Was ist eigentlich Produktivität? Produktiv sein. Ist es produktiv, wenn ich mit meinem kleinen Neffen Fußball spiele und Blumen in unsere Sandburgen stecke? Ist es produktiv, wenn ich mir Inspiration aus dem Internet hole, wenn ich meinen Tumblr-feed rauf- und runterscrolle? Ist es produktiv, im Zug zu sitzen und einen Blogeintrag zu verfassen? Ist es produktiv, zu schlafen? Dem Körper die nötige Ruhe und noch ein bisschen mehr zu gönnen. Ist es produktiv, den ganzen Tag damit zuzubringen, wahllos Artikel von der Zeit zu lesen und das Internet nach feinen Blogs zu durchforsten? Ist es produktiv, mit meiner Nachbarin die halbe Nacht lachend am Balkon eine Weinflasche nach der anderen zu leeren? Ist es produktiv, einfach mal nur den Vögeln beim singen zuzuhören und daran zu denken, wie ihr Gezwitscher unter Anderem dadurch zustande kommt, dass ein Vöglein zunächst eine basale Lerndisposition was Frequenz und Tonhöhe betrifft besitzt, der eigentliche Gesang allerdings geprägt ist? Ist es produktiv, ein Buch nach dem anderen zu verschlingen, die Liste noch zu lesender Bücher aber immer weiter wachsen zu lassen? Ist es produktiv, all die Emotionen, die so in einer vor sich gehen, auf Papier zu bringen? Oder ist es bloß produktiv, wenn irgendein Zusammenhang mit Lernen oder Verbessern gegeben ist? Das würde ja all das oben Angeführte ausschließen. Würde das außerdem bedeuten, dass neue Lieder auf den Instrumenten einzustudieren unter Produktivität einzuordnen ist? Oder gehört das zu einem trivialen Zeitvertreib, zu Zerstreuung? Wo sind die Grenzen? Ist es produktiv, Bilder in ein Büchlein einzukleben und Zitate daneben hinzuschreiben, Collagen anzufertigen, Bilder von verränkten Händen zu zeichnen? Wer entscheidet das? Und wer ist ohne Pause produktiv? Wenn es mir guttut, kann ich es dann als produktiv beschreiben? Habe ich überhaupt ein Recht dazu, irgendeine Definition zu erfinden oder eine andere zu glauben? Wer definiert? Ist Musik produktiv? Ist essen produktiv? Ist Radfahren produktiv, auch, wenn man es bloß um des Radfahrens Willen macht und eigentlich kein Ziel hat?
Ich schaue gerade aus dem Fenster und bewundere die Landschaft. Gedanken an die romantische Strömung in der Kunstgeschichte um 1800 kommen mir in den Sinn. Die von Gott geschaffene Natur ist bescheiden und bewundernswert. Ich glaube nicht an Gott. Aber ich glaube an so viel anderes. Ich habe jetzt so viel Wissen in meinem Kopf gespeichert und weiß gar nicht, wohin damit. Hat das etwas mit Produktivität zu tun? So viel zu wissen, mit dem man nicht unbedingt etwas anfangen kann? Natürlich, ich bin immer für einen fun fact zu haben und mir fallen alle möglichen Künstler - leider wirklich bloß männliche, Kunst ist patriarchalisch, eh schon wissen - in bestimmten Situationen ein. Ich habe auch lange genug über meinem selbstgeschriebenen Kunstgeschichteskriptum gesessen und mir Jahreszahlen versucht einzuprägen und auch die unterschiedlichsten Charakteristika verschiedener Epochen. Und am Ende eines jeden Tages, der daraus bestanden hat, dass ich lerne, zwischendurch als Ablenkung auf meiner Harfe herumgezupft habe oder Rad gefahren bin, bin ich mir doch irgendwie unproduktiv vorgekommen. So viel habe ich jetzt auch wieder nicht geschafft an diesem Tag. Das Zimmer ist nicht aufgeräumt, ich sollte mal wieder ein bisschen was schreiben und überhaupt, so Vieles ist einfach liegen geblieben. Hier entstand auch für einige Zeit gähnende Leere und mein Gewand sollte mal wieder aussortiert werden. Was passiert eigentlich gerade in der Politik? War da nicht was mit Russland? Und hat Gabalier nicht schon wieder einen Blödsinn verzapft? Achja! Schlafen wäre auch mal wieder angesagt. Schlaf ist unproduktiv, da mach ich doch nichts, ich liege stundenlang unter Deckenbergen - da muss ich dazusagen, dass mir leider wirklich immer schrecklich kalt ist - begraben und dreh mich vielleicht alle Viertelstunden von rechts nach links, seufze drei mal. Das wars. Aber für mein Gehirn, für meinen Körper ist diese Zeit des Nichtstuns unerlässlich, nicht? So viel wird reguliert und überprüft und wieder auf Normalzustand gebracht. Mein Parasympathikus geht rauf. Mein Sympathikus geht runter. Spieler - Gegenspieler.
