Wie lasch ich in meinem Bett gelegen bin. Jeden Tag um fünf auf. Bauchübungen. Ich kann nicht mehr! Weiter. Wie mich das Wochenende immer geschafft hat. Ich kann nicht aufstehen. Aber sogar das Bett war unbequem. Alles hat weh getan. Nichts war mit Freude behaftet gewesen. So, rückblickend betrachtet, war für mich alles mit einem grauen Schleier unterlegt gewesen.

Jetzt ist es grau draußen. Nicht mehr in mir drinnen. Und meine Sonne mach ich mir mit der Sonnenblume, die ich mir immer mal wieder in die Haare stecke. Dann schalt ich mir Musik ein. Neues entdecken. Und los gehts. Ein neuer Tag, was kann ich heute alles schaffen?

Sonntag, 23. November 2014

Über faule Tage

Was hast du heute so gemacht?
Geatmet.

Manchmal ist das das einzigste, das Großartigste, was man angestellt hat. Der Tag plätschert dahin, man übersieht die Zeit, verbringt viel zu viele Stunden im Bett und lässt die Gedanken schweifen. Die Seele baumeln. Sonntage kann man für solche Tage sehr gut missbrauchen. Die Woche war anstrengend genug, man hat drei Bilder gemalt, viel zu viel Kaffee getrunken und eine enorme Menge erlebt. Leute. Lernen. Draußen. Dunkel. Musik. Müsli. Vielleicht ruiniert man auch ein, zwei Schüsseln und ladet Menschen zu sich ein. Tanzt durch die Nächte, steht zu früh auf. Schreibt Prüfungen, fährt mit dem Rad. Denkt nach. Und wenn das alles zusammengekommen ist, dann braucht man kurz Zeit. Stehen bleiben. Anschauen. Und wenn das nur ein paar Stunden sind. Meistens gibt der Sonntag eh nicht so viel mehr her, man muss doch bis um drei ausschlafen! Weil Schlaf muss ebenso nachgeholt werden.
Und dann dreht man sich auf die andere Seite und vergisst sogar, sich ein Gesicht aufzumalen. Wieso auch? Die Mitbewohner*innen kennen dich doch schon, da kann man sowieso nichts mehr vertuschen. Einmal ein Tag, an dem nicht in Chemieskripten geblättert wird. Aber halt! Ich darf gar nicht reden, heute habe ich die Mathematikübungen durchgerechnet. Aber immerhin hatte das alles nichts mit Kristallwasser oder Ionen zu tun. Morgen kommt das wieder dran. Und Physik. Heute bin ich an erster Stelle gestanden. Und Tee. Jede Menge Tee.
Sogar kurz draußen war ich. Bin zu einer Studikollegin gefahren, nur um dort weiter heißes Wasser mit Kräutern drin zu trinken und Haare zu schneiden. Auf der roten Coach sitzen. Über Belangloses und nicht so Belangloses reden. So lob ichs mir! Die Melancholie des Sonntages austreiben durch die Anwesenheit lieber Menschen. Dafür bin ich dann nämlich doch anfällig, wenn es Faultage gibt, dass ich dann versumpere. Mit ganz viel Selbstmitleid. Und da hilft entweder nur schlafen gehen oder andere Menschen treffen. Wobei das zweitere natürlich die feinere Option darstellt.
Und ich glaube, heute ging es ganz vielen so. Dass sie stolz sein können auf sich, weil sie geatmet haben. Und das darf man. Selbst, wenn sonst nichts angefasst worden ist. Selbst, wenn wieder in alte Muster verfallen worden ist. Selbst dann darf man stolz sein auf sich. Immerhin hab ich geatmet. Immerhin hab ich mir Gesellschaft gesucht. Und faulsein tut dem Körper gut. Manchmal zumindest. Wenn man sich entspannt und zur Ruhe kommt. Wenn man einmal den Tag liegen und die Dinge auf sich zukommen lässt. Und prinzipiell ganz viel am Rücken liegt. Auch wenn die Blumen gegossen werden hätten sollen. Auch wenn mehr fertig gemacht werden hätte sollen. Auch wenn man nicht gerade produktiv war. Heute war ein fauler Tag.

