Freitag, 2. Januar 2015

Und was passiert heuer alles?



Heute hab ichs mit den clicheehaften Neujahrseinträgen. Aber es bietet sich schließlich auch an, wie schon erwähnt. Und eigentlich nehme ich mir immer wieder Dinge vor. Fertige Listen an. Hänge mir Post Its an die Wand und überlege mir Abläufe. Mache Dinge mit mir selbst aus und versuche mich stets zu bessern.

So. Und wieso nicht auch gleich 2015-Vorsätze?

Ich mach das eigentlich nie. Weil ich nie so recht auf die Idee komme beziehungsweise immer die Zeit ein wenig fehlt, weil vor Silvester über die Vorsätze, die dann im nächsten Jahr durchzuführen sind, nachzudenken, das schaff ich nie so recht – das wird konsequent hinausgezögert und aufgeschoben. Und dann feiert man hier und fährt am nächsten Tag gleich dorthin und schläft lange und kommt dann immer erst Mitte Februar drauf. He! Dieses Jahr wollte ich doch auch endlich eine Liste anfertigen, nur für das neue Jahr. Tja.

Aber dieses Jahr mach ich das wirklich spezifisch. Es gibt so viele Ecken, an denen ausgebaut werden muss, es gibt so viele Nischen, die endlich einmal entstaubt werden müssen. Oh, und so viel zu erleben.

In letzter Zeit hatte ich es nie so mit dem Schlaf.
Also, ich hätte locker bis um drei Uhr am Nachmittag im Bett mit geschlossenen Augen liegen können. Aber das ging einfach nie – immer was zu tun, immer so viele Pflichten. Und die Tatsache, dass ich viel zu spät erst die Leiter von meinem Hochbett hochgestiegen bin, machte das alles nicht wirklich besser. Und ich will ja eigentlich gesund leben. Und das ist einfach nicht gesund. Genau, und jetzt möchte ich versuchen, mehr zu schlafen und dafür gleichzeitig weniger Kaffee zu trinken. Heute hab ich zum Beispiel nicht einmal eine Tasse von dem schwarzen Zeug runter gekippt! Aber an den meisten Tagen trinke ich einfach so viel davon.

Ich möchte mehr lesen.
Das will ich sowieso immer. Und immer nehm ich mir das vor. So! Nach der Prüfung liest du ur viel. Nach dem Wochenende schlägst du wesentlich häufiger deine Bücher auf. Aber ich machs dann auch wieder nicht. Ich meine, es gibt immer wieder Phasen, da lese ich ein Magazin nach dem anderen und dann noch ein paar Bücher zum Drüberstreuen. Vielleicht lässt sich das jetzt umsetzen. Ich möchte mir ja eigentlich keine Deadline setzen – aber drei Bücher pro Monat wäre halt schon ein Hit. Und eigentlich auch gar nicht mal so viel. Im Sommer hab ich drei Bücher in einer Woche verschlungen. Und das tut mir wirklich so gut, lesen befreit so sehr, wie ich finde. In fremde Welten tauchen. Worte schmecken. Die allerbeste Ablenkung.

Oh, und da gabs doch mal die ganzen Stifte auf meinem Schreibtisch.
Ich finde, ich könnte so viel mehr schreiben. Das bringt es nämlich auch so. Mein Tagebuch greif ich viel zu selten an. Auch, wenn ich immer wieder gerne sage, dass ich ganz viel schreibe, gerade in letzter Zeit ist das einfach nicht sonderlich der Fall. Und literarisch hochwertig ist das sowieso nicht, damit muss ich mich halt abfinden, aber ich meine, das ist auch nicht so ganz der Sinn hinter einem Tagebuch. Und trotzdem, genau Literarisches möchte ich ebenso verfassen! Mehr von dem. Und mehr vom anderen. Wieder öfter auf die Schreibmaschine einklopfen.

Kreativität, wo bist du?
Sowieso. Das steht immer auf den Listen. Mehr malen. Mehr zeichnen. Auch mehr schreiben eben. Mehr fotografieren. Mehr Musik machen.

Apropos Musik
Ich möchte weiter kommen bei meinen Instrumenten. Das ist momentan einfach nicht der Fall. Ich nehme ja auch keinen Unterricht mehr, aber trotzdem muss ich mich hinsetzen und mir ein bisschen was überlegen. Mehr neue Lieder auf der Harfe üben. Mehr Rudiments und mehr Rhythmen am Schlagzeug. Mindestens fünf Mal in der Woche irgendein Instrument spielen. Und da gabs ja auch die Mundharmonika. Und das Cajon. Die könnten auch mal wieder bespielt werden.

Aber da gibt’s noch mehr!
Ich studiere ja auch. Und ich möchte – dieses Semester zumindest – in fast alle Vorlesungen noch gehen. Weniger fortgehen unter der Woche, zumindest nicht an den Tagen, an den am nächsten Tag die Vorlesungen um acht beginnen. Das kollidiert mit meinem Schlaf-Vorsatz :) Ich möchte auch gut sein und wieder mehr mitlernen. Jetzt mache ich mir noch die Mühe, alles nachzuholen, was ich nicht mitgelernt habe, aber jetzt wird das wieder konsequenter angegangen.

