Dienstag, 6. Mai 2014

6. Mai und Matura

Vor einigen Monaten habe ich irgendwo - ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wo ich diese Information her habe - gelesen, dass am sechsten Mai der internationale Anti-Diät Tag gefeiert wird. Das habe ich mir natürlich sofort in den Kalender geschrieben.

So, und heute ist es so weit. Heute ist aber nicht nur Anti-Diät Tag, sondern auch Tag meiner Englisch-Klausur. Gestern hat nämlich meine schriftliche Matura begonnen und ich habe, Deutsch und Englisch schon hinter mich gebracht, ein schrecklich schlechtes Gefühl. Versteh mich bitte nicht falsch, nicht, dass ich glaube, durchgefallen zu sein, aber ich weiß nicht, ob ich meinen Einserschnitt halten kann. Aber das ist eigentlich auch nebensächlich, dank meiner Fachbereichsarbeit ist es mir sowieso nicht mehr möglich, in Deutschland Medizin studieren. Tja, dieser Traum ist wohl geplatzt.

Auf alle Fälle finde ich es wahnsinnig wichtig, dass es solche Tage gibt. Und damit meine ich jetzt nicht Englisch-Matura-Tage, nein, auf die könnte die Welt sicherlich verzichten. Es ist einfach unglaublich, wie viel Einfluss die Mode- und Diätindustrie auf unsere Köperwahrnehmung haben. In einer Gesellschaft, in der schon jedes zweite 11jährige Mädchen* - das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Jedes Zweite! - mindestens einmal in ihrem Leben Nahrungsmittel weggelassen hat, nur, um ein gewisses Ideal zu erfüllen, ist es von besonderer Wichtigkeit, auch hinsichtlich dieser Themen zu sensibilisieren. Ich meine, ich spreche ja irgendwie aus Erfahrung, überall kann man sich über Diäten informieren, ja, es wird sogar Werbung für eben diese gemacht, und wenn man einmal angefangen hat, bei mir machte übrigens die "Zitronendiät" den Anfang, schrecklich, richtig schrecklich ist die, dann möchte man die nächste beworbene Restriktion ausprobieren.

"Ich finde es daher wichtig, hervor­zuheben, dass es an diesem Tag nicht darum geht, Menschen für ihre Diät­erfahrung zu beschämen, aber die Strukturen der milliarden­schweren Diät­industrie, hegemoniale Schönheits- und Schlankheits­normen, diskriminierende Körper­politiken und gesundheits­gefährdende Diäten kritisch in den Blick zu nehmen."

Das stammt von dem kleinen Post auf Mädchenmannschaft, einem Blogger*innenkollektiv, der sich diesem Thema widmet.

Irgendwie wird über das gar nicht gesprochen. In der Schule zum Beispiel fällt über das Thema Diäten, zumindest in meiner, kein Wort. Es wird auch schon als völlig normal und alltäglich angesehen, dass im Kühlregal beinahe mehr "light"-Produkte stehen, als Konventionelle. Viele Menschen greifen zu diesen, weil sie glauben, sie würden damit etwas für die Figur tun, damit sie das von den Medien konstruierte Idealbild erreichen. Aber es wird nicht darüber nachgedacht, wie man denn das Fett dem Joghurt entzieht, oder wie es sein kann, dass ein Energiedrink null Kalorien hat. Da werden chemische Prozesse angewendet, alterfalter, wie eine Freundin zu sagen pflegt, das glaubt man gar nicht.
Außerdem ist man ja durchgehend von Diäten im privaten Leben konfrontiert, und nicht nur diverse Magazine preisen diese an, sondern immer mehr Menschen, vorwiegend Frauen*, erzählen von ihren Erfolgen. Meine Lateinlehrerin beispielsweise hat diese "Morgen-darf-ich-essen-was-ich-will"-Diät gemacht und uns davon detailliert geschildert. Ich mein, wenn wir in der Schule schon mitbekommen, dass Diäten was Tolles sind, ist es doch klar, dass wir irgendwann einmal ein komisches Verhältnis zu Essen entwickeln, oder?