Entschleunigt trifft es auch ganz gut.
Es ist immer mal wieder schön, sich selbst endlich nicht so viel Druck zu machen. Einmal keinen Stress haben. Diesen in ein hinteres Eck verdrängen. Und selbst wenn die Prüfung gestern nicht positiv ausgefallen ist, heute bleib ich dabei.
Aber ich darf nicht zu viel reden. Ich schwafel vom den eigenen Körper gut tun und bring es trotzdem nicht ganz zustande. Allerdings ein wenig. Irgendwann geht das auch ganz. Heute halt nicht. Heute konnte ich nicht. Dafür gab es ja Tee. Mit Kakoaschalen. Macht doch glücklich. Und glücklich bin ich doch sehr. Gestern wurde gefeiert. Heute wurde ausgeruht. Morgen wird gelernt. So hab ich wirklich meine Wochenenden, wie man sie sich vorstellt. Es fehlt bloß noch der dampfende Apfelkuchen und schon wär es bilderbuchreif. Oder auch nicht. Die Bierdosen, die ich heute am Nachmittag - meiner Früh - weggeräumt habe, (schau! Ich hab noch was gemacht heute) würden nicht in ein Bilderbuch, wie man sich eines vorstellen würde, passen. Aber sonst halt.
Und jetzt liege ich im Bett und beginne schon wieder zum Grübeln. Was soll ich tun? Jetzt. Morgen. Wie geh ich weiter vor? Belass ichs heute mit dem. Ja. Eigentlich schon. Vielleicht schaff ich es ja bald, wieder in den Schlaf zu finden. Schön wärs.

Kopf abschalten. Faul sein. Nichts tun. Ganz viel The Postal Service und HVOB hören. Gestalten einen guten Soundtrack für den heutigen Tag. Melancholisch. Aber trotzdem schön. Melancholisch schön eben.

Freitag, 21. November 2014

Gerade bin ich vom Spazierengehen heim gekommen. Heute ist irgendwie viel passiert und irgendwie auch nicht. Es war einer dieser Tage, an denen man sich einfach nicht entscheiden kann, ob man nun produktiv war, oder nicht. Ich meine, es gab die Minuten, die zu halben Stunden geworden sind, in denen ich vor mich in die Luft gestarrt habe, in denen ich anderen Menschen beim sich selbst inszenieren auf YouTube zugesehen habe. Aber andererseits hab ich auch gerechnet, mich (viel zu wenig) für meine morgige Prüfung vorbereitet, gemalt, Harfe gespielt, war an der Uni, bin Rad gefahren, war Schaukeln, habe einen Hund gestreichelt, Dinge ausgeschnitten und aufgeklebt, die Blumen gegossen, gekocht, mit Menschen geredet, eine Schüssel und gleich darauf eine Glasflasche zu Bruch gehen lassen, mir eine Plastikblume ins Haar gesteckt, habe geatmet.
So. Und da muss ich gleich an meine vorübergehende Sinnkrise denken. Unkreativ. Heute hat es mich in gewisser Weise überkommen. Kreativität kann man irgendwie nicht erzwingen. Plötzlich packe ich ein Blatt Papier während Zellbiologie aus und beginne, ein Bild zu zeichnen. Jetzt! Wo ist meine Harfe? Ich muss spielen. Und schreiben. Ja, schreiben möchte ich sowieso viel mehr. Schreiben ist eines der besten Ventile. Am direktesten. Wobei, ich beginne mich langsam am politischen Malen. Wenn man das so nennen kann. Vielleicht schaffe ich es, morgen eines der Bilder abzulichten und hochzuladen. Das hatte ich eigentlich jetzt vor, aber ohne Sonnenlicht geht das alles nicht so, wie ich das gerne hätte.
Und als ich durch die Haustür gegangen bin, hab ich mir überlegt, über was ich denn schreiben könnte. Es fällt mir immer besonders schwer, mir ein Thema zu überlegen, wenn ich mit dem vorhergehenden Eintrag so überhaupt nicht zufrieden gewesen bin. Aber ich dachte, ich könnte ja aufzählen, was ich alles nicht gerne machen würde. Wofür die Zeit fehlt. Das Geld. Das Talent. Der Stil. Die Möglichkeiten. Das Wissen.
Aber da habe ich mich dagegen entschieden.
Weil das mit Fehlen etwas zu tun hat. Und das ist irgendwo negativ behaftet. Natürlich kann auch Traurigkeit, Müdigkeit, Demotivation fehlen. Aber davon spricht man doch nie, oder? Es fehlt immer nur das Gute, das Positive in unserer Welt.
Nein.
Ich möchte anmerken, was nicht alles gut ist. Gerade. Jetzt in meiner Situation. Wie ich auf meiner kleinen Coach sitze und meine Gedanken schweifen lassen kann.