Und was ist mit mir?
Da bin ich noch immer im Konflikt. Ich bin noch so unzufrieden mit mir und in meinem Kopf spielt es Krieg. Was soll ich tun? Vielleicht kann ich das auch in den Griff bekommen. Nicht zu wenig essen. Aber auch nicht zu viel. Irgendwie bring ich das echt noch nicht zustande. Da mag ich mir aber nichts vornehmen. Ganz ehrlich, ich weiß, dass das noch dauert. Aber ich ruf bald wieder mal bei meiner Therapeutin an. Der muss ich wirklich mal wieder einen Besuch abstatten! Am Montag mach ich das.

Ich will mehr Hula Hoop lernen. Ich will mehr reisen. Ich will auf mehr Konzerten gehen. Am liebsten hätte ich auch gerne mehr Geld. Aber ja, ich mach meine kleinen Jobs nebenbei, fix angestellt bei einer Firma zu sein, ist glaube ich, keine so gute Idee, da fehlt es mir einfach an der Zeit und das stresst mich nur enorm. Ich will mehr ausprobieren. Öfter ins Museum gehen. Ganz viel Spaß haben. Mehr auf Menschen zu gehen – das war zum Beispiel mein Hauptvorsatz, den ich mir für den Umzug nach Wien vorgenommen habe, und ich bin so froh, dass ich dann immer zu stolz bin, um mir einzugestehen, dass ich mir das eigentlich doch nicht traue und dann muss ich halt Menschen in der U-Bahn ansprechen, die ich einmal im Hörsaal gesehen habe. Ich will mehr Theater in meinem Leben, und wenn es Theaterstücke lesen sein muss, mir fehlt das so sehr. Ich will mehr Technik und mehr Verständnis. Mehr Zeitunglesen. Ich will mich besser auskennen. Ich will einfach sicherer sein. Ich will netter werden. Öfters Straßenmusikanten und -musikantinnen Geld geben. Mir jeden Monat den Augustin kaufen. Ich will authentischer werden, mir mehr Gedanken über mein Gewand machen und besser aussehen. Ich will mehr Zeit in der Früh und jeden Abend eine Seite lesen. Ich will Sport machen, und jetzt noch die Eislaufsaison ausnutzen. Ich will mich weniger beschweren, mehr tanzen. Weniger weinen, dafür mehr unter Leute gehen. Nicht alles so ernst nehmen und lockerer sein, Spaß haben, auch mal Dinge auf mich zukommen lassen. An meiner Spontaneität noch weiter arbeiten (übrigens mein zweiter Nach-Wien-Zieh-Vorsatz). Ich möchte mehr nachdenken und mehr Zeit zum nachdenken. Ich möchte meinen flickr-account bekannter machen, und vielleicht ein paar Tricks für den Blog finden. Und irgendwas besonderes tun.

Vor zwei Jahren war mein Neujahrsvorsatz, einen Baum zu pflanzen.
Daraus wurde dann ein Quittenbäumchen im Garten meiner Eltern.

ein paar Schnipsel 2014


Ich hab eigentlich schon seit ein paar Tagen darüber nachgedacht, ob ich so etwas, wie einen Rückblick über das vergangene Jahr schreiben soll. Im November hab ich eine kleine Retrospektive gepostet, über die letzte Zeit. Aber nicht spezifisch 2014. Obwohl ich wirklich nicht zu den Menschen gehöre, die es ganz komisch und unnötig finden, dass Silvester gefeiert wird - ja, es stimmt, es ändert sich auch jeden Tag aufs Neue das Datum, eine Zahl wird immer anders, und gute Vorsätze kann man immer machen, muss ja nicht an einen Termin gebunden werden. Aber trotzdem, ich finde, wenn sich dann plötzlich drei Ziffern am Datum gemeinsam ändern, wenn man 356 Tage vorher schon gefeiert und mit Sekt angestoßen hat, dann kann man das auch zu etwas Besonderem erklären. Und ich weiß nicht, aber mir helfen solche Termine dennoch immer, wenn ich irgendetwas verändern möchte. Wenn ich mir denke, dass sich das ändern soll, dann kann man sich ja freuen, wenn man dafür einen Tag hat, an dem sich das jetzt ändert - da bietet sich der Jahreswechsel schließlich auch an.

Monatsmäßig möchte ich aber nichts schreiben, und sowieso, die Grenzen fließen ineinander über. Und dann sitze ich gestern Abend bei meinem Schreibtisch und kritzle noch die paar schönen Dinge, die mir in den letzten Tagen passiert sind, auf die kleinen Diddl-Zettel und gebe sie in mein Marmeladenglas, auf dem groß 2014 steht. Das ist eine Art Projekt, die ich auch schon letztes - oh, pardon! vorletztes - Jahr angefangen habe. Einfach kleine, nette Erlebnisse, an die man sich sonst sowieso nicht erinnern würde, aufzeichnen und aufbehalten.


Und heute, am 2.1.2015, hab ich alle Schnipsel mal herausgeholt und alles durchgelesen. Grinsen müssen. Freude. Aber auch eine gewisse Nostalgie, an all die sonnigen Tage, die ich mit Spaziergängen und lieben Menschen verbracht habe, die jetzt aber schon lange vorbei sind. Aber was heißt schon vorbei. Hier kommt ein nächstes Jahr. Hier kommen neue Erlebnisse!


















Dieses Jahr bin ich 18 geworden. Ich hab meine Harfe und all meine anderen Sachen eingepackt und bin ich die Hauptstadt gedüst. Dieses Jahr hab ich Menschen kennengelernt. Hab Nächte durchgetanzt. Dieses Jahr hab ich ganz viele neue Dinge ausprobiert und angefangen. Ich war im Ausland, habe gekocht, habe mein Zimmer umgestellt, habe Trinkflaschen verloren, habe mein Schulzeug weggepackt, bin mit dem Zug gefahren.


















