Gestern in der Uni. Eine Mitstudentin und ich haben auf die nächste Vorlesungseinheit gewartet und geplaudert. Eigentlich wollten wir ja Chemie lernen. Tja. Wie das halt immer kommt. Sie erzählt von ihrer Schulzeit. Ihrem Freund. Seit sie elf ist, ist sie schon verliebt in ihn. Wahnsinn eigentlich. Aber schön - das gibt irgendwie Hoffnung. Uh klingt das kitschig. Aber wenn es wirklich Menschen geben sollte, die wie für einander gemacht sind, dann gehören wohl die beiden dazu. Gut. Und dann die Frage: Hast du eigentlich einen Freund? Hm. In meinem Kopf kommen auf einmal hundert Gedanken, die alle durcheinander zu wirbeln scheinen. Was antworten? Am Besten einfach nicht auf die Betonung des Freundes eingehen.
Nein. Bin in keiner Beziehung.
Wie lange bist du denn schon Single? Ist sicher auch toll!
Da musste ich jetzt wirklich überlegen. Was gilt als Beziehung, was nicht? Ich erzähle ein bisschen was.
Und, hättest du gerne wen?
Schon wieder so eine schwere Frage!
Ja. Nein. Keine Ahnung.
Und dann antworte ich, dass es sicher schön wäre, aber ich momentan keine so starke Bindung eingehen kann. Dafür geht es mir psychisch nicht gut genug, sage ich. Gehst du zu einer Psychologin? Ja. Was hast du denn, oder was ist passiert?
Eigentlich mag ich ihre Direktheit sehr gerne. Ist doch toll, wenn jemand so offen Fragen stellen kann. Sie ist interessiert und möchte etwas wissen. Warum denn nicht einfach drauf los fragen? Die Option, zu sagen, dass ich darüber nicht unbedingt reden möchte, habe ich ja sowieso. Aber kann man das auch wirklich tun? Zu sagen, dass ich nichts sagen will?
Wieder tausend Gedanken.
Will ich ihr wirklich so ein Bild machen von mir?
Ich sags einfach! Und rede drauf los... Was so passiert ist, was ich so gemacht habe die letzten eineinhalb Jahre. Und auch ein bisschen davor.
Ich bewohne die Hauptstadt - wie schon unendlich viele Male geschrieben. Lerne ständig neue Leute kennen und komme ins Gespräch mit völlig Fremden, die sich dann als wunderbare Freunde oder Freundinnen entpuppen. Und jedes Mal überlege ich aufs Neue. Muss es mir peinlich sein? Kann ich einfach erzählen.
In unserer Gesellschaft wird mit psychischen Erkrankungen ganz komisch umgegangen. Am besten geleugnet und unter den Tisch gekehrt. Exotisiert und tabuisiert. Man ist doch eh selbst Schuld daran. Und dann kommt man, dann komme ich, immer mal wieder in die Situation, darüber reden zu wollen, zu können, zu müssen.
Vielleicht wäre es einfacher, nichts zu sagen. Vergessen. Ist nie passiert. Ich weiß es, die Leute, die mich in der Zeit gesehen haben, wissen es. Das sollte doch reichen. Wieso großartig sprechen darüber und Leute einschüchtern oder in eine Position bringen, die für sie unangenehm sein könnte?
Das ist ein Zwiespalt.
Was halten die Menschen dann genau von mir, nachdem ich ihnen anvertraut habe, dass ich ein Problem hatte beziehungsweise habe, mich selbst zu ernähren? Was für eine Reaktion erwarte ich? Was für eine möchte ich denn überhaupt?
Ich rede aber darüber.
Ich denke mir, wenn ich hier im Internet über meine Tage schreiben kann, wieso denn nicht auch den Menschen erzählen, die mir immer näher kommen? Irgendwo ist es doch ein Teil von mir. Zumindest von meiner Geschichte. Nicht? Gehört halt dazu. Erklärt vielleicht auch einiges.
Und dann denke ich mir auch noch zusätzlich, was wäre, wenn ich mir den Fuß einmal gebrochen hätte und deswegen irgendwas Bestimmtes nicht machen könnte? Wenn ich Krebs hatte? Natürlich möchte ich jetzt Anorexie und einen Tumor nicht miteinander vergleichen. Aber was ich tun möchte, ist, eine Relation zwischen physischen und psychischen Problemen aufzustellen. Hat ja beides was mit dem Körper zu tun. Wirkt sich ja beides auf die Umwelt und auf dein Innenleben aus.
Wieso ist unser Verhältnis zum gebrochenen Fuß dann ein so enorm anderes als zur Depression? Wieso muss man sich dafür schämen, zu einer Therapiesitzung zu müssen? Der Zahnarztbesuch ist doch auch völlig okay.
Ich bin so. Ich war so.
Will ich es ändern?
Natürlich. Aber irgendwie, ich weiß nicht so recht es zu beschreiben, aber irgendwie bin ich auch ein wenig froh. Eine Erfahrung mehr. Unzählige Erfahrungen mehr. Meine Denkweise hat sich geändert und meine Ansicht. Ich bin bei gewissen Themen sensibilisierter und kann vielleicht Dinge verstehen, bei denen sich andere schwer tun. Es ist halt viel passiert. Viel Blödsinn natürlich.
Trotzdem.
Ich will ja auch gerne wissen, was meine Liebsten, die Menschen, die ich häufig sehen und schöne Gesprächspartnerinnen so getrieben haben in ihren bisherigen Tagen, und wenn das exzessive Kalorienzählen dazu gehört, dann gehört das dazu. Schön reden will ich es natürlich nicht. Und auf die Nase binden auch nicht. Aber wenn schon gefragt wird, wenn es in die Situation passt, wenn ich das Bedürfnis habe, mich anzuvertrauen. Ja, wieso denn dann eigentlich nicht?
Wieso muss man sich verstecken mit psychischen Themen? Warum wird in so einer komischen Art damit umgegangen? Ich kann für meine Orthorexie vielleicht genauso viel wie für meinen gebrochenen Ellenbogen. Irgendwo ist es selbst verschuldet. Ja, okay.
Und natürlich, mir ist es unangenehm, weil es viele Menschen abschreckt. Deswegen überlege ich auch zweimal. Und so lange ist das bei mir auch noch nicht her. Irgendwie steck ich da ja noch drinnen.
Also, siehst du eine Psychologin?
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