Und obwohl es immer noch so vieles zum Entdecken, zum Erleben gibt, es ist schon so viel weiter gegangen.
Am Vormittag, in der Früh um es besser auszudrücken, hat die Sonne durch das Wolkenmeer gestrahlt. Es gibt wenig besseres, als am Anfang des Tages das Haus zu verlassen und sich auf den Sattel zu schwingen, der Sonne entgegen fahren. Hunde. Jeden Tag sehe ich sie an der Uni. Ganz brav, klein und groß und mit vielen Haaren. Schaukeln. Und der Alois Drasche Park. Ruhe. Wenn es manchmal möglich ist, einfach einmal Abzuschalten und Entspannung genießen zu können. Vielleicht fährt draußen ein Auto vorbei, aber sonst ist es Still. Und die Wohnung ist auch einmal leer. Freunde und Schwestern. Laborpartnerinnen. Mein Hochbett und die Nägel an der Wand. Die Harfe, die mitten im Zimmer thront und sich freut, wenn sie viel zu selten gestimmt wird. Motivation. Die Tatsache, dass der Unieinstieg ein gewisser Neuanfang war. Schätzenswerte Menschen, mit denen ich mich umgeben darf. Eine gute Anlage. Danke Flo! Die Aussicht auf Punsch und Flohmarkt morgen. Das machen zu können, was mir Spaß macht. Irgendwann etwas verändern. Einem Menschen aus einem anderen Land beim Lernen unterstützen und spazieren gehen. Die Blumen gießen. Die Möglichkeit, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, Musik im Ohr. Bunte Bettwäsche. Wenn die Mitbewohner*innen nett sind. Und Umarmungen. Die ich auch wieder in der Lage bin, mir zu holen. Alle werden umarmt. Wobei, nicht übertreiben, oft hält mich noch etwas zurück, ich trau mich nicht. Aber meistens nicht. Konzerte und der Nachhall von Gitarrenklänge. Gute Gespräche, obwohl man eigentlich gerade über den Nachweis von Sulfaten diskutieren sollte. Artikel, die zum Nachdenken anstiften und Zeitschriften von irgendeiner katholischen Organisation, in der junge Verheiratete interviewed werden. Ein guter Zeitvertreib. Früh aufstehen und Zeit haben. Kein Stress. Spontaner Besuch. Gespräche mit Fremden. Gespräche während Zellbiologie über Avocados, Haare, Kunst und was auch immer. Wasserfarben. Zeitungen ausschneiden. Die Pressefreiheit prinzipiell. Blumen. Und wenn es nur welche aus Kunststoff sind. Eine Kamera, die ich mit mir mit tragen kann und schöne Menschen fotografieren. Sich alles trauen können. Daran wird gearbeitet. Motivierende Nachrichten. Information. Das Gefühl, ein Beispiel mit Lösefällungsgleichgewichten verstanden zu haben. Tumblr-Blogs, die Dinge posten, wie "Let me tell you something: recovering from an eating disorder is a much bigger accomplishment than having an eating disorder.". Und ja, den Satz zu lesen hat mich unglaublich gefreut. Irgendwie berührt fast. Weil manchmal weiß ich einfach nicht, so gerne würde ich mich öfters anvertrauen, aber irgendwo auch nicht. Sieht man dann solche Worte, dann passt das irgendwie. Ein Marmeladenglas voller schöner Erinnerungen. Milch selbst machen und Thymian hinzugeben. Sticks abbrechen. Bandproben ausmachen. eine Europalette durch Wien tragen. Alles nachhaltig kaufen. Listen schreiben. Musik entdecken. Ketten tragen. Göttinnen haben. Ein neues Buch aufschlagen. Sich selbst nicht runter machen. Duschen. Ja, auch duschen ist etwas unglauglich feines, finde ich. Es entspannt und man kann sich nicht schlecht fühlen dabei - solane es keine Spiegel gibt. Schöne Menschen. Innen und Außen. Einen Kabelsalat am Fußboden zu haben. Sonnenlicht. Wenn der Winter anfängt, werden doch alle melancholisch und niemand ist mehr gut drauf. Woran liegt das wohl? Ich bin fest davon überzeugt, dass alle viel mehr Sonnenlicht brauchen. Spazieren gehen. Spontaneität. Gemeinsam Filme schauen. Schöne Augen. Gute Düfte und Gerüche. Ich fühle mich manchmal zurückversetzt in die Zeit, in der ich Das Parfum von Patrick Süßkind gelesen habe. Danach ist es mir vorgekommen, als würd ich die olfaktorische Welt um mich herum viel besser wahrnehmen. Und gerade bin ich oft von so guten Düften umgeben, dass ich mich nur freuen kann. Nase nach oben. Aber nicht hochnäsig. Stolz sein, aber nicht #stolzdrauf. FM4. Das macht mir gerade viel Freude. Die Morningshow und Reality Check und die ganzen Programme. Beim Radfahren das beste. Irgendwie leichte Unterhaltung. Ein Wochenende mit Mutter und Schwester. Letztes Wochenende war dies der Fall. Oh, welch Wiederholungsbedarf! Nächte durchtanzen. Menschen, die ähnlich ticken und ähnlich schwierig sind. Sonnenbrillen, die momentan leider ein wenig überflüssig sind, aber trotzdem wichtig. Verkleiden. Und wenn es nur als Mücke ist. Gedichte schreiben. Tuschestifte. Post-Its an der Wand, auf denen "Liebe und Ausschlafen" steht. YouTube-Videos. Manchmal sinnvoll, weiterbildend, politisch, manchmal einfach nur lustig und plätschernd. Das Internet im Generellen. Schwarze Kleidung und ganz viele Farben. Alle Farben. Die Möglichkeit, sich ausdrücken zu können. Morgen um die Zeit schon eine Prüfung geschrieben zu haben. Vorbereitungen. Organisationen, die etwas weiterbringen. Inspirationsbücher anlegen und ab und zu ein Zitat hineinschreiben. Gudrun Sjöden Kataloge. Hexen. Leute, die überdreht sind und sich auch freuen. Pünktlich sein. Auf Spiegel schreiben. Bilder an die Wand hängen und sich nach einem Streit wieder versöhnen. Blogs lesen und träumen, auch einmal so groß sein zu können. Aber Träumen auch ganz prinzipiell. Darüber nachdenken, wie schlimm es nicht eigentlich ist, dass Menschen die Fähigkeit haben, zu träumen. Dinge selbst in die Hand nehmen. Selbstbewusst auftreten. Ich glaube ja, dass ich das schon ziemlich tue. Am selbstbewusst sein wird noch gearbeitet. Den Verstand als größte Waffe. Stil vor Talent. Das Eigene durchziehen und jede Strumpfhose anziehen, die einer gefällt. Tattoos. Darüber philosophieren, wann ich mich das auch einmal traue. Keine Angst haben. Angerufen werden. Schlafen gehen.