2014 hab ich Schlagzeugworkshops gehalten und mit Freund*innen Musik gemacht. Ich bin mit meinem Fahrrad durch Wien geradelt, und habe das Angebot der Citybikes ausgekostet. Bin zu Beginn des Jahres jede Woche eben in diese Stadt gefahren, fürs Fortgehen, für die Therapie. Ich habe die Matura gemacht und die Studieneingangs- und Orientierungsphase abgeschlossen. Ich habe Menschen in U-Bahnen auf ihre Schuhe angesprochen. Ich habe Bücher hergeschenkt und Leute besucht. Ich habe Bücher gelesen, Konzerte gespielt und ganz viel gelacht.


Das war noch gar nicht so lange her, aber trotzdem im letzten Jahr. Und gerade überkommt mich ein bisschen, dass ich einfach so viele liebe Freunde und Freundinnen habe.


Das Girls Rock Camp war wie jedes Jahr ein großes Highlight, auf das ich mich schon so gefreut habe.




Genau. Ich muss das immer wieder schreiben. Ich bin endlich aus dem Waldviertel ausgezogen. Habe aufgrund Verkettungen diverser Zufälle liebe Menschen gelernt, mit denen ich jetzt zusammen wohne. Und Zusammenwohnen ist einfach nichts einfaches, aber man kann sich gut arrangieren, hihi.


 

Ich bin keine Schülerin mehr. Nie wieder einfach. Und kann mich glücklich schätzen, ein super geniales Studium gleich auf Anhieb gefunden zu haben.


Ich hab die Nachrichten gehört und war auf friends-Abenden. Hab Geld ausgegeben. Angefangen, bei verschiedenen Unternehmen - wenn man das so nennen kann - ein bisschen zu arbeiten. Ich war auf Flohmärkten.
















Und auch das ist passiert.
Ich hab 2014 wieder Normalgewicht erreicht.



Es war warm. Es war kalt. Und es war irgendwas dazwischen, das Wetter hat verrückt gespielt und mich damit mitgezogen.



Ich hab Diskussionen geführt. Ich hab mich mit Politik auseinander gesetzt und mit manchen Menschen gestritten.



















Ich hab Musik gemacht und gehört. Hab auf mein E-Schlagzeug geschlagen und zu Hause im Waldviertel mein akustisches genossen. Mir sind jede Menge Saiten auf der Harfe gerissen und ich hab mir sooft vorgenommen, Straßenmusik zu machen.




Ich hab Sport gemacht und irgendwann nicht mehr Laufen dürfen. Ich hab Gedichte geschrieben, Fotos geschossen und Tee getrunken.
















Und ich habe angefangen, hier zu schreiben. Vielleicht konnte ich ein paar Menschen erreichen. Vielleicht auch nicht. Aber was nämlich noch 2014 passiert ist: Ich bin so viel gelassener geworden. Ich mach Dinge, weil sie mir Spaß und Freude machen. Ich schreibe hier, weil ich es gerne tue, teile mich mit.
Es ist noch so viel mehr passiert. Aber alle Zettelchen wollte ich auch wieder nicht posten, wollte ein paar im Glas lassen. Und 2014 war nicht durchgehend schön. Aber man beschäftigt sich schon so genug mit der Vergangenheit, finde ich. Und immer merkt man sich bloß die schlechten Seiten. Und das möchte ich nicht. Ich möchte motiviert sein. Springen. Genießen und mich freudig zurück erinnern. Möchte Postkarten schreiben und den Sonnenaufgang sehen. Ich möchte mich vertragen und umarmen. Ja, und 2014 ist das alles passiert.

2014 sind die Tage so schnell vergangen. Und trotzdem ist so viel in sie hineingepackt worden.

Und jetzt kommt 2015. Das schauen wir uns mal an!

Donnerstag, 25. Dezember 2014

Schlechte Laune

Ein paar Gedanken über mich nach dem Weihnachtschaos.

Heute bin ich wirklich nicht gut drauf. Woran das liegt? Vielleicht daran, dass ich heute noch gar nichts gegessen und ich mich gestern vollgestopft habe? Komisches Essverhalten halt, das irgendwie nicht in den Griff zu kriegen ist, so scheint mir manchmal. Und deswegen bin ich sauer. Und wütend. Und alles ist grau. Genau. Das lasse ich jetzt aus, auf meine Mitmenschen und in erster Linie auf die Familie, die mich momentan umgibt.

Das muss ganz schrecklich sein.

Die letzten eineinhalb Jahre war ich immer sooft nicht gut drauf. War zickig und unzufrieden, hab gemotzt und konnte nicht umgehen mit irgendwelchen Aussagen. Und das bekommt man als außenstehende Person wahrscheinlich nicht ganz so mit, wie eben die Menschen, die halt am nächsten sind. Ergo: Mutter, Vater, Schwester, Hund. Genau die, die am meisten unter allen leiden mussten, gleichzeitig auch die größte Unterstützung waren. Und wie hab ich gedankt? Indem ich Türen zugehauen und schnippische Antworten von mir gegeben habe.

Ja. Genau. Und woran liegt das jetzt bitte?

Darüber muss ich mir heute besonders Gedanken machen, neben den besten Abnimmtipps natürlich und während ich in alte Muster verfalle.

