Donnerstag, 27. Februar 2014

la familia

Wenn man den Grund einer psychischen Krankheit sucht, beginnt man die Suche meistens in der Familie - gab es traumatische Erlebnisse in Kinderjahren, bekam man im richtigen Maße Aufmerksamkeit, wurde man misshandelt, hat man ein gutes Verhältnis zu den Eltern, zu den Geschwistern...?

Zu Beginn meiner Therapie hat meine Therapeutin auch sehr, sehr viel über meinen Stammbaum nachgefragt und eine Art Familiengeschichte verlangt. Wahrscheinlich sind wir noch alle so von Sigmund Freud geprägt und beeinflusst, dass der erste Blick immer auf die Kindheit geworfen wird, dass irgendetwas im Unterbewusstsein stecken geblieben sein könnte und sich jetzt in einer kranken oder krankhaften Weise erkennbar macht.

Das mag schon oft zutreffen.

Bei mir aber nicht.

Es kann für diese Art von Krankheit so viele Gründe geben, bei mir war es auch sicher ein Zusammenspiel von mehreren Komponenten, von denen ich sicher nicht alle benennen kann. Doch bei einem bin ich mir zu hundertzehn Prozent sicher: mit meiner Kindheit kann es einfach nichts zu tun haben.








Um einen kleinen Einblick in mein (familiäres) Umfeld zu bekommen, würde ich diesen Post gerne dazu nutzen, mein lustiges Familienkonstrukt zu erleutern.

Also, wie schon angedeutet, hatte ich die beste Kindheit, die man sich nur irgendwie vorstellen könnte. Ich bin am Land aufgewachsen, in einem Land, in dem es alles im Überfluss gibt und man sich eigentlich über nichts Sorgen machen muss. Wenn ich wollte, konnte ich immer schon in den Wald gehen, mit meiner Nachbarin einen Picknick-Ausflug unternehmen - bei denen immer die Körbe meiner Mutter verloren gingen - oder ins nächste Dorf fahren, um schwimmen zu gehen. In dem Ort, in dem ich groß (naja, groß ist relativ) geworden bin und in dem ich jetzt noch für die nächsten paar Monate lebe, wohnen 89 Wahlberechtigte und vielleicht 8 Kinder, das heißt, alle kennen alle und alle verstehen sich im Großen und Ganzen - natürlich, da es hier tiefstes Land ist, teilen die meisten hier so überhaupt nicht meine Einstellung oder die meiner Familie, aber ansonsten gehen alle sehr herzlich miteinander um. Meine Nachbarin von gegenüber, die ganz lange meine allerbeste Freundin war, ist nur um fünf Monate älter als ich und ich habe die liebsten Eltern und die tollste Schwester, die man sich nur vorstellen kann.

Meine Eltern sind schon seit Ewigkeiten zusammen und waren wirklich immer, bei allem, was ich so machen wollte, furchtbar unterstützend. Sie haben mich überall hingeführt, was leider am Land notwendig war, weil das öffentliche Verkehrssystem wirklich ausbaufähig ist. Aber sie hätten auch einfach sagen können, dass sie keine Lust dazu haben und ich hätte dann nicht Schlagzeugunterricht nehmen, Jazzdance tanzen, mindestens viermal in der Woche Sportakrobatik-Training haben, in einer Malakademie zeichnen lernen, Theater spielen, fort gehen oder mich mit Leuten treffen können. Aber dem war nicht so. Deswegen bin ich ihnen auch wirklich unendlich dankbar, auch, wenn ich es ihnen nicht sooft zeige. Eigentlich sollte ich mich viel erkenntlicher zeigen. Hoffentlich ist ihnen bewusst, wie unglaublich ich das zu schätzen weiß, was sie alles für mich getan haben; allein die Kilometer, die sie für mich zurücklegen mussten, sind unzählbar.

Aber sie waren auch immer wundervolle AnsprechpartnerInnen. Ich konnte und kann immer zu ihnen kommen, wenn mir etwas am Herzen läge. Und die beiden haben noch ganz, ganz viele tolle Eigenschaften mehr...

Meine Schwester, die achteinhalb Jahre älter als ich ist, ist mehr beste Freundin als große Schwester für mich. Es war früher natürlich nicht immer optimal, dass ich sie eher selten habe sehen können, da sie ziemlich früh von zu Hause auszog. Ich habe sie immer schrecklich vermisst und deswegen bin ich umso glücklicher, sie jetzt öfter sehen zu können. Das wird überhaupt unglaublich komisch werden, wenn ich dann ebenfalls in der Hauptstadt wohne und sie nicht mehr sooft sehen kann...
Aber mit ihr kann ich über alles reden und sie ist so ein irrsinnig intelligenter Mensch, auch, wenn sie das selbst manchmal unterschätzt. Und sie schafft so Vieles. Sie hat ein fast dreijähriges Kind, einen Haushalt zu managen, sie lernt Schneiderin und muss in der Berufsschule Tests und Schularbeiten meistern, dort brilliert sie überhaupt extrem, einen Freund, den es zu beschäftigen gilt und schaut einfach immer perfekt aus. Sie ist mein großes Vorbild. Eigentlich habe ich keine Ahnung, was ich nur machen würde, hätte ich sie nicht - das wäre wirklich furchtbar...




Man kann überhaupt sagen, dass bei uns alles sehr freundschaftlich zu geht. Zwischen den Eltern und uns gibt es nicht so eine große Distanz.
Ja, gut, wir streiten manchmal - derzeit leider öfter, weil ich immer so leicht durchdrehe - aber wir versöhnen uns auch genauso schnell wieder. Wir können über Themen reden, für die sich wenige hier interessieren, ich aber dafür umso mehr.
Wir haben auch eine relativ große Geschenkskultur. Das heißt, dass, zumindest Mutter, Schwester und ich, zu jedem möglichen Anlass versucht wird, so originell wie möglich zu schenken. Irgendwie finde ich das nett. Man macht sich Gedanken über diese Person und möchte ihr eine Freude bereiten.

Wenn ich das so schreibe, bemerke ich richtig, wie schrecklich schwierig es ist, auszudrücken, wie es bei uns daheim zu geht, wie unser Verhältnis zu einander ist. Ich versuche mit irgendwelchen Formulierungen irgendwie an die Wahrheit ran zu kommen, aber es gelingt mir nicht richtig.
Ich habe nämlich eine so wunderbare Familie. Und es tut mir so fürchterlich leid, durch was sie haben durch müssen mit mir. Ich war nämlich weder dankbar noch sonderlich nett in der letzten Zeit, habe alle Nerven strapaziert und viele Streitigkeiten ausgelöst.

Hoffentlich kann ich mich bessern. Ich will es auf jeden Fall versuchen, denn das, was ich teilweise mache, haben sie wirklich nicht verdient. Und eigentlich haben sie es auch nicht verdient, mit so einer Krankheit umgehen zu müssen.

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