Mittwoch, 19. November 2014

Die Dramaturgie des Miteinanders

Wo ich hinblicke, überall das Gleiche. Vielleicht in einer anderen Farbe, in einer anderen Schattierung. Dort etwas abgeschwächt. Hier mehr davon, mehr von diesem. Manchmal wird eine Schnur darum gebunden. Aber man kommt nicht davon, es ist ein bisschen wie der Nebel, der sich langsam aber stetig breit zu machen scheint. Am Vormittag traut er sich noch nicht so recht, da kommt die Sonne manchmal durch, aber man weiß eigentlich ganz genau, dass er hinter der übernächsten Ecke kauert und wartet. Dann tritt man vor die Tür, macht das Fenster auf und hat es gar nicht bemerkt, schon ist er da. Grau. Allumfassend. Irgendwie.

Und genauso fühlt es sich ein bisschen an.
Wie in einer Seifenoper. Und ich bin der Hund.

Ich bin aber nur deswegen der Hund, weil ich momentan ein wenig das Gefühl habe, nicht so ganz dazu zu gehören. Zum Drama meine ich.

Genau!

Ich gehöre nicht zum Drama. Ich schaue nur zu, bekomme das meiste, oder wahrscheinlich auch nur Vieles mit. Höre zu. Beobachte. Aber involviert, nein, das bin ich noch nicht so ganz.
Und das ist etwas Neues. Ich kann es noch nicht so recht einordnen. Wie kann es sein, dass überall dramatische Funken sprühen, aber in meinem Zimmer bleibt es dunkel. Bei mir läuft es anders ab. Keine Wendungen. Bis jetzt zumindest. Eigentlich warte ich bloß darauf, dass irgendetwas passiert. Vielleicht stürzt etwas ein, vielleicht bleibt jemand stehen, vielleicht dreh ich mich um. Zu plötzlich. Und stoße ein Kartenhaus um. Dominoeffekt und Kettenreaktion. Endkonsequenz: Mein alltägliches Drama kehrt zurück.