Da ist man eigentlich doch nur sauer auf sich selbst. Dafür, dass man nicht gemäßigt, dass man nicht richtig erwachsen sein kann. Und dann kommt noch eine kleine Streiterei mit der Schwester hinzu und schon ist die Laune im sooft beschriebenen Keller. Da fällt es auch irgendwo schwer, zu filtern, was jetzt nett, neutral oder eben nicht nett gemeint war. Alles kommt so vor, als gäbe es irgendeine böse Absicht dahinter. Und okay, früher, da hatte ich eine noch dünnere Haut. Habe nichts ausgehalten, weil, naja, nunmal keine Reserven da gewesen sind. Doch eigentlich sollte sich das doch jetzt geändert haben. Tja. Ich als hochemotionaler Mensch bin wohl schwer zu verstehen. Aber mir ist vorhin eben klar geworden, dass das natürlich - na no na ned - alles an mir liegt. Bin ich gut drauf, dann passt auch alles. Bin ichs nicht, tja, dann haben meine Mitmenschen kein leichtes Spiel im Umgang mit mir.

Man sollte gelassener sein.

Ja. Eh. Sowieso. Immer und eigentlich wärs doch eh so leicht.

Aber das geht für mich - momentan noch - nicht. Mit jeden Blick in den Spiegel steigt die Wut - eben auch auf meine Mutter, die auf einmal anfängt, von Chai zu reden. Ich mein, was soll das? Kann sie nicht einfach Kaffee trinken mit mir?

Und wohin will ich schon wieder hinaus?

Ich will nicht immer böse sein müssen, auf die Schwester, die halt sieben Kilo weniger wiegt als ich und wahrscheinlich täglich nur die Hälfte der Nahrungsmittel, die ich in mich reinstopfe, zu sich nimmt. Ich will nicht schlecht drauf sein, einfach, weil ichs nicht zambring, Frühstück zu essen. Und eigentlich möchte ich lachen. Über mich. Über meine zittrigen Hände, über meine Stimmungsschwankungen. Eben. Alles lockerer sehen. Gelassener sein. Aber wieso reitet man sich überhaupt in einen solchen Teufelskreis? Weil man Perfektionistin ist, wie ich, zum Beispiel, weil das gelassen sein einfach nicht so ganz optimal funktioniert. Weil die Sonne untergeht und alles komisch ist.

Und weil man das so will.

Ja, ich möchte mich nicht dauernd meiner eigenen Verantwortung entziehen. Ich denke ja bewusst daran, wieder nichts essen zu wollen. Ich bin ja irgendwie auch bewusst schlecht drauf, möchte nicht über meinen eigenen Schatten springen und die Wut, die zum kochen beginnt, unterdrücken. Man kann sich sehr wohl auch ein wenig selbst steuern, denke ich.
Aber trotzdem bleibt die Frage offen, wohin.

Dienstag, 23. Dezember 2014

Stadt-Land Gefälle

Ich sitze jetzt wieder in der Küche. Im Dorf. Im Waldviertel. Über hundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Höre FM4 und bin gerade sehr, sehr froh, dem Großstadtchaos entronnen und wieder mitten im Kleinfamilienwahnsinn zu sein. Ich gehe spazieren, über richtige Erde, neben entstandenen Bächen, durch das Laub der Bäume fallen ein paar Sonnenstrahlen. Die Tage sind so kurz, dass man schon um fünf Uhr am Nachmittag müde wird, weil die Sonne einfach nicht mehr da ist, um Energie zu spenden. Ich mache mir Gedanken. Gedanken über meinen jetzigen, über meinen alten Alltag. Gedanken für die Stadt. Gedanken übers Land.




Ich lebe in der Stadt. Bin am Land zu Hause. Studiere dort. Spaziere da. Und wie könnte ein und dasselbe Land denn unterschiedlicher sein, als bei der Betrachtung vom hintersten Eck Niederösterreichs und Wien? Da gibt es einmal die ganz offensichtlichen Faktoren, die das Gefälle bestimmen. In der Stadt gibt es mehr Menschen auf weniger Raum. Am Land findet sich schwer ein guter, für die Qualifikationen passender Arbeitsplatz. Dort finden wir auch weniger Einkommen. Und mehr Ausländer*innenfeindlichkeit, während prozentuell gesehen in der Stadt mehr aus anderen Ländern kommenden Menschen leben. Wir haben dort ein großen kulturelles Angebot, im Waldviertel wachsen Kartoffeln. Und irgendwie sind sie dort alle weltoffener, wie mir vorkommt.




Die Blumen sind natürlicher. Die Blätter bleiben liegen. Alle grüßen, alle kennen sich. Steht ein Auto vorm einzigen Wettbüro weit und breit weiß jede Person, wer nicht spielsüchtig ist. Man kann die Äpfel von den Bäumen pflücken. Die Kindheit im Wald verbringen. Verlassene Lichtungen entdecken. Waldkreaturen begegnen. Die Zivilisation ist ganz leicht hinter sich gelassen. Abkapselung. Man vereinsamt ganz schnell. Es gibt nur ein Kino, und das ist fünfzig Kilometer weit entfernt. Die Kühe vom Nachbarn wecken dich auf. Schwul ist ein Schimpfwort.

Sonnenuntergänge hier, durchtanzte Nächte dort. Sommerregen gegen kritische Museen. Umgestürzte Bäume gegen geräumte Häuser. Hühner überall gegen eingesperrte Katzen. Ausgedehnte Spaziergänge gegen U-Bahnen. Depressionen gegen Überforderung. Naivität neben unglaublicher Individualität. Derselbe Landeshauptmann gegen Begegnungszonen. Schlechter Handyempfang gegen Omnipräsenz der technischen Welt. Familie hier, Freunde dort. Aufgelassene Eislaufplätze und Sportkurse um 26 Euro im Semester. Und die soziale Selektion trifft dich überall.


