Wenn man abnehmen möchte, macht man sich doch eigentlich nie darüber Gedanken, was das für Folgen nach sich ziehen könnte, oder? Ich meine, natürlich glaubt kein Mensch, dass sier eine Essstörung bekommen könnte oder sonstige psychische (beziehungsweise psychosomatische) Probleme, doch selbst auf die körperlichen Nebenerscheinungen wird meist vergessen.
Oder hast du gewusst, dass du dir deine Speiseröhre mit deinen Magensäften verätzen kannst, wenn du zu oft dein Essen wieder hochkommen lasst? Aber auch, dass ein potentielles Nebenrisiko von Anorexie Gehirnrückbildung ist?
So etwas sollte man meiner Meinung nach eigentlich in der Schule lernen, aber ich glaube, wir haben genau eine halbe A5-Seite über Essstörungen in Biologie vollgeschrieben, und dann auch noch einen richtigen Blödsinn verzapft. Eine Unterüberschrift lautete nämlich: "Ursachen fast aller Essstörungen". Ja. Super. Als ob man jede Möglichkeit in nur zwei Punkten zusammenfassen könnte. Die Ursachen fast jeder Essstörung sind übrigens einerseits, dass mit einer Stresssituation nicht adäquat umgegangen werden kann und dass andererseits Essen oder Hungern ein Glücksgefühl in einem hervorruft. Nichts über psychische Gründe, soziale Faktoren oder die genetische Disposition. Nur das. Da fühle ich mich wirklich lächerlich gemacht.
Aber nichtsdestotrotz haben wir keine Zeit damit zugebracht, über die Folgeerscheinungen von (exzessivem) Abnehmen beziehungsweise Erbrechen zu reden. Natürlich haben wir drei-vier Wörter darüber gesagt, was bei Fettleibigkeit geschieht, das andere Extrem aber leider komplett ausgeklammert.
Und dafür möchte ich gerne den heutigen Eintrag verwenden. Ich möchte anhand von meinen Erfahrungen schildern, was nicht alles passieren kann.
Das allererste, was passiert ist, war, dass meine Regel ausblieb. Das war aber schon ganz am Anfang, also, als ich noch fast nicht sehr untergewichtig gewesen bin. Damals hatte ich glaube ich noch um die 46 Kilos, als sie dann plötzlich ausblieb. Natürlich hat mir das Sorgen bereitet, meine Familie hat aber schon gleich vermutet, dass es etwas mit meinem verlorenen Gewicht zu tun haben könnte. Ich habe dann auch meine Frauenärztin angerufen, die hat aber gesagt, dass es in meinem Alter völlig normal sei, dass die Monatsblutung auch einmal für ein halbes Jahr aussetzt. Gut, habe ich mir gedacht. Alles normal.
Aber das wars natürlich nicht. Mein Körper hat sich auf Notsituation eingestellt und wollte verhindern, dass ich die wenige Nährstoffzufuhr, die ohnehin für mich nicht gereicht hatte, auch noch mit jemandem teilen müsse.
Lustigerweise habe ich heute für den montägigen Chemietest lernen müssen, bei welchem unter Anderem auch das Thema Ernährung abgeprüft wird. Beim Kapitel Fette steht auch dabei, dass essenzielle Fettsäuren, also solche, wie sie in Olivenöl oder sonstigen pflanzlichen Fetten vorkommen, eine sehr, sehr wichtige Rolle für die Hormonsynthese spielen. Da mein Körper einfach fast kein Fett bekommen hat, wurde wohl auch der Hormonhaushalt gründlich gestört.
Damit konnte ich aber noch sehr gut leben - ist doch eigentlich nicht so schlimm, wenn die Tage mal ausbleiben. Man muss nirgends Tampons mitschleppen, hat kein PMS oder grausliche Bauchkrämpfe und braucht keine Angst bei weißen Röcken zu haben. Was mir aber so wirklich zu schaffen gemacht hat, war mein unglaublicher Haarausfall...
Ich trug seit ewigen Zeiten meine Haare in langen Locken. Die hab ich auch gerne gemocht und sie waren pflegeleicht. Doch plötzlich begannen sie büschelweise auszufallen. Und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Jedes Frisieren oder Haarewaschen war eine Qual, weil ich dann immer einen ganzen Knäuel meiner so geliebten Haaren in den Händen hielt. Ich hab dann auch wirklich alles versucht, von Koffeintoniken bis hin zu Tabletten, hat aber leider nichts genützt. Irgendwann wars dann sogar so weit gekommen, dass man meine Kopfhaut sehen konnte und mir gut die Hälfte meines Kopfhaares ausgefallen war.
Das war vielleicht schrecklich...
Als ich dann, schon wieder mehr oder weniger normal essend, zur Firseurin gegangen bin, um mir meine Haare abschneiden zu lassen, war diese ganz perplex von meinem Haarausfall und hat gemeint, ich müsse mich unbedingt untersuchen lassen. Pro Durchfahren eine Hand voll Haare weniger. Sie hat mir auf jeden Fall die Mähne, oder eher das, was von ihr übrig geblieben ist, gekürzt und mir ein wirklich gutes Shampoo samt Spühlung und Schaum verkauft.
Ich habe ja diesen Check-up in diesem Institut gemacht, bei dem ich von zwei Ärztinnen untersucht worden bin und eine Ärztin hat mich gleich zu einer MRT-Untersuchung geschickt und mir totales Turn- und Sportverbot auferlegt,. Sogar eine Entschuldigung für die Schule habe ich bekommen und ich durfte mehrere Monate nicht am Turnunterricht teilnehmen.