Ich weiß nicht so recht.

Ich kann mich gar nicht mehr daran zurück erinnern, wann das das letzte Mal der Fall war. Eine Lili ohne dramatische Abgänge, ohne Tränen, ohne Aufruhr.
Aber wer weiß, vielleicht hab ich mich auch nur an das alles gewöhnt und bekomme es selbst gar nicht mehr so direkt mit. Wie gesagt, alltägliches Drama.

Und natürlich entkomme ich nicht vollständig. Mein Drama spielt sich im Kopf ab. Aber das ist etwas anderes. Das ist etwas Persönliches. Meine persönliche Revolution eben. Und das interaktive Drama bleibt außen vor. Einmal. Ich weiß nicht, es mag sein, dass es mir nur so vorkommt, als würden um mich herum alle durchdrehen, um es besonders überzogen zu formulieren. So ist es natürlich auch nicht ganz. Aber ein bisschen schon. Man muss doch bloß die Zeitung aufschlagen, das Facebook-Newsfeed aktualisieren oder mit der besten Freundin reden. Da ist überall etwas los. Und das ist es bei mir natürlich auch. Aber anders.
Prüfungsbedingt. Unibedingt. Regenbedingt. Haareschneidenbedingt. Wochenendausflugbedingt. Aber nicht unbedingt Dramabedingt.

Und dazu kommt auch die Tatsache, dass sich so etwas ähnliches bei meiner Schwester ebenso abspielt. Und das, obwohl wir normal die Queens sind in dem Gebiet. Ja, wie gesagt, ich weiß nicht. Es fühlt sich komisch an.

Vielleicht hab ich auch nur etwas vergessen.

Der Film ist aufgegeben, das Mail abgeschickt. Nun? Was ist es wohl?

Das Leben, mein Leben, nimmt den eigenen Lauf und an jeder Ecke wartet etwas völlig anderes. Morgen kommen neue Herausforderungen auf eine zu. Übermorgen ist es ganz anders. Momentan sitze ich im Zimmer und überlebe. Eigentlich sollte ich lernen. Aber die Gedanken schweifen immer wieder ab. Na, vielleicht hab ich ab Samstag dann wieder neuen Grund für Drama. Meine erste nicht geschaffte Prüfung. Wär doch auch mal ein Grund, nicht? Hab zum Glück eh vier Antrittsmöglichkeiten. Aber es will mir nicht in den Kopf gehen, dass metallisches Eisen schwarz bis grau und Siliziumdioxid mal fünf H20 eben blau. Und das ist bloß ein Bruchteil. So viele Farben sind da. So viel auswendig zu lernen. An so viele Regeln zu denken, an so viele Fehlerquellen. Carbonat austreiben. Lösefällungsgleichgewicht. Ein Beispiel muss ich noch rechnen, bevor ich losgehe.

Es ist doch auch mal schön, wenn etwas nicht ganz so spektakulär abläuft. Wobei, so uninteressant ist es auch wieder nicht. Nur anders interessant. Gelassener. Vielleicht bin auch ich es, die gelassener ist. Aber das glaub ich dann doch nicht. Ich glaube eher, dass gelassen ein Wort ist, mit dem mich wenige Leute beschreiben würden. Also.

Also.

Und der Nebel zieht weiter und verzieht sich wieder. Die Harfenklänge sind verstummt. Das Lachen wird lauter. Ich gehe mitten durch und höre nichts.

Montag, 17. November 2014

Hier, das bin ich.