Jeden Tag ist eine andere Demonstration. In der Straßenbahn lachen dich viel jüngere Burschen an, oder aus. Möglichkeiten gibt es ohne Ende. Niemand kennt sich. Niemand schaut dich an. Einmal um die Ecke biegen und im Lieblingscafe die Freundinnen treffen. Jeden Abend eine andere Veranstaltung. Der Kaffeekonsum wird angestachelt. Die Ausstellung ist immer noch nicht besucht. So viel Auswahl, so viel zu tun. So viele diverse Menschen treffen aufeinander. So viel kann gelernt werden. Universitäten gibt es beinahe nur hier. Alte Häuser aus Otto Wagners und Adolf Loos' Zeit. Alle besonders schick angezogen. Die Männer gehen Hand in Hand miteinander. Die Rosa Lila Villa ist gleich die Straße entlang. Neue Plätze, neue Kaffeehäuser gibt es zu entdecken. Der Bedarf kann nie gedeckt sein.

Während ich hier Diskussionen über Konsum und Überproduktion führe, versuche ich dort jede Konversation von Themen wie meiner politischen Meinung oder gar meiner Entscheidung, kein Fleisch zu verzehren, abzulenken. Dort stößt man auf Unverständnis, wenn man auf das -in beharrt. Hier ist es oft klar, dass es wichtig ist, dass sogar das Mobiltelefon fair produziert wird. Dort macht es meistens weniger aus, wenn man mal nicht aufgestyled aus dem Haus geht, beim Müllrunterbringen hier traue ich mich das nicht. Es ist alles so entschleunigt und hier bleibe ich oft zu Hause, weil mich die Auswahl überfordert. Man freut sich auf eine bestimmte Veranstaltung dort, hier ist jeden Abend was Neues los. Barfuß durch den Wald laufen gegen veganes Eis um jeder Ecke. Alles muss organisiert, ausgemacht werden, alles ist dreimal fixer, ohne Spontaneität kommst du hier nicht viel weiter. Radio Niederösterreich dröhnt aus jedem Lautsprecher, Helene Fischer lässt zum vierten Mal in den letzten zwei Stunden grüßen, gegen einen wunderbaren CD-Laden neben dem anderen. Essengehen für sechs Euro. Kein Eintritt unter sieben. Während man dort alle kennt, weil es einfach nicht so viele Menschen zu kennen gibt, kennt man hier alle, weil man immer in der Szene unterwegs ist.






Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zum Dorf. Heute liebe ich es sehr. Heute liebe ich es, dass ich einfach so das Haus unabgesperrt verlassen kann, um im Wald Fotos schießen gehen zu können. Heute bin ich begeistert von der kleinen Stadt, in der ich auch in die Schule gegangen bin, vom chinesischen Essen und dem Café ohne Sojamilch. Die Sonne schien so schön und ich war in bester Begleitung. Heute liebte ich die Ruhe, das alleinsein. Auch, wenn in der Stadt mein Zimmer ist, das ich genauso zu machen kann, so richtig alleine und ungestört fühlt man sich nie. Hier macht man so viel, weil es nicht die Möglichkeiten gibt, sich großartig ablenken zu lassen, das Instagram-Feed ist eben doch sehr schnell durchgescrollt.
Am Wochenende war ich gar nicht mehr begeistert von der Hauptstadt. Da kam mir alles zu voll, zu alleine vor. Das war aber ein anderes alleine. Ein unfreiwilliges, komisches. Ein einsam-alleine. Und obwohl es die schönen Zeiten, am Eislaufplatz, im Museum, gegeben hat, im Großen und Ganzen war ich unzufrieden und hab mich selbst nicht mehr ausgehalten. Hab immer dieselben Wege und Fassaden gesehen und musste raus. Mich ein bisschen abschotten.

Vor zwei Wochen liebte ich meine Wohnung. Liebte ich meine Mitmenschen. Das Kaffee vom Sascha gleich beim Margaretenplatz mit dem Noah drin. Die durchgemachten Nächte waren alle egal, die Energie unbegrenzt. Was mach ich morgen? Was mach ich heute noch? Ich will alles auskosten und alles ausprobieren. Die Universität hielt so Vieles bereit für mich, Physik-Vorlesung und Zellbiologie-Labor. Alle lieben Leute an einem Fleck, und dann alle bei mir zu Hause. Nächte durchtanzen. Nicht auf irgendwelche Rauschmittel angewiesen sein, weil ich soundso überdreht bin. Und die Kunst kommt nirgends zu kurz. Man kann nicht nur der eigenen Kreativität freien Lauf lassen was Kleidung und Kombination betrifft, auch ein Schritt aus der Haustür konfrontiert dich mit Jugendstil und Moderne und Gotik und Historismus. Sogar die Plakate, die überall kleben, sind schon Kunstwerke in meinen Augen. Ich habe Harfe gespielt und war nie allein.

Und so schnell kann das umschlagen. So schnell kann man das eine vermissen und das andere hassen. Sooft bin ich in der Früh aufgewacht und das erste, an das ich denken konnte, war, dass ich so glücklich bin. So glücklich, endlich dem Land entronnen zu sein. Und jetzt wache ich in meinem alten Zimmer, das nicht mehr viel von meinem alten Zimmer durchschimmern lässt, außer dem Schild mit "riots not diets" drauf, auf, nachdem ich die letzte dreiviertel Stunde meinen Wecker gekonnt ignorieren konnte, und strahlte der durch das Küchenfenster scheinenden Sonne entgegen. Einmal ist man hier besonders produktiv. Und plötzlich funktioniert etwas nicht mehr. Man ist voll. Voll von immer wechselnden Eindrücken.

