Sonntag, 8. Juni 2014

Kälte und Schmerz

Es gibt Dinge, die ich vermisse am extremen Dünnsein. Ich habe mir ja vorgenommen, ehrlich zu schreiben, und das gehört dazu.
Ich vermisse es, dass mir all meine ganzen Kleider passen. Es ist schwierig für mich, dass mir Hosen zu eng geworden sind und es jetzt gar nicht mehr so einfach ist, lockeres Gewand zu finden. Ich vermisse es auch irgendwie, eine "besondere" Figur zu haben, also einen Körper, der nicht so häufig ist. Ich vermisse auch, dass sich meine Oberschenkel damals nicht berührt haben. Und so weiter.
Aber, wenn ich so darüber nachdenke, gibt es so viele Dinge, denen ich ganz und gar nicht nachtrauer. Es ist sogar so, dass das Vergleichen der Gegebenheiten, die damals und die heute meinen Alltag bilden, so aussieht, dass ich auf keinen Fall wieder tauschen möchte.

Ich bin so froh, dass ich jetzt wieder durch schlafen kann.
Ich kann es gar nicht beschreiben, wie sehr ich meine Energie liebe.
Ich bin einfach nur glücklich darüber, dass ich endlich wieder Sport machen darf.

Aber da gibt es doch zwei Dinge, die am ausschlaggebendsten sind am "normal"-gewichtig - was auch immer das jetzt sein mag (ui, da hatte ich letztens eine Diskussion auf facebook zu diesem Thema, alterfalter, Menschen gibts) - und wofür ich so dankbar bin.


Mit einigen Kilos weniger auf den Rippen war alles für mich mit Schmerzen verbunden.
Ich habe zum Beispiel die kahlen Holzsessel meiner Schule überhaupt nicht mehr aushalten können und habe mir schlussendlich dann einen Polster mitnehmen müssen, weils so weh getan hat. An meiner Wirbelsäule haben sich auch die blauen Flecken schon abgezeichnet - blaue Flecken, die ich vom normalen Sitzen bekommen habe, vom an der Wand lehnen, einfach vom ganz normalen Alltag.
Das hat natürlich einiges an Lebensqualität weggenommen.
Aber um ehrlich zu sein, ist mir das gar nicht so sehr aufgefallen. Anfangs zumindest nicht.
Aber ich kann mich noch daran erinnern, wie mir das schlagartig bewusst geworden ist - so dramatisch das jetzt auch klingen mag. Das war irgendwann mitten in der Nacht, ich bin gerade wieder in mein Bett gestiegen, ich glaube, das war das zweite oder dritte Mal, dass ich aufstehen habe müssen, weil meine Blase so schwach geworden ist, dass es mir nicht mehr möglich war, eine Nacht komplett durchzuschlafen. Und man hat doch immer dieses Bild im Kopf, dass man sich ins weiche Bett legt und sich zudeckt und alles voll fein und kuschelig.
Ich hab mich in mein Bett gelegt und die Decke über meinen Körper gezogen und es war einfach nicht in irgendeiner Weise angenehm. Ich habe all meine Knochen gespürt und meine Matratze hat sich nicht mehr weich angefühlt.
Das war halt kein Sonderfall, sondern normal. Es war nichts mehr angenehm, überall drückten sich meine Knochen durch und auch durch meine blauen Flecken wurde der Effekt natürlich gesteigert.
Ich habe ja bald Matura, da trete ich auch mündlich in Biologie an. Eine Kernfrage behandelt die Thematik der Ernährung, mit Zusammensetzung und Kohlenhydrate und Verdauung und allem, und in meinem Heft aus der fünften Klasse steht bei Verwendung von Fetten als dritten Punkt "Fettpolster" angeführt. Fettpolster hört sich so schrecklich negativ an, wie ich finde. Hört man dieses Wort, denkt man doch sofort an etwas jenseits des vorherrschenden Schönheitsideals. Aber das ist nichts Schlechtes. Ganz und gar nicht. Fett ist nicht nur wichtig, weil Vitamine eben fettlöslich sind und wir die Energie brauchen, sondern ganz banal, weil ohne ihm würden wir ganz schön blöd dastehen und sitzen wird dann zur Qual. Oder eben schlafen...

Und irgendwie, an das denkt man doch überhaupt nicht, oder? Dass man, je dünner man ist, einfach irgendwann nicht mehr bequem irgendetwas machen kann.

Was auch selten bedacht wird, ist die Tatsache, dass der zweite Punkt bei Verwendung von Fetten - "Kälteschutz" - ein so wichtiger ist.
Okay, mir ist prinzipiell schneller kalt, das wars schon immer und auch jetzt habe ich meistens eine Schicht mehr an als meine Mitmenschen. Aber vor einem halben Jahr war das noch etwas ganz anderes...
Ich hatte auch irgendwo Glück, dass meine dünnste Phase einfach in wärmeren Monaten gewesen ist, aber selbst letzten Juli, als es in Wien irgendwann einmal 40 Grad hatte, hab ich vielleicht angefangen ein paar Schweißperlen zu verlieren. Und als die Tage dann immer kürzer wurden und die Temperaturen sanken, war es doch sehr ungut für mich. Ich hatte schon im Oktober teilweise Strumpfhosen unter meiner normalen Jean angezogen und ohne Jacke das Haus verlassen war sowieso besonders abtrünnig für mich geworden.

Und, um wieder aufs ehrlich sein zurückzukommen. Ganz ehrlich, das ist es alles nicht wert. Da nehm ich ganz gerne in Kauf, dass ich keine sogenannte "thigh gap" mehr habe, dass es mir momentan wieder etwas schwerer fällt, in den Spiegel zu blicken und dass ich in manche Röcke nicht mehr passe.
Es geht sowieso so viel Lebensqualität verloren, was man vielleicht selbst gar nicht so bemerkt. Aber rückblickend gesagt ist das wirklich enorm.

Da ess ich lieber mein halbes Glas Cashewmus, hab keinen flachen Bauch aber dafür Energie für viereinhalb Menschen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen