Donnerstag, 25. Dezember 2014

Schlechte Laune

Ein paar Gedanken über mich nach dem Weihnachtschaos.

Heute bin ich wirklich nicht gut drauf. Woran das liegt? Vielleicht daran, dass ich heute noch gar nichts gegessen und ich mich gestern vollgestopft habe? Komisches Essverhalten halt, das irgendwie nicht in den Griff zu kriegen ist, so scheint mir manchmal. Und deswegen bin ich sauer. Und wütend. Und alles ist grau. Genau. Das lasse ich jetzt aus, auf meine Mitmenschen und in erster Linie auf die Familie, die mich momentan umgibt.

Das muss ganz schrecklich sein.

Die letzten eineinhalb Jahre war ich immer sooft nicht gut drauf. War zickig und unzufrieden, hab gemotzt und konnte nicht umgehen mit irgendwelchen Aussagen. Und das bekommt man als außenstehende Person wahrscheinlich nicht ganz so mit, wie eben die Menschen, die halt am nächsten sind. Ergo: Mutter, Vater, Schwester, Hund. Genau die, die am meisten unter allen leiden mussten, gleichzeitig auch die größte Unterstützung waren. Und wie hab ich gedankt? Indem ich Türen zugehauen und schnippische Antworten von mir gegeben habe.

Ja. Genau. Und woran liegt das jetzt bitte?

Darüber muss ich mir heute besonders Gedanken machen, neben den besten Abnimmtipps natürlich und während ich in alte Muster verfalle.

Da ist man eigentlich doch nur sauer auf sich selbst. Dafür, dass man nicht gemäßigt, dass man nicht richtig erwachsen sein kann. Und dann kommt noch eine kleine Streiterei mit der Schwester hinzu und schon ist die Laune im sooft beschriebenen Keller. Da fällt es auch irgendwo schwer, zu filtern, was jetzt nett, neutral oder eben nicht nett gemeint war. Alles kommt so vor, als gäbe es irgendeine böse Absicht dahinter. Und okay, früher, da hatte ich eine noch dünnere Haut. Habe nichts ausgehalten, weil, naja, nunmal keine Reserven da gewesen sind. Doch eigentlich sollte sich das doch jetzt geändert haben. Tja. Ich als hochemotionaler Mensch bin wohl schwer zu verstehen. Aber mir ist vorhin eben klar geworden, dass das natürlich - na no na ned - alles an mir liegt. Bin ich gut drauf, dann passt auch alles. Bin ichs nicht, tja, dann haben meine Mitmenschen kein leichtes Spiel im Umgang mit mir.

Man sollte gelassener sein.

Ja. Eh. Sowieso. Immer und eigentlich wärs doch eh so leicht.

Aber das geht für mich - momentan noch - nicht. Mit jeden Blick in den Spiegel steigt die Wut - eben auch auf meine Mutter, die auf einmal anfängt, von Chai zu reden. Ich mein, was soll das? Kann sie nicht einfach Kaffee trinken mit mir?

Und wohin will ich schon wieder hinaus?

Ich will nicht immer böse sein müssen, auf die Schwester, die halt sieben Kilo weniger wiegt als ich und wahrscheinlich täglich nur die Hälfte der Nahrungsmittel, die ich in mich reinstopfe, zu sich nimmt. Ich will nicht schlecht drauf sein, einfach, weil ichs nicht zambring, Frühstück zu essen. Und eigentlich möchte ich lachen. Über mich. Über meine zittrigen Hände, über meine Stimmungsschwankungen. Eben. Alles lockerer sehen. Gelassener sein. Aber wieso reitet man sich überhaupt in einen solchen Teufelskreis? Weil man Perfektionistin ist, wie ich, zum Beispiel, weil das gelassen sein einfach nicht so ganz optimal funktioniert. Weil die Sonne untergeht und alles komisch ist.

Und weil man das so will.

Ja, ich möchte mich nicht dauernd meiner eigenen Verantwortung entziehen. Ich denke ja bewusst daran, wieder nichts essen zu wollen. Ich bin ja irgendwie auch bewusst schlecht drauf, möchte nicht über meinen eigenen Schatten springen und die Wut, die zum kochen beginnt, unterdrücken. Man kann sich sehr wohl auch ein wenig selbst steuern, denke ich.
Aber trotzdem bleibt die Frage offen, wohin.

Dienstag, 23. Dezember 2014

Stadt-Land Gefälle

Ich sitze jetzt wieder in der Küche. Im Dorf. Im Waldviertel. Über hundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Höre FM4 und bin gerade sehr, sehr froh, dem Großstadtchaos entronnen und wieder mitten im Kleinfamilienwahnsinn zu sein. Ich gehe spazieren, über richtige Erde, neben entstandenen Bächen, durch das Laub der Bäume fallen ein paar Sonnenstrahlen. Die Tage sind so kurz, dass man schon um fünf Uhr am Nachmittag müde wird, weil die Sonne einfach nicht mehr da ist, um Energie zu spenden. Ich mache mir Gedanken. Gedanken über meinen jetzigen, über meinen alten Alltag. Gedanken für die Stadt. Gedanken übers Land.




Ich lebe in der Stadt. Bin am Land zu Hause. Studiere dort. Spaziere da. Und wie könnte ein und dasselbe Land denn unterschiedlicher sein, als bei der Betrachtung vom hintersten Eck Niederösterreichs und Wien? Da gibt es einmal die ganz offensichtlichen Faktoren, die das Gefälle bestimmen. In der Stadt gibt es mehr Menschen auf weniger Raum. Am Land findet sich schwer ein guter, für die Qualifikationen passender Arbeitsplatz. Dort finden wir auch weniger Einkommen. Und mehr Ausländer*innenfeindlichkeit, während prozentuell gesehen in der Stadt mehr aus anderen Ländern kommenden Menschen leben. Wir haben dort ein großen kulturelles Angebot, im Waldviertel wachsen Kartoffeln. Und irgendwie sind sie dort alle weltoffener, wie mir vorkommt.




Die Blumen sind natürlicher. Die Blätter bleiben liegen. Alle grüßen, alle kennen sich. Steht ein Auto vorm einzigen Wettbüro weit und breit weiß jede Person, wer nicht spielsüchtig ist. Man kann die Äpfel von den Bäumen pflücken. Die Kindheit im Wald verbringen. Verlassene Lichtungen entdecken. Waldkreaturen begegnen. Die Zivilisation ist ganz leicht hinter sich gelassen. Abkapselung. Man vereinsamt ganz schnell. Es gibt nur ein Kino, und das ist fünfzig Kilometer weit entfernt. Die Kühe vom Nachbarn wecken dich auf. Schwul ist ein Schimpfwort.

Sonnenuntergänge hier, durchtanzte Nächte dort. Sommerregen gegen kritische Museen. Umgestürzte Bäume gegen geräumte Häuser. Hühner überall gegen eingesperrte Katzen. Ausgedehnte Spaziergänge gegen U-Bahnen. Depressionen gegen Überforderung. Naivität neben unglaublicher Individualität. Derselbe Landeshauptmann gegen Begegnungszonen. Schlechter Handyempfang gegen Omnipräsenz der technischen Welt. Familie hier, Freunde dort. Aufgelassene Eislaufplätze und Sportkurse um 26 Euro im Semester. Und die soziale Selektion trifft dich überall.


Jeden Tag ist eine andere Demonstration. In der Straßenbahn lachen dich viel jüngere Burschen an, oder aus. Möglichkeiten gibt es ohne Ende. Niemand kennt sich. Niemand schaut dich an. Einmal um die Ecke biegen und im Lieblingscafe die Freundinnen treffen. Jeden Abend eine andere Veranstaltung. Der Kaffeekonsum wird angestachelt. Die Ausstellung ist immer noch nicht besucht. So viel Auswahl, so viel zu tun. So viele diverse Menschen treffen aufeinander. So viel kann gelernt werden. Universitäten gibt es beinahe nur hier. Alte Häuser aus Otto Wagners und Adolf Loos' Zeit. Alle besonders schick angezogen. Die Männer gehen Hand in Hand miteinander. Die Rosa Lila Villa ist gleich die Straße entlang. Neue Plätze, neue Kaffeehäuser gibt es zu entdecken. Der Bedarf kann nie gedeckt sein.

Während ich hier Diskussionen über Konsum und Überproduktion führe, versuche ich dort jede Konversation von Themen wie meiner politischen Meinung oder gar meiner Entscheidung, kein Fleisch zu verzehren, abzulenken. Dort stößt man auf Unverständnis, wenn man auf das -in beharrt. Hier ist es oft klar, dass es wichtig ist, dass sogar das Mobiltelefon fair produziert wird. Dort macht es meistens weniger aus, wenn man mal nicht aufgestyled aus dem Haus geht, beim Müllrunterbringen hier traue ich mich das nicht. Es ist alles so entschleunigt und hier bleibe ich oft zu Hause, weil mich die Auswahl überfordert. Man freut sich auf eine bestimmte Veranstaltung dort, hier ist jeden Abend was Neues los. Barfuß durch den Wald laufen gegen veganes Eis um jeder Ecke. Alles muss organisiert, ausgemacht werden, alles ist dreimal fixer, ohne Spontaneität kommst du hier nicht viel weiter. Radio Niederösterreich dröhnt aus jedem Lautsprecher, Helene Fischer lässt zum vierten Mal in den letzten zwei Stunden grüßen, gegen einen wunderbaren CD-Laden neben dem anderen. Essengehen für sechs Euro. Kein Eintritt unter sieben. Während man dort alle kennt, weil es einfach nicht so viele Menschen zu kennen gibt, kennt man hier alle, weil man immer in der Szene unterwegs ist.






Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zum Dorf. Heute liebe ich es sehr. Heute liebe ich es, dass ich einfach so das Haus unabgesperrt verlassen kann, um im Wald Fotos schießen gehen zu können. Heute bin ich begeistert von der kleinen Stadt, in der ich auch in die Schule gegangen bin, vom chinesischen Essen und dem Café ohne Sojamilch. Die Sonne schien so schön und ich war in bester Begleitung. Heute liebte ich die Ruhe, das alleinsein. Auch, wenn in der Stadt mein Zimmer ist, das ich genauso zu machen kann, so richtig alleine und ungestört fühlt man sich nie. Hier macht man so viel, weil es nicht die Möglichkeiten gibt, sich großartig ablenken zu lassen, das Instagram-Feed ist eben doch sehr schnell durchgescrollt.
Am Wochenende war ich gar nicht mehr begeistert von der Hauptstadt. Da kam mir alles zu voll, zu alleine vor. Das war aber ein anderes alleine. Ein unfreiwilliges, komisches. Ein einsam-alleine. Und obwohl es die schönen Zeiten, am Eislaufplatz, im Museum, gegeben hat, im Großen und Ganzen war ich unzufrieden und hab mich selbst nicht mehr ausgehalten. Hab immer dieselben Wege und Fassaden gesehen und musste raus. Mich ein bisschen abschotten.

Vor zwei Wochen liebte ich meine Wohnung. Liebte ich meine Mitmenschen. Das Kaffee vom Sascha gleich beim Margaretenplatz mit dem Noah drin. Die durchgemachten Nächte waren alle egal, die Energie unbegrenzt. Was mach ich morgen? Was mach ich heute noch? Ich will alles auskosten und alles ausprobieren. Die Universität hielt so Vieles bereit für mich, Physik-Vorlesung und Zellbiologie-Labor. Alle lieben Leute an einem Fleck, und dann alle bei mir zu Hause. Nächte durchtanzen. Nicht auf irgendwelche Rauschmittel angewiesen sein, weil ich soundso überdreht bin. Und die Kunst kommt nirgends zu kurz. Man kann nicht nur der eigenen Kreativität freien Lauf lassen was Kleidung und Kombination betrifft, auch ein Schritt aus der Haustür konfrontiert dich mit Jugendstil und Moderne und Gotik und Historismus. Sogar die Plakate, die überall kleben, sind schon Kunstwerke in meinen Augen. Ich habe Harfe gespielt und war nie allein.

Und so schnell kann das umschlagen. So schnell kann man das eine vermissen und das andere hassen. Sooft bin ich in der Früh aufgewacht und das erste, an das ich denken konnte, war, dass ich so glücklich bin. So glücklich, endlich dem Land entronnen zu sein. Und jetzt wache ich in meinem alten Zimmer, das nicht mehr viel von meinem alten Zimmer durchschimmern lässt, außer dem Schild mit "riots not diets" drauf, auf, nachdem ich die letzte dreiviertel Stunde meinen Wecker gekonnt ignorieren konnte, und strahlte der durch das Küchenfenster scheinenden Sonne entgegen. Einmal ist man hier besonders produktiv. Und plötzlich funktioniert etwas nicht mehr. Man ist voll. Voll von immer wechselnden Eindrücken.

Da muss ein Rückzugsort gefunden werden.

Und, so sehr ich auch wirklich, wirklich froh bin, meine Wohnung, mein Bett in Wien stehen zu haben, so froh bin ich auch um die Tatsache, meinen Neffen vom Kindergarten abholen zu können und mit ihm einen Nachmittag lang Nudeln mit Ketchup zu essen, Frosch zu spielen, fliegen zu lernen und Raupen und Lilis mit unglaublich großem Kopf zu zeichnen. Das ist signifikant für mich. Das ist ausschlaggebend. Und das habe ich erst jetzt realisiert. Seit August war ich nicht mehr wirklich im kleinen Dorf in der Nähe von Tschechien gewesen. Es gab immer etwas zu tun. Zu erleben. Zu entdecken. Aber Abkapseln ist oft die beste Lösung. Beleuchtet alles mit einer anderen Lichtintensität. Prioritäten werden umgeschlichtet.