Gut, ich habe vorher nicht so genau gewusst, was denn ein MRT ist und war ganz gespannt, was der wohl sagen wird. Kurz zusammengefasst ist ein MRT eine Untersuchung, die mithilfe eines komischen Gerätes die Herzfrequenz misst und wie oft das Herz in der Minute schlägt. Das habe ich dann bei meiner Hausärztin machen lassen und war geschockt. Mein Herz schlug nur mehr 37 Mal in der Minute. Normalerweise sollte es doppelt so schnell schlagen. Das zu hören war eines der schlimmsten Momente überhaupt, ich habe nicht gewusst, wie ich reagieren solle oder was ich tun kann. Ich war so perplex und als mir meine Ärztin dann erklärt hat, dass ich jetzt sehr vorsichtig sein müsse, weil ich jeder Zeit an Herztod sterben könnte, war ich beinahe nicht mehr ansprechbar.
Das war echt nicht schön und ich bin sehr froh, dass das alles vorbei ist. Zum Glück schlägt mein Herz jetzt schon wieder fast normal, aber die verlangsamte Frequenz ist üblich, wenn man Sport macht. Auch sind meine Haare schon wieder ziemlich nachgewachsen - das Shampoo und das normale Essen wirkten also Wunder. Ja, und die Regel habe ich jetzt auch mehr oder weniger. Regelmäßig kommt sie leider noch nicht, aber ich weiß, dass das nur mehr eine Frage der Zeit ist, bis sich das auch wieder alles einpendelt.
Aber trotzdem, so schlimm das auch alles war, es war gut, dass ich an meinem Körper diese groben Veränderungen bemerkt habe, denn so wurde mir klar, dass etwas wirklich nicht stimmt. Und ich musste einfach wieder essen, hatte ich nicht vor, zu sterben.
Insofern bin ich beinahe froh, dass mir die Haare ausgefallen sind und mein Herz nur noch verlangsamt schlug. Ich möchte wirklich nicht wissen, was geschehen wäre, wenn das nicht gewesen wäre.
So, ich hoffe, der Post klingt jetzt nicht zu...ich weiß nicht, selbstmitleidig? Aber es war halt so und es ist schlimm genug, dass niemand irgendetwas von den "Nebenwirkungen" einer Essstörung weiß. Denn man ruiniert sich damit so Vieles. Sogar die Knochen können sich rückbilden und beim Gedanken, dass sich mein Gehirn vielleicht auch angefangen hat, zu verkleinern, kommt mir ein Schauer über den Rücken. Darüber habe ich dann auch viel gelesen, was mir auch sehr weiter geholfen hat. Ich wollte das ja nicht, ich wollte ja nur einen flachen Bauch haben, aber nicht um den Preis. Zum Glück habe ich auch herausgefunden, dass sich solche Veränderungen wieder ganz leicht rückgängig machen lassen, solange man noch nicht zu lange in dieser Krankheit gesteckt hatte. Das war vielleicht ein Ansporn.
Ich bin wirklich froh, dass ich jetzt wieder alles machen kann, auf was ich Lust habe, ohne auf drei Kilo Haaren zu sitzen und Angst um mein Herz haben zu brauchen. :)
Hallo du..
AntwortenLöschenich finde diesen Post irre interessant.
Das mit der ätzenden Magensäure und den Hirnschäden wusste ich bereits. Auch das die Regel möglicher Weise ausbleiben kann, aber das kann ja auch durch Stress jeglicher Art passieren (hatte ich erst im Januar..).
Haarausfall; davon kann ich auch ein Lied singen. All zu stark war es bei mir allerdings nicht. Trotzdem habe ich jetzt quasi eine natürliche Stufe im Nackenbereich, wo der Neuwuchs mittlerweile angekommen ist..
Ich denke jedenfalls, dass "Normalos", die sich nicht im Geringsten mit dem Thema Essstörung auseinandergesetzt haben, keinen blassen Schimmer von dem Berg an Nebenerscheinungen haben, mit dem der Körper zeigt, dass alles nur noch auf Sparflamme läuft und er droht, den Geist aufzugeben.
Wenn Dinge wie das Fehlverhalten in Sachen Ernährung beredet werden, liegt das Hauptaugenmerk im Allgemeinen irgendwie immer eher beim Übergewicht. Ich habe auch keine Ahnung, wieso.
Ich finde, der Post klang überhaupt nicht selbstmitleidig, sondern hoch informativ, interessant und Augen öffnend.
Liebe Grüße!
Hallo!
LöschenDas freut mich sehr, zu lesen. Vielen Dank, mal wieder.
Das ist irgendwie unglaublich schade, wie ich finde. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich bei uns, in unserer Wohlstandsgesellschaft, kein natürliches Gleichgewicht einstellen kann. Wie viele gibt es, die einfach "normal" sind? Also, weder über- noch untergewichtig? Das sind die wenigsten, die Schere geht total auseinander. Aber wahrscheinlich ist das "dick-sein" einfach augenscheinlicher und fällt mehr auf... Ich habe auch keine Ahnung.
Und es ist eben schade, dass man über das alles nicht informiert ist. Wie viele würden sich für einen dünnen Bauch in Lebensgefahr begeben, ohne es zu wissen?
Hab noch einen feinen Abend, bis bald :)