Da muss ein Rückzugsort gefunden werden.

Und, so sehr ich auch wirklich, wirklich froh bin, meine Wohnung, mein Bett in Wien stehen zu haben, so froh bin ich auch um die Tatsache, meinen Neffen vom Kindergarten abholen zu können und mit ihm einen Nachmittag lang Nudeln mit Ketchup zu essen, Frosch zu spielen, fliegen zu lernen und Raupen und Lilis mit unglaublich großem Kopf zu zeichnen. Das ist signifikant für mich. Das ist ausschlaggebend. Und das habe ich erst jetzt realisiert. Seit August war ich nicht mehr wirklich im kleinen Dorf in der Nähe von Tschechien gewesen. Es gab immer etwas zu tun. Zu erleben. Zu entdecken. Aber Abkapseln ist oft die beste Lösung. Beleuchtet alles mit einer anderen Lichtintensität. Prioritäten werden umgeschlichtet.






Die Schatten fallen hier anders. Die Menschen lachen viel mehr. Dort gibt es praktisch keine Infrastruktur. Dort ist alles im Überfluss enthalten. Die Notizbuchseiten werden vollgeschrieben. Dort bleibt es liegen. Keine Zeit für das hier. Keine Zeit für das andere dort. Die Töpfe sind hier größer. Hier steht der Zucker am Tisch und die Bücher im Regal.
Und gerade riecht es nach getrockneten Orangenschalen.

Samstag, 20. Dezember 2014

Was mich momentan fertig macht

Ich sehe so viele Menschen jeden Tag.
So viele unterschiedliche, so viele interessante. Alle sind sie ganz anders.

Und mir wird immer mehr bewusst, wie sehr ich ihnen allen in gewisser Weise hinten nach bin.
Ich entdecke so Vieles von diesen Individuen. Da gibt es zum Beispiel das Mädchen, das mit mir studiert, aber erst 16 ist. Hat einfach zwei Klassen übersprungen. Super intelligent natürlich. Und super schön. Und super lieb. Am Rande halt auch noch.
Dann gibt es den Einen, der einfach unglaublich geschickt ist, jeden Sport wahnsinnig gut beherrscht, beim Eislaufen ohne Probleme rückwärts fährt und Pirouetten dreht.
Oh und sie nicht vergessen, verfasst Schriftstücke, die einfach nur wunderbar sind, wird veröffentlicht, hält Lesungen und nebenbei ist sie super kreativ, kann Kleider nähen, verkauft von ihr selbst gemalte Bilder, macht Linolschnitte und kleine Bücher, die ich ihr sofort abkaufen würde.
Und dann haben wir noch ein Mädchen, die sowieso so einiges beherrscht und dann auch noch perfekte Fotos schießt.
Die, die wunderschön tanzt. Ihn, der so gut Musik machen kann. Den, der einfach nur wahnsinnig viel weiß. Das Mädchen, das von allen gemocht wird, unheimlich kommunikativ ist, super sozial eben, immer unterwegs. Das Mädchen, das sich so gut auskennt in der Weltgeschichte, jeden Tag Zeitung liest, überall mitdiskutieren kann. Ihn, der so gut ist mit Computern. Sie, die fünf verschiedene Sprachen spricht.

Und dann gibt es mich.

Ja, was kann ich?

Abgesehen von schlechten Reimen bin ich gerade schrecklich planlos.
Früher war das irgendwie ein bisschen einfacher. Da gabs die Schule. Da war ich gut. Mittlerweile hat die Universität die Schule abgeklatscht und ich bange immer noch aufgrund eines noch immer nicht veröffentlichten Ergebnis der letzten Prüfung. Ich male mir schon Notfallpläne aus, weil ich das Studium wahrscheinlich sowieso nicht schaffen werde. Irgendwie doch zu dumm oder so.

Ja, und dann gibt es die tausend Dinge, die angefangen in der Ecke lehnen.

Nirgends bin ich ausgezeichnet. Ich kann alles ein bisschen, aber nichts so richtig. Und ich weiß einfach nicht, wie ich mit dem Wissen gerade umgehen soll. Das beschäftigt mich so sehr momentan. Und es tut mir gleichzeitig so, so leid. Ich meine, natürlich freue ich mich unglaublich, wenn ich Talente oder tolle Fähigkeiten an Leuten entdecke, ich finde es immer wieder schön, zu sehen, was andere so drauf haben - ist ja sehr fein für sie. Aber im nächsten Moment muss ich wieder Vergleiche aufstellen. Jedes Mal. Und die Bilanz ist leider immer schlecht.

Ich mach vielleicht einfach doch zu viel, kommt mir dann manchmal vor. Aber irgendwie auch nicht. Weil es dann immer diese Menschen gibt, die gleich noch drei Sachen mehr als ich machen und trotzdem in allem brillieren. Ich kann mich nicht mal gescheid ausdrücken. So viel Zeit wird verschwendet bei mir. In so viel Unnötiges so viel Energie gesteckt. Und dann zerbreche ich mir ewig den Kopf darüber, wie viel ich schon wieder in mich reingestopft habe. Die Zeit könnte so viel optimaler genutzt werden.

Und was mach ich?
Ich weiß es nicht.