Die Schatten fallen hier anders. Die Menschen lachen viel mehr. Dort gibt es praktisch keine Infrastruktur. Dort ist alles im Überfluss enthalten. Die Notizbuchseiten werden vollgeschrieben. Dort bleibt es liegen. Keine Zeit für das hier. Keine Zeit für das andere dort. Die Töpfe sind hier größer. Hier steht der Zucker am Tisch und die Bücher im Regal.
Und gerade riecht es nach getrockneten Orangenschalen.

Samstag, 20. Dezember 2014

Was mich momentan fertig macht

Ich sehe so viele Menschen jeden Tag.
So viele unterschiedliche, so viele interessante. Alle sind sie ganz anders.

Und mir wird immer mehr bewusst, wie sehr ich ihnen allen in gewisser Weise hinten nach bin.
Ich entdecke so Vieles von diesen Individuen. Da gibt es zum Beispiel das Mädchen, das mit mir studiert, aber erst 16 ist. Hat einfach zwei Klassen übersprungen. Super intelligent natürlich. Und super schön. Und super lieb. Am Rande halt auch noch.
Dann gibt es den Einen, der einfach unglaublich geschickt ist, jeden Sport wahnsinnig gut beherrscht, beim Eislaufen ohne Probleme rückwärts fährt und Pirouetten dreht.
Oh und sie nicht vergessen, verfasst Schriftstücke, die einfach nur wunderbar sind, wird veröffentlicht, hält Lesungen und nebenbei ist sie super kreativ, kann Kleider nähen, verkauft von ihr selbst gemalte Bilder, macht Linolschnitte und kleine Bücher, die ich ihr sofort abkaufen würde.
Und dann haben wir noch ein Mädchen, die sowieso so einiges beherrscht und dann auch noch perfekte Fotos schießt.
Die, die wunderschön tanzt. Ihn, der so gut Musik machen kann. Den, der einfach nur wahnsinnig viel weiß. Das Mädchen, das von allen gemocht wird, unheimlich kommunikativ ist, super sozial eben, immer unterwegs. Das Mädchen, das sich so gut auskennt in der Weltgeschichte, jeden Tag Zeitung liest, überall mitdiskutieren kann. Ihn, der so gut ist mit Computern. Sie, die fünf verschiedene Sprachen spricht.

Und dann gibt es mich.

Ja, was kann ich?

Abgesehen von schlechten Reimen bin ich gerade schrecklich planlos.
Früher war das irgendwie ein bisschen einfacher. Da gabs die Schule. Da war ich gut. Mittlerweile hat die Universität die Schule abgeklatscht und ich bange immer noch aufgrund eines noch immer nicht veröffentlichten Ergebnis der letzten Prüfung. Ich male mir schon Notfallpläne aus, weil ich das Studium wahrscheinlich sowieso nicht schaffen werde. Irgendwie doch zu dumm oder so.

Ja, und dann gibt es die tausend Dinge, die angefangen in der Ecke lehnen.

Nirgends bin ich ausgezeichnet. Ich kann alles ein bisschen, aber nichts so richtig. Und ich weiß einfach nicht, wie ich mit dem Wissen gerade umgehen soll. Das beschäftigt mich so sehr momentan. Und es tut mir gleichzeitig so, so leid. Ich meine, natürlich freue ich mich unglaublich, wenn ich Talente oder tolle Fähigkeiten an Leuten entdecke, ich finde es immer wieder schön, zu sehen, was andere so drauf haben - ist ja sehr fein für sie. Aber im nächsten Moment muss ich wieder Vergleiche aufstellen. Jedes Mal. Und die Bilanz ist leider immer schlecht.

Ich mach vielleicht einfach doch zu viel, kommt mir dann manchmal vor. Aber irgendwie auch nicht. Weil es dann immer diese Menschen gibt, die gleich noch drei Sachen mehr als ich machen und trotzdem in allem brillieren. Ich kann mich nicht mal gescheid ausdrücken. So viel Zeit wird verschwendet bei mir. In so viel Unnötiges so viel Energie gesteckt. Und dann zerbreche ich mir ewig den Kopf darüber, wie viel ich schon wieder in mich reingestopft habe. Die Zeit könnte so viel optimaler genutzt werden.

Und was mach ich?
Ich weiß es nicht.

Ich sollte viel mehr Schlagzeug spielen. Viel mehr auf meiner Harfe zupfen. Mehr lesen. Mehr schreiben. Ich sollte öfter Fotos schießen und viel mehr lernen. Ich sollte wesentlich mehr Sport machen. Und dann schaff ich nicht mal diese blöde 30 Day Ab Challenge, weil meine Haut so blöd ist und jetzt beschlossen hat, am ganzen Rücken aufzureißen. Und überhaupt. Ich sollte viel, viel mehr. Und weniger essen.
In der Theorie bin ich mir dessen doch eh so sehr bewusst. Aber das mit dem Umsetzen hapert noch so. Vielleicht muss ich mich mit weniger Menschen treffen und so mehr Zeit haben fürs Harfe üben. Vielleicht auch auf gewisse Gebiete spezialisieren und nicht alles machen wollen.