Und dann dreh ich mich.
Lachen.
Sorgenfalten auf der Stirn.
Gezupfte Augenbrauen, eigentlich viel zu schleißig damit. Haare, die in alle Richtungen stehen. Starke Wasserstoffbrückenbindungen.
Eine Narbe unter dem rechten Auge. Eine Narbe auf der linken Wange. Zwei Narben auf der Stirn. Eine am Kinn.
Grübchen.
Im Sommer Sommersprossen.
Ab und zu.
Im Sommer rote Haut. Im Winter weiße.
Farbe auf den Lippen, schwarze Striche auf den Lidern.
Seit dem Sommer vor der vierten Klasse.
Die Nase so klein, dass die Laborbrille nicht hält.
Der Körper so klein, dass sich die Leute gerne anhalten, sich abstützen.
Im Kopf geht es immer anders zu.
Die Tapeten werden heruntergerissen. Neu ausgemalt.
Heute wird als schön empfunden. Morgen regnet es.
Die Augen sind offen und der Spiegel hinter ihnen blinkt.
Am besten alles aufnehmen und alles ausprobieren.
Nichts auslassen aber trotzdem.
Trotzdem vorsichtig sein. Sich nichts trauen. In Gedanken verloren.
In der eigenen Welt.
Auf einmal abgeschaltet und nicht mehr da.
Dann wieder schon.
Das Lied wechselt und die Dinge im Kopf ändern die Richtung.
Der Kopf ist ja rund.
Der ist besonders rund.
Und die Schultern, da kann man sich nicht entscheiden, ob sie nun breit sind oder nicht.
Und der Körper schaut so aus, aber wissen ist etwas anderes.
Die Kameras hängen an der Wand und die Bücher stapeln sich beim Bett. Darunter die Lichterkette und das Werkzeugsackerl. Die Stifte in Marmeladengläsern, die CDs in Schachteln. Übereinander gestapelt und zusammen geklebt.
Ein Periodensystem an der Wand. Ein halbes im Kopf.
Und auch Sulfide und Lösungsgleichgewichte und Amphotere Moleküle.
Und die Sonne.
Die Hände sind klein. Ein großer Tatendrang.
Am Schlüsselbund der Schlüssel für das Rad.
Am Rad ein Radkorb.
Kein Helm.
Die Schuhe türmen sich. Die Mitbewohnenden fallen darüber.
Die Jacken nehmen den meisten Platz ein.
Eine mit Punkten. Eine Braune. Eine Regenjacke.
Und.
In Gedanken spazieren gegangen. Schaukeln gegangen. Im Park. In der Nacht.
Auf der Uni gewesen. Skripten geschleppt.
Museen besucht. Museen vermisst. Kunst vermisst.
Keine gepiercte Stelle, keine Ohrenlöcher. Kein gedehnter Nasenring.
Und auch kein Kunstwerk, eingraviert.
Die Tasche voll, das Notizbuch leer. Die Wolle aufgebraucht.
Und überall sind Gedanken.
Diskussionen angezogen und Kontroverse geübt. Radikal genannt.
Nur Pflanzen essen.
Gar nichts essen.
Narben. Auf der Haut und auch darunter.
Lachfältchen. Um den Mund, um die Augen.
Gerade Zähne. Aber nur oben. Die dafür groß genug, um die untere Reihe zu verdecken.
Einen Stift immer dabei.
An Gerüche denken und kein Parfum besitzen. Am Land aufgewachsen und die Stadt liebend.
Angefangen und nicht zu Ende geschafft.
Triologien verschlungen. Filme begonnen. Zeitung gelesen. Zeitung weggelegt und verdrängt.
Ein Bett gebaut. Filme ausgeknipst.
In Therapie gewesen. Zitate an die Wand gemalt. Bilder in ein Buch geklebt.
Maschinenbauerin als Traumberuf. Musik als Ventil.
Und innen drin, ganz unbeschreiblich.
Es ist sogar total unbegreiflich, wo ich gerade bin.

Montag, 3. November 2014

Und auf einmal bedeutet das 19. Element so viel

Schauplatz: Uni, Hörsaal 04, Physik-Übungen, Mitte rechts. A. und L. können einen Lachflash nicht unterdrücken. Ich steige mit ein. As Kopf wird ganz rot und er unterdrückt das Prusten. Kopf auf den Tisch. L. versteckt ihr Gesicht und hustet. Ich versuche, nicht allzu sehr aufzufallen. Der Hörsaal ist sehr klein. Die Tutorin muss es eigentlich merken. Ist das der Fall, so zeigt sie es nicht. Vielleicht wirkt sie ein wenig genervter. Auch verständlich. Es ist Montag-Nachmittag und sie muss sich mit einem Haufen Erstsemestrigen herumschlagen, die schon den ganzen Tag auf der Uni zugebracht und eigentlich keinen Kopf mehr für irgendwelche Kräfteübersetzungen haben. Eine Pause wäre vielleicht angebracht. Die Vorlesungen sind ganz eng aneinander gereiht und das Auf-Die-Toilette-Gehen geht sich gerade noch so aus, dass man nur die ersten drei Worte verpasst. So muss sich die Pause eben geschaffen werden. Trotzdem möchte niemand etwas verpassen. Ist doch wichtig. Physik versteht doch momentan sowieso niemand. Die Köpfe sind voll von Chemie und LBT. Vorletzte Woche erster Anlauf für die Chemieprüfung, letzte der zweite. Donnerstag STEOP in LBT. Da muss gelacht werden.