Ich sollte viel mehr Schlagzeug spielen. Viel mehr auf meiner Harfe zupfen. Mehr lesen. Mehr schreiben. Ich sollte öfter Fotos schießen und viel mehr lernen. Ich sollte wesentlich mehr Sport machen. Und dann schaff ich nicht mal diese blöde 30 Day Ab Challenge, weil meine Haut so blöd ist und jetzt beschlossen hat, am ganzen Rücken aufzureißen. Und überhaupt. Ich sollte viel, viel mehr. Und weniger essen.
In der Theorie bin ich mir dessen doch eh so sehr bewusst. Aber das mit dem Umsetzen hapert noch so. Vielleicht muss ich mich mit weniger Menschen treffen und so mehr Zeit haben fürs Harfe üben. Vielleicht auch auf gewisse Gebiete spezialisieren und nicht alles machen wollen.

Ich will doch so viel aus diesem Leben raus holen. Ich will doch toll sein. Und natürlich hätte ich gerne Erfolg. Aber irgendwie, ich bin selbst nicht so ganz zufrieden mit dem ganzen. Und dann schaff ich es meistens einfach auch nicht, ein passendes Ende zu finden für meine Einträge. Gerade tue ich mir wirklich schwer, mit meiner Unfähigkeit zurecht zu kommen. Und dann sitze ich bei der nächsten Prüfung und könnte mich selbst schlagen. Und dann sitze ich im Zug neben einer Freundin, die mir Texte vorliest von ihr und pack es nicht, wie schön sie die nicht verfasst hat, und pack es weiters nicht, wie wenig Schönes ich schreiben kann. Und dann stehe ich neben zweien, die eine mit der Kamera, die andere vor einer Wand, die von einem Beamer mit immer wechselnden Bildern bestrahlt wird, und das Ergebnis ist ein Wahnsinn. Und dann denk ich dran, dass ich irgendwann mal gut war im Laufen. Und dann sind mir meine Knie dazwischen gekommen.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Es geht ganz leicht

Ganz leicht gehen. Barfuß, den Waldweg entlang. Die Mathebeispiele lösen, von der Freundin in der Klasse unter dir. Reime auswendig lernen, fürs Konzert später. Listen aufhängen und Dinge abhaken. Eigentlich auch sich überwinden, doch aufzustehen. Doch das Bad putzen. Zeit verstreichen lassen, die doch so wichtig wäre. Angst haben, vor der Zukunft und überhaupt. Sich Dinge von anderen abschauen. Keine Gedanken machen, über Sachen wie Fußball oder Weltgeschehen. Einfach wegschauen, wenn neben dir ein Feuerwerk losgeht. Für die Planung der Feier mehr Zeit aufwenden als für das Lernen für die Prüfung, die dann eigentlich gefeiert werden sollte. Termine übersehen, die vielleicht nicht so unwichtig waren, vielleicht aber auch schon. Stellen in einem Text markieren, eventuell könnte das ja nützlich sein. Sich selbst schlecht und gleichzeitig runter machen. Spiegel abhängen und doch immer hinein schauen. Den Sonnenuntergang verpassen. Pläne schmieden, die dann ja doch nie eingehalten werden. Sich freuen, über kleine Dinge, Schnee neben den Gleisen zum Beispiel. Verwundert sein, über manche Aussagen. Sich schwer tun, neben bestimmten Menschen zu stehen. Zu viel Platz einnehmen oder zu wenig. Nicht auf sich selbst achten, alles schleifen lassen. Radfahren, nachdem man es als Kind sowieso schon beigebracht bekommen hatte. Einfach weiter über sich reden, nicht zuhören. Geschenke einwickeln, das Überlegen dazu ging vielleicht nicht so einfach. Redoxreaktionen ausgleichen, nachdem der Algorithmus dazu verinnerlicht worden war. Menschen betrachten, sich selbst deswegen weniger schätzen. Immer Vergleiche machen. Mit der Schwester streiten, über unwesentliche Dinge. Fremde in der U-Bahn ansprechen, man muss es sich nur vorgenommen haben. Zu viel vornehmen und dann gestresst sein. Selbstmitleid haben und nicht davon wegkommen wollen. Geld ausgeben, für die tolle Tasche. Einen ganzen Tag nur Kaffee trinken, weil der Kopf noch nicht so richtig funktioniert. Spontan Treffen absagen. Immer Neues beginnen und nichts fertig machen. Kritik zu ernst nehmen, unreflektiert hinnehmen. Geschwollene Sätze formulieren, die eigentlich schön hätten sein sollen. Auf Mails nicht antworten. Mit neuen Schuhen laufen. In alte Muster zurückfallen, dadurch auf der Stelle treten. Ganz viel wollen, das dann sowieso nicht erreicht wird. Dinge verschweigen. Türen einfach offen lassen, sich nicht verabschieden. Alleine seien und sich keine Hilfe holen. Nicht einsehen, dass etwas schief läuft. Die Mitmenschen um einer ignorieren. Die Augen fallen zu.

Samstag, 13. Dezember 2014

Beobachten aus dem Alltag oder: Was ich mir gerade denke

Das schlechte Gewissen, das ich nach dem Essen habe, das mag einfach nicht weg gehen. Manchmal ist es auszuhalten, da kann ich es verdrängen, in die Ecke stellen, überspielen. Meistens aber esse ich solche Unmengen und bin danach richtig sauer auf mich selbst. Ich schaff einfach den Mittelweg nicht. Entweder nichts oder zu viel. So schaut es aus. Oder so kommt es mir zumindest vor. Und das ist gerade das, was mich momentan besonders beschäftigt.