Ich will doch so viel aus diesem Leben raus holen. Ich will doch toll sein. Und natürlich hätte ich gerne Erfolg. Aber irgendwie, ich bin selbst nicht so ganz zufrieden mit dem ganzen. Und dann schaff ich es meistens einfach auch nicht, ein passendes Ende zu finden für meine Einträge. Gerade tue ich mir wirklich schwer, mit meiner Unfähigkeit zurecht zu kommen. Und dann sitze ich bei der nächsten Prüfung und könnte mich selbst schlagen. Und dann sitze ich im Zug neben einer Freundin, die mir Texte vorliest von ihr und pack es nicht, wie schön sie die nicht verfasst hat, und pack es weiters nicht, wie wenig Schönes ich schreiben kann. Und dann stehe ich neben zweien, die eine mit der Kamera, die andere vor einer Wand, die von einem Beamer mit immer wechselnden Bildern bestrahlt wird, und das Ergebnis ist ein Wahnsinn. Und dann denk ich dran, dass ich irgendwann mal gut war im Laufen. Und dann sind mir meine Knie dazwischen gekommen.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Es geht ganz leicht

Ganz leicht gehen. Barfuß, den Waldweg entlang. Die Mathebeispiele lösen, von der Freundin in der Klasse unter dir. Reime auswendig lernen, fürs Konzert später. Listen aufhängen und Dinge abhaken. Eigentlich auch sich überwinden, doch aufzustehen. Doch das Bad putzen. Zeit verstreichen lassen, die doch so wichtig wäre. Angst haben, vor der Zukunft und überhaupt. Sich Dinge von anderen abschauen. Keine Gedanken machen, über Sachen wie Fußball oder Weltgeschehen. Einfach wegschauen, wenn neben dir ein Feuerwerk losgeht. Für die Planung der Feier mehr Zeit aufwenden als für das Lernen für die Prüfung, die dann eigentlich gefeiert werden sollte. Termine übersehen, die vielleicht nicht so unwichtig waren, vielleicht aber auch schon. Stellen in einem Text markieren, eventuell könnte das ja nützlich sein. Sich selbst schlecht und gleichzeitig runter machen. Spiegel abhängen und doch immer hinein schauen. Den Sonnenuntergang verpassen. Pläne schmieden, die dann ja doch nie eingehalten werden. Sich freuen, über kleine Dinge, Schnee neben den Gleisen zum Beispiel. Verwundert sein, über manche Aussagen. Sich schwer tun, neben bestimmten Menschen zu stehen. Zu viel Platz einnehmen oder zu wenig. Nicht auf sich selbst achten, alles schleifen lassen. Radfahren, nachdem man es als Kind sowieso schon beigebracht bekommen hatte. Einfach weiter über sich reden, nicht zuhören. Geschenke einwickeln, das Überlegen dazu ging vielleicht nicht so einfach. Redoxreaktionen ausgleichen, nachdem der Algorithmus dazu verinnerlicht worden war. Menschen betrachten, sich selbst deswegen weniger schätzen. Immer Vergleiche machen. Mit der Schwester streiten, über unwesentliche Dinge. Fremde in der U-Bahn ansprechen, man muss es sich nur vorgenommen haben. Zu viel vornehmen und dann gestresst sein. Selbstmitleid haben und nicht davon wegkommen wollen. Geld ausgeben, für die tolle Tasche. Einen ganzen Tag nur Kaffee trinken, weil der Kopf noch nicht so richtig funktioniert. Spontan Treffen absagen. Immer Neues beginnen und nichts fertig machen. Kritik zu ernst nehmen, unreflektiert hinnehmen. Geschwollene Sätze formulieren, die eigentlich schön hätten sein sollen. Auf Mails nicht antworten. Mit neuen Schuhen laufen. In alte Muster zurückfallen, dadurch auf der Stelle treten. Ganz viel wollen, das dann sowieso nicht erreicht wird. Dinge verschweigen. Türen einfach offen lassen, sich nicht verabschieden. Alleine seien und sich keine Hilfe holen. Nicht einsehen, dass etwas schief läuft. Die Mitmenschen um einer ignorieren. Die Augen fallen zu.

Samstag, 13. Dezember 2014

Beobachten aus dem Alltag oder: Was ich mir gerade denke

Das schlechte Gewissen, das ich nach dem Essen habe, das mag einfach nicht weg gehen. Manchmal ist es auszuhalten, da kann ich es verdrängen, in die Ecke stellen, überspielen. Meistens aber esse ich solche Unmengen und bin danach richtig sauer auf mich selbst. Ich schaff einfach den Mittelweg nicht. Entweder nichts oder zu viel. So schaut es aus. Oder so kommt es mir zumindest vor. Und das ist gerade das, was mich momentan besonders beschäftigt.