Und die endlosen Stunden, in denen ich mir Fotografien, Bilder anschaue und aufgrund von lustigen Formulierungen schmunzeln muss, was ist mit denen? Die tun mir wiederum gut. Meiner Seele. Wie esoterisch. Kann ich das produktiv nennen? Ich mach doch nichts, außer mit meinen rechten Zeige- und Mittelfinger über mein Mauspad zu fahren. Ich mach ja nichts. Mach keinen Sport, arbeite nicht an meiner Figur, verbringe keine Zeit draußen oder verbessere irgendeine Fähigkeit.
Also, was ist produktiv sein?
Jetzt, nachdem ich diese für mich wirklich nervenaufreibende Matura hinter mich gebracht habe, habe ich vor allem eines getan: geschlafen. Ich habe fast jeden Tag bis mindestens halb zwölf zu Mittag im Bett mit geschlossenen Augen und ruhigem Puls gelegen. Entspannt. Ich weiß nicht, ob ich das irgendwie gebraucht haben könnte. Ich weiß nur, dass ich mir doch sehr schlecht vorkomme. Habe ich irgendetwas geleistet? Ich hab den Geschirrspühler einmal ein- und ausgeräumt. Zählt das? Ich hatte die meiste Zeit mein Mobiltelefon in Händen und habe mein Instagram-feed aktualisiert. Meine Schlagzeugsticks nur selten angerührt - zu müde! Ich bin im Bett gesessen uns habe Tee getrunken. Krank bin ich nämlich auch noch geworden letztes Wochenende. Auskurieren. Ich muss doch für London gesund werden! Das hat dem Ganzen auch noch mal einen drauf gesetzt. Wenn man verschnupft, verkühlt und ohne Stimme im Bett liegt, wie kann man dann irgendwelchen Tätigkeiten nachgehen, die auch nur annähernd etwas mit Produktivität gemein haben? Ist es produktiv, wenn ich mich mit diversen Serien ablenke?
Vorgestern habe ich erst wieder 10 Seiten - wirklich, es waren 10 - in mein Tagebuch gekritzelt, was ich nicht alles will. Und ich will viel. Mir macht auch so, so Vieles Spaß und ich mache einige Dinge gerne und mit Begeisterung. Ist es also produktiv, wenn ich das mag, was ich tue? Kann ich auch mit anderen gemeinsam produktiv sein, indem einfach bloß geredet wird?
Und muss ich eigentlich produktiv sein? Was bringt mir das? Ich kann am Abend besser schlafen, mit dem Bewusstsein, etwas getan zu haben. Das ist allerdings wahr. Ich kann mit mir selbst zufriedener sein. Anerkennung? Bekommt man vom produktiv sein anerkennende Worte, Blicke, Gedanken zu spüren? Von anderen.
Ich wäre gerne ein produktiver Mensch. Ich würde auch gerne besser sein in bestimmten Disziplinen, wie schon mal erwähnt, an mir arbeiten und mich verbessern. Ich gehe aber auch total darin auf, einfach nur mit meinem Zwergenneffen Trampolin zu springen und die Zeit zu vergessen.
Was ist Produktivität? Ist es lesen? Ist es lernen? Ist es Spaß haben? Was darf ich unter diesem doch durchaus abstrakten Begriff verstehen? Und was nicht? Hat es etwas mit Persönlichkeit und Können zu tun? Ist es individuell geprägt? Sind wir alle produktiv?
Was ist Produktivität? Produktiv sein. Dinge machen, Taten sprechen lassen.
Freitag, 27. Juni 2014
Der Drang, etwas zu tun
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Ach ja,die Produktivität...
AntwortenLöschenIch brauche immer ein neues Ziel um überhaupt glücklich zu sein. Am Ende zählt die Vorfreude, die Vorbereitung und nicht das Ziel selbst. Wenn ich was erreicht habe, dann kann ich dadurch noch mehr erreichen. Ich finde immer wieder ein neues Ziel, dass ich mir setzen kann. Letztendlich ist es eine konstante Reizüberflutung...
Wie auch immer, sehr gut geschrieben, hat mir gefallen!