Meine Unfähigkeit, normal zu sein, was auch immer das jetzt auch sein mag.


Genau. Normal. Aber was ist das bitte schon wieder?

Momentan kommt es mir vor, als hätte sowieso niemand ein normales, ein gutes Essverhalten. Wenn ich so an mein Umfeld denke, würde mir niemand einfallen, der oder die sich gesund, aber nicht übertrieben gesund, nicht einseitig, konsequent, nicht zu viel aber auch nicht zu wenig ernähren.
Da gibt es die einen, die den ganzen Tag nichts zu sich nehmen, weil sie in der Nationalbibliothek sitzen. Die nicht dran denken und dem Körper die Energie nicht zuführen, einfach aus dem Grund, dass sie ihm nicht zuhören, nicht hinhören. Sie vergessen auf das Tanken.
Als nächstes muss ich an Menschen denken, die so gut wie kein Gemüse oder Obst zu sich nehmen, die von Fertiggerichten, von Schnitzelsemmeln leben. Nie frisch kochen. Leute, die nicht einkaufen gehen und dann den ganzen Tag Tee trinken müssen, weil sie einfach nichts daheim haben.
Dann gibt es die, die dauernd darüber reden. Die sich zwar vielleicht auch gesund ernähren, aber bei denen ich immer an mein eigenes Denkverhalten erinnert werde. Bei denen bin ich mir nie sicher. Ich mein, man darf sich ja über Essen Gedanken machen. Das ist auch sicher gut so. Man tankt ja Energie, man braucht ja Nahrung, und das sollte doch überwiegend die "Richtige" sein. Aber immerzu über irgendwelche Lebensmittel philosophieren, vom Letzten irgendwas schwärmen. Das ist nicht nur triggernd für mich, das nimmt ja dann auch die Selbstverständlichkeit von Nahrung, von Ernährung weg. Gut, aber bis zu welchem Grad ist - bei uns, sehr wohl gemerkt, ich weiß ja, dass ich das ganz bestimmt nicht global sehen darf - Selbstverständlichkeit beim Essen geboten?
Dann fallen mir noch Menschen ein, die zu wenig essen. Ganz zierlich sind und nicht einmal ein ganzes Weckerl verdrücken. Dauernd krank. Schwach und blass.
Und die, die immer in den Spiegel schauen. Das hat vielleicht nicht gleich was mit Essen zu tun, aber eigentlich auch. Ich kenn so viele, die mit ihrem Körper nicht zufrieden ist und Nahrung ist da einfach ein gutes Ventil. Man hat ein schlechtes Gewissen, weil das Tortenstück wirklich nicht mehr hätte sein müssen.
Außerdem kenne ich Leute, die so penibel gesund sind, kein Zucker, kein Soja oder was auch immer gerade verteufelt wird. Kaffee sowieso nicht. Die vom Essen, das vielleicht nicht gerade Bio-zertifiziert ist, als Gift sprechen. Da kommt es mir dann immer so vor, als würde die ganze Freude von Nahrung weggenommen werden.
Oh, und bitte nicht all die lustigen Menschen im Internet vergessen. Ich war in ein paar Gruppen, die um Veganismus handeln. Das war ich aber wirklich nicht lange. Nach dem dritten Post, der irgendwie in Beschimpfungen und Anschuldigungen entartet ist, bin ich reihenweise wieder ausgetreten.

Und dann gibt es Leute wie mich. Die irgendwo alles in einem sind. Streng mit sich selbst. Kein Süßkram. Kein dies. Kein das. Die einen Tag lang nur von Tee leben, aber nicht, weil sie darauf vergessen, nein wirklich nicht. Einfach, weil der bessere Ausweg noch nicht gefunden worden ist. Die die Spiegel am Liebsten zerkratzen würden. Die dann aber doch in sich reinstopfen. Und noch eine Schale Müsli. Mal sind sie stolz drauf, mal könnten sie danach in Tränen ausbrechen. Die ihren Körper so gar nicht kennen. Wie viel ist jetzt gut, wie viel brauch ich jetzt?

Also. Wer hat jetzt ein gutes Essverhalten? Oder wer hat das Bessere?

Irgendwo gibt es mir auch ein wenig Halt, dass so Viele nicht so perfekt damit klarkommen, sich selbst zu ernähren. Auch, wenn das jetzt eventuell gemein klingt. Natürlich wünsche ich niemanden, irgendwie Probleme in die Richtung zu haben, wirklich nicht. Aber es befreit ein wenig von dem Druck, doch endlich, endlich wieder normal sein zu können. Weil das sowieso niemand ist. Weil sowieso alle irgendwie nicht wissen, was sie tun sollen. Und zu wenig essen ist genauso ungesund, wie zu viel. Und was ist überhaupt gesund? Und was zu viel? Brauch ich jetzt viel an Essen oder nicht? An was soll ich mich richten? Wer darf mein Maßstab sein?

Ich versuche zumindest, gesund zu sein. Regelmäßig essen. Ich weiß, das ist wichtig. Auch wenn ich mir oft mal denke, heute sollte ich mal wieder das Abendessen weglassen. Oder gleich beim Frühstück mit dem Kaloriensparen anfangen. Es wär doch so einfach, jemanden zu haben, der dir deine Portionen hinträgt, die genau sagt, was du in welchem individuellen Moment brauchst. Aber das spielts halt leider nicht. Und ich muss mich in die Reihe der missglückten Essverhalten einordnen.