Meine Unfähigkeit, normal zu sein, was auch immer das jetzt auch sein mag.


Genau. Normal. Aber was ist das bitte schon wieder?

Momentan kommt es mir vor, als hätte sowieso niemand ein normales, ein gutes Essverhalten. Wenn ich so an mein Umfeld denke, würde mir niemand einfallen, der oder die sich gesund, aber nicht übertrieben gesund, nicht einseitig, konsequent, nicht zu viel aber auch nicht zu wenig ernähren.
Da gibt es die einen, die den ganzen Tag nichts zu sich nehmen, weil sie in der Nationalbibliothek sitzen. Die nicht dran denken und dem Körper die Energie nicht zuführen, einfach aus dem Grund, dass sie ihm nicht zuhören, nicht hinhören. Sie vergessen auf das Tanken.
Als nächstes muss ich an Menschen denken, die so gut wie kein Gemüse oder Obst zu sich nehmen, die von Fertiggerichten, von Schnitzelsemmeln leben. Nie frisch kochen. Leute, die nicht einkaufen gehen und dann den ganzen Tag Tee trinken müssen, weil sie einfach nichts daheim haben.
Dann gibt es die, die dauernd darüber reden. Die sich zwar vielleicht auch gesund ernähren, aber bei denen ich immer an mein eigenes Denkverhalten erinnert werde. Bei denen bin ich mir nie sicher. Ich mein, man darf sich ja über Essen Gedanken machen. Das ist auch sicher gut so. Man tankt ja Energie, man braucht ja Nahrung, und das sollte doch überwiegend die "Richtige" sein. Aber immerzu über irgendwelche Lebensmittel philosophieren, vom Letzten irgendwas schwärmen. Das ist nicht nur triggernd für mich, das nimmt ja dann auch die Selbstverständlichkeit von Nahrung, von Ernährung weg. Gut, aber bis zu welchem Grad ist - bei uns, sehr wohl gemerkt, ich weiß ja, dass ich das ganz bestimmt nicht global sehen darf - Selbstverständlichkeit beim Essen geboten?
Dann fallen mir noch Menschen ein, die zu wenig essen. Ganz zierlich sind und nicht einmal ein ganzes Weckerl verdrücken. Dauernd krank. Schwach und blass.
Und die, die immer in den Spiegel schauen. Das hat vielleicht nicht gleich was mit Essen zu tun, aber eigentlich auch. Ich kenn so viele, die mit ihrem Körper nicht zufrieden ist und Nahrung ist da einfach ein gutes Ventil. Man hat ein schlechtes Gewissen, weil das Tortenstück wirklich nicht mehr hätte sein müssen.
Außerdem kenne ich Leute, die so penibel gesund sind, kein Zucker, kein Soja oder was auch immer gerade verteufelt wird. Kaffee sowieso nicht. Die vom Essen, das vielleicht nicht gerade Bio-zertifiziert ist, als Gift sprechen. Da kommt es mir dann immer so vor, als würde die ganze Freude von Nahrung weggenommen werden.
Oh, und bitte nicht all die lustigen Menschen im Internet vergessen. Ich war in ein paar Gruppen, die um Veganismus handeln. Das war ich aber wirklich nicht lange. Nach dem dritten Post, der irgendwie in Beschimpfungen und Anschuldigungen entartet ist, bin ich reihenweise wieder ausgetreten.

Und dann gibt es Leute wie mich. Die irgendwo alles in einem sind. Streng mit sich selbst. Kein Süßkram. Kein dies. Kein das. Die einen Tag lang nur von Tee leben, aber nicht, weil sie darauf vergessen, nein wirklich nicht. Einfach, weil der bessere Ausweg noch nicht gefunden worden ist. Die die Spiegel am Liebsten zerkratzen würden. Die dann aber doch in sich reinstopfen. Und noch eine Schale Müsli. Mal sind sie stolz drauf, mal könnten sie danach in Tränen ausbrechen. Die ihren Körper so gar nicht kennen. Wie viel ist jetzt gut, wie viel brauch ich jetzt?

Also. Wer hat jetzt ein gutes Essverhalten? Oder wer hat das Bessere?