Auf jeden Fall wünsch ich allen einen frohen No-Diet-Day. :)

"Die Magersucht-Thematik ist komplex und hat nur vordergründig etwas mit Schick- und Schönsein zu tun. Es geht vielmehr darum, die eigene Disziplin, Tüchtigkeit und Unbeirrbarkeit ständig neu zu beweisen – gerade auch, wenn andere den Magerwahn kritisieren. Der 6. Mai ist also ein guter Tag, um uns zu fragen, welche Werte unsere Gesellschaft vermittelt. Aber vielleicht sollte er nicht Anti-Diät-Tag sondern Anti-Perfektionstag heißen."
Hier übrigens noch einen Artikel von der Zeit: Gegen den Perfektionswahn


Und jetzt zum Alltag...

Es ist ganz lustig. Ich glaube, dass ich schon ein großen Gesprächsthema war, damals, am Schulanfang, wo mich alle Leute wieder einmal gesehen haben. Ich möchte mich damit jetzt nicht irgendwie selbst inszenieren oder für wichtiger darstellen, als ich es bin, aber ein wenig glaube ich doch daran, dass manche Menschen das ein oder andere Wort über mich verloren haben. Vielleicht hat eine Sechstklässlerin von mir daheim am Essenstisch berichtet, ein Menschen aus der Nebenklassen miteinander über mich diskutiert oder dieses Thema kam einmal im Lehrer*innenzimmer auf. Ich weiß es natürlich nicht, aber ich könnte es mir vorstellen. Und auch, als es besser geworden ist, da ist mir zumindest aufgefallen, dass, wenn ich am Gang etwas Essbares in der Hand hatte, ich den ein oder anderen Blick abbekommen habe.
Wie dem auch sei, habe ich mich heute irgendwie gefragt, wie das jetzt ist. Ich glaube nämlich eigentlich, dass ich aus den Gedanken meiner Mitschüler und Mitschülerinnen sowie Lehrpersonal größtenteils verschwunden bin. Jetzt esse ich ja eh, und jetzt sieht man mir die Anorexie ja überhaupt nicht mehr an, ganz im Gegenteil. Niemand kann dieses Zweigeteilte in mir erkennen und man könnte durchaus annehmen, ich sei wieder ganz gesund.
Das ist natürlich schön, dass man das denken könnte. Andererseits macht es mich auch irgendwie stutzig. Wer hat noch Probleme, die man ihr*ihm nicht ansieht? Und außerdem, wie kann es sein, dass man sich so wenig für die direkten Mitmenschen interessiert, dass man so ein Thema so schnell wieder abhaken kann?

Oh, das möchte ich auch noch kurz teilen: ein wunderbarer Poetry Slam:


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kleiner Nachtrag:
Das hat jetzt allerdings wenig mit der Thematik des obrigen Blogposts zu tun, aber mir ist es dennoch ein Anliegen, es hier noch einmal zu schreiben. Immerhin geht es ebenfalls um den heutigen Tag.
Gerade habe ich nämlich im online-standard gelesen, dass die österreichische Künstlerin Maria Lassnig heute verstorben ist. Das hat mich gerade so traurig gemacht, weil ich sie wirklich bewundert habe. Ich weiß noch genau, dass ich mir das tolle Interview, das wir einmal durch den Printstandard nach Hause geschickt bekommen haben, aufgehoben und in meine Zeitungsartikelmappe geheftet habe. Sie war wirklich eine tolle Frau, so mutig, so wild. Und auch ihre Bilder waren sagenhaft - ich habe sogar einige von ihnen auf der letztjährigen Biennale in Venedig zu Gesicht bekommen.
Naja, wie schließt man sowas ab? Soll ich ganz banal Rest In Peace schreiben? Hm... Auf alle Fälle, falls das jemand lesen sollte, googelt (oder benützt Ecosia dafür :-) ) sie und lasst euch durch ihr Leben inspirieren!
"Ich werde nach meinem Tod noch lange nicht so gewürdigt sein, wie ich es sollte. Das klingt hochmütig, ist aber so."

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