Was genau der Auslöser für diese Emotionsgeladenheit war, ist mir entfallen. Wahrscheinlich nur eine Kleinigkeit. Ein ganz schwacher Funke, der ausreichend war, um die Überdrehtheit, die doch manchmal einsetzt, wenn man eigentlich entweder übernachtig, müde oder überfordert sein sollte, in Gang zu setzen. Der Funke entsteht. Er entfacht. Und dann brennt es. Löschen wäre vielleicht angesagt. Wobei. Kommt auf die Perspektive an. Auf das Inertialsystem, von dem man das Ganze betrachtet. Für Außenstehende mag es versuchenswert sein, die Flammen einzudämmen. Befindet man sich aber in dem geschlossenen System, dann kann man erstens gar nichts dagegen unternehmen, und außerdem handelt es sich hierbei um einen günstigen Zustand.

A.s Gesicht nimmt langsam wieder normale Farbe an. Er beschwert sich über Schmerzen in der Mundgegend. "Und so gehts mir jeden Tag!", entgegne ich lachend. Ja, genau. Lachend. Das mach ich nämlich gerade immer.
Und dafür gibt es viele Gründe. Wie immer. Es gibt selten Dinge, die auf nur einen Auslöser zurückzuführen sind. Meistens besteht dieser aus einem Geflecht. Ein Konstrukt von vielen Zufällen und Maschen. Verbunden mit Spontaneität und Wasserstoffbrückenbindungen.

Mein Handy klingelt. Ich weiß jetzt schon, von wem die Nachricht stammen wird. Beziehungsweise, bei welchem Whatsapp-Chat ich nachschauen muss. Und das Gefühl dabei ist ein anderes. Whatsapp-Chats gibt es viele. Und auch meine alte Klasse hatte einen, der an und für sich immer noch aktiv ist, auf meinem Telefon allerdings auf stumm gestellt.

"Kalium-Gruppe"

Hier wird sich ausgetauscht.
Habt ihr schon eure Labormäntel? Wo findet jetzt nochmal der Test statt? Wie geht das Beispiel noch gleich? Achja! Montag ist Biermontag, da gehen wir doch alle hin, oder? Smileys, oder besser beschrieben, Emojis häufen sich und ein Affe hält sich die Augen zu. Immer wieder klinke ich mich ein. Wie war das noch gleich? Den kompletten Überblick über dieses System Universität habe ich mir immer noch nicht verschafft. Aber dafür gibt es ja Vernetzungen. Dafür gibt es ja Kalium. Das neunzehnte Element in meinem Periodensystem, das ganz groß an meiner Wand, links unter den auf Nägel gehängten Kameras prankt. Blau ist das Kästchen mit dem großen "K" eingefärbt. Metall.
Und eigentlich noch so viel mehr.