Irgendwo gibt es mir auch ein wenig Halt, dass so Viele nicht so perfekt damit klarkommen, sich selbst zu ernähren. Auch, wenn das jetzt eventuell gemein klingt. Natürlich wünsche ich niemanden, irgendwie Probleme in die Richtung zu haben, wirklich nicht. Aber es befreit ein wenig von dem Druck, doch endlich, endlich wieder normal sein zu können. Weil das sowieso niemand ist. Weil sowieso alle irgendwie nicht wissen, was sie tun sollen. Und zu wenig essen ist genauso ungesund, wie zu viel. Und was ist überhaupt gesund? Und was zu viel? Brauch ich jetzt viel an Essen oder nicht? An was soll ich mich richten? Wer darf mein Maßstab sein?

Ich versuche zumindest, gesund zu sein. Regelmäßig essen. Ich weiß, das ist wichtig. Auch wenn ich mir oft mal denke, heute sollte ich mal wieder das Abendessen weglassen. Oder gleich beim Frühstück mit dem Kaloriensparen anfangen. Es wär doch so einfach, jemanden zu haben, der dir deine Portionen hinträgt, die genau sagt, was du in welchem individuellen Moment brauchst. Aber das spielts halt leider nicht. Und ich muss mich in die Reihe der missglückten Essverhalten einordnen.

Dienstag, 9. Dezember 2014

leere Tassen

Im Kaffeehaus sitzen. 

Die Zeit genießen. Energie aufnehmen. Ohne Musik aufwachen. Mit Leuten sprechen. Den Himmel betrachten. Verzierten Milchschaum anschauen. Die Minuten verschwenden. Neues ausprobieren. Gläser zerbrechen. Zeitung in die Hand nehmen. Interieur bestaunen. Information austauschen. Die Tasche aufmachen. Fliesen entdecken. Auf bemalten Stühlen sitzen. 


Der Kaffeemaschine zuhören. Geschmäcker unterscheiden. Dem schönen Mädchen mit den kurzen Haaren hinter der Theke verstohlen zusehen. Sich über die Welt wundern. Den Leuten auf der Straße durch das Fenster mit den Augen folgen. Geschichten ausdenken. Die Bücher auspacken. Die nächsten Taten planen. Sich nicht aufraffen können. Aufs Handy starren. Sich beobachtet fühlen. Geräusche wahrnehmen. Einen Schluck nehmen. Den Blick herumwandern lassen. Freundinnen treffen. Eine neue Tasse bestellen. Trinkgeld geben. Minuten verstreichen lassen. Einfach nur sitzen. Über ganz viel nachdenken. Gespräche mit der Frau vom Tisch gegenüber führen. Kultur mitbekommen. Verwundert aus einem Tagtraum aufwachen. Die Türglocke hören. Gerüche bemerken. Wärme tanken. Die Bestellung der Leute am Nebentisch ansehen. Sich mehr Geld wünschen. Am liebsten den ganzen Tag sitzen bleiben wollen. Verpflichtungen vergessen. Durch die Haare fahren. Den letzten Schluck machen. Den Kaffeesatz interpretieren. Über die zukünftigen Taten philosophieren.


Nochmal schnell über eine Bemerkung lachen. Den Kopf in den Nacken legen. Gähnen. Aufstehen. Den Tisch zurecht rücken. Den auf den Boden gefallenen Schal aufheben. Die Jacke vom Ständer holen. Sich warm einpacken. Eigentlich nicht gehen wollen. Noch einmal zurück schauen. Dem Mädchen zu grinsen. Über sie nachdenken. Den Türgriff ergreifen. Drücken anstatt zu ziehen. Plötzlich den kalten Dezemberwind auf den Wangen, dann auf der Nase spüren. Handschuhe überstreifen. Den Geruch vom Kaffee jetzt schon vermissen. Türe schließen. Gehen.

Sonntag, 7. Dezember 2014

Über unerwartete Absagen

Gerade jetzt sitze ich - wie sooft - in der Ubahn und tippe mit ein bisschen eingefrorenen Fingern auf meinem Handy herum. Hätte mich wohl besser noch ein bisschen wärmer anziehen müssen. Das war jetzt einmal geplant. Dass ich heute morgen in der Früh Richtung Hütteldorf düse, nicht, dass mir kalt ist.

Dieses Wochenende war allerdings ganz anders als ursprünglich vorgesehen. Eigentlich waren ganz andere Punkte auf meiner To-Do-Liste und ganz andere Termine in meinem Kalender vermerkt. Aber dann, dann ist so ziemlich alles nicht eingetroffen, was ich mir vorgenommen hatte, auf was ich mich gefreut habe. Ich wollte nach Tirol fahren, wollte Moderatorin spielen, auf einem skandinavischen Weihnachtsmarkt herumstöbern, Improvisationstheater spielen, wollte lange Zugfahrten durchlernen und saugen. Viel daheim sein und alleine. Aber auch die Großeltern am Berg besuchen.

Und was hab ich gemacht?

Ich war tanzen, zu Hip Hop einmal zur Abwechslung, mit lieben Freunden, war Schokomus in der Vorhalle der Nationalbibliothek essen, hab Schlagzeug auf einem richtigen Schlagzeug gespielt und auch Bass ausprobiert, hab Menschen zu mir eingeladen, hab gelernt. Hab Bilder ausgeschnitten und Zitate an die Wände geklebt. Ich war in Wien und sonst nirgends. Und ich musste immer wieder dran denken, wie sehr ich mich allein in der Zeit, die ich jetzt in der Hauptstadt lebe, verändert und gewandelt habe. Nicht nur meine Haare sind jetzt kurz. Auch hat meine Spontaneität zugenommen. Und obwohl es gerade ein wenig schwer war für mich, mit all den Absagen, die ich die letzten Tage bekommen habe, ich tu mir nicht mehr so viel an, wenn die Termine, die rot und grün im Kalender markiert sind, nicht mehr eingehalten werden, wenn ich einen Anruf bekomme, und eine Freundin einfach mal so an meiner Haustür klopft. Vor ein paar Monaten war noch alles ganz genau geregelt. Allein mit meinen Schulzeiten. Fixer Stundenplan, der so ziemlich jeden Tag gleich ausgesehen hat. Zumindest beinahe dieselben Anfangs- und Endzeiten. Jetzt hab ich mal um zwei Unibeginn, am nächsten Tag überhaupt nur eine Übung ab halb sechs. Dann um acht in der Früh physikalische Chemie. Da ist wenig Regelmäßigkeit drin. Und immer steht was anderes am Programm. Natürlich, ich sitze immer noch meistens am Abend da und stelle mir eine mehr oder weniger kleine schlaue Liste, mit allen Erledigungen, die ich im Laufe des nächsten Tages abgehakt haben möchte, zusammen. Aber oft schaff ich nicht alles. Es kommt was dazwischen. Oder mir wird auf facebook ein für mich schon wichtig gewordener Termin abgesagt. Und dann ärgere ich mich schon. Aber ich bin nicht nur spontaner, sondern auch gelassener geworden. Entspannter mit mir. Mit meinen Pflichten. Meinen Bauchübungen. Meinen Mitmenschen. Meinem Aussehen. Und meiner Einhaltung diverser vorgenommener Dinge.

Und trotzdem wirft mich ab und zu so manches aus der Bahn. Da sitze ich dann in der Mathematik-Vorlesung und weiß sowieso nicht, was da vorne gesprochen wird, und bekomme eine Nachricht. Kurz scheint alles zu wackeln und meine Stimmung fällt schlagartig. Das halt ich gar nicht aus. Ich kann mich so gar nicht leiden, wenn ich nicht motiviert, nicht gut gelaunt bin. Dann verhalte ich mich noch komischer und noch anstrengender als sonst. Und dann auf einmal kann ichs nicht mehr steuern. Da wird mein kompletter Wochenendplan umgekrempelt. Ich bin zwar schon einige Schritte voran gegangen, aber manchmal holen mich die alten Muster, die alten Wege doch wieder ein und ich verfalle in gewohnte Abläufe.

Eigentlich hätte ich einen Poetry Slam, eben in der Tiroler Hauptstadt, moderieren sollen. Die Moderationskärtchen, ich hab gelbe gebastelt, waren schon bereit gelegt und die meisten Punkte meiner Liste ausformuliert. Ich wollte noch packen und vielleicht ein Bild zeichnen, für das Mädchen, bei dem ich hätte schlafen können. Und dann macht das Mobiltelefon einen kurzen Pfeifton und ich werde nicht mehr gebraucht.
Und genau in dieses Denken bin ich dann wieder hineingerutscht. Weil besser sind meine darauffolgenden Stunden nicht so ganz geworden. Zumindest, wenn man meine Laune betrachtet. Unenergetisch. Miesepetrisch. Schwer auszuhalten. Und ich weiß auch nicht, ich finde ganz ehrlich, dass man so nicht ganz mit anderen Menschen, mit denen man sich eigentlich schon seit mehreren Wochen bestimmte Dinge ausgemacht hat, umgehen sollte. Ich hätte samstags meine Studieneingangsphase abschließen können. Ich hätte mich dieses Wochenende nicht mit Chemie rumplagen müssen und andere Prüfungen auf spätere Semester verschieben, hätte ich gewusst, dass ich nicht so südlich von der Donau bin. Und natürlich hilft aufregen nichts. Ich bin irgendwo auch ganz froh, dass alles so gekommen ist, wie es halt ist. Das versuche ich eigentlich prinzipiell zu sein. Weil alles ist Erfahrung. Alles führt zu irgendwas anderem. Hat auch einen Grund, hat auch