Das mag sich vielleicht in gewisser Weise komisch anhören. Oder blöd. Oder beides. Und so ganz auszudrücken hab ich es mich auch noch nicht getraut. Aber hier kann ich die Zeilen doch damit füllen. Ich kann schreiben, dass ich gar nicht genau weiß, wie das passiert ist. Wie viel Glück ich doch gehabt habe. Nicht nur mit meinem Studium, das mir wunderbar gefällt, sondern auch mit der Wahl der Universität, die Erstsemestrigen-Tutorien anbietet und so kleine Gruppen bildet. Ich kenne jetzt schon viele meiner Mitstudierenden. Grüße nach Lust und Laune und spreche alle an. Und am Anfang des Tages weiß ich, dass ich immer einen Platz neben A., oder L., oder L., oder M., oder S. haben werde. Das hat sich schon so eingependelt. Und da das Audimax sowieso nie ganz voll ist, geht sich das auch immer schön aus, wenn ich - wie eigentlich immer - auch ein paar Minuten zu spät in den Hörsaal platze.
Es bringt mir auch insofern so viel, dass ich einfach noch mal um ein riesen Stück lieber in die Alte WU, den neuen BOKU Standort, hineinspaziere und davor mein Rad absperre. Meine Tasche auch unbeaufsichtigt auf den Gang stelle, während ich die Toiletten aufsuche und meine Wasserflasche im Waschbecken auffülle. Oder mir einen Kaffee von der Kaffeemaschine, die zufällig faire Kaffeebohnen verwendet, kaufe. Ich freue mich nicht nur auf den Stoff, auf die Materie, die ich heute lernen darf, die mir hilft, die Welt, meine Welt, besser verstehen zu können. Ich freue mich auch auf die Augen von L. und die Gespräche mit M. und die Umarmung von A. Ich freue mich auf so viele Menschen, die ich gerne sehe. Die ich gerne jeden Tag sehe. Und ich weiß ja nicht, aber vielleicht sehen sie mich ja auch gerne. Vielleicht passt das gerade.

Ich darf mir aber nicht zu viel erwarten!
Das mach ich immer gerne. Ich interpretiere hinein und male mir Situationen aus, die dann aber nie so eintreffen werden.
Letztens hat eine meiner liebsten Freundinnen auch gesagt, dass ich nicht vergessen sollte, dass das meine Studienfreunde sind. Mit ihnen studiere ich. Deswegen sehe ich sie sooft. Gut, mit M. und L. mache ich auch Zumba und mit einer anderen L. hab ich schon durch das ganze Set von Austrian Apparel getanzt. Trotzdem.

Genau! Trotzdem. Sollen es meine Studienfreundinnen sein. Das macht ja nichts. Ist doch gut so. Da bin ich auch die eine Lili. Daheim bin ich ja wieder anders und wenn sich dann alles überlappt, komme ich mit meinen Persönlichkeiten vielleicht auch gar nicht mehr so ganz zurecht. Wer bin ich wann? Wie bin ich wann? In der Augasse bin ich auf jeden Fall begeistert. Und quirlig und hochmotiviert.
Das hat ja auch etwas mit meinem Umfeld zu tun. Wir sind ja alle mehr oder weniger freiwillig hier. Wir wollen ja alle verstehen, was hinter der Glucose-Oxidase und den Van-der-Waals-Kräften steckt. Das verbindet. Man hat gleich einmal eine Basis. Und dann hat man Lächeln und nette Gespräche und lernt sich immer weiter besser kennen und genießt die Zeit.

Also ich genieße es.

Ich genieße es so sehr, dass ich jeden Tag wo hin gehen kann, wo ich gerne hingehe. Dass ich jeden Tag Leute sehen kann, die ich gerne sehe. Dass ich mir nicht dauernd denken muss, oh, was sagen die wohl zu meiner bunten Strumpfhose. Dass ich nicht das Gefühl habe, so überhaupt nicht dazu zu gehören.

Ich genieße das so sehr.

Ich bin nicht nur verliebt in meine Studienrichtung, ich bin auch verliebt in meine Mitstudierenden. Mit denen ich mitten in der Physik-Übungen-Vorlesung rot anlaufen und über irgendeinen ganz blöden Witz lachen kann. Und vielleicht ist es auch gut, dass sie nicht so viel wissen über mich. Dass ich nicht so viel über sie weiß. Ihre Hintergründe. Meine Vergangenheit. Die Persönlichkeiten stückeln sich gerade allmählich erst zusammen und man tastet sich mit tieferschürfenderen Fragen erst vor. Überschreite ich damit eh keine Grenze?
Und ich sehe sie jeden Tag. Aber das noch nicht so lange. Noch nicht acht Jahre lang. Da kann ich ein paar Kapiteln ausklammern. Muss sie niemandem auf die Nase binden und kann abwarten. Ich kann überlegen, wie es weiter gehen sollen. Ein bisschen selbst formen. Ich kann in gewisser Weise selbst mitbestimmen, wie ich gesehen werde. Mich neu erfinden und erfinden lassen. Ich kann den Alltag genießen und weiß, dass ich morgen wieder neben A. in Mathe sitzen werde. Diesmal aber der andere A., die beiden heißen nur zufällig gleich. Und dann werde ich nach Hause radln und die Kette fest machen.

Ja. So sieht das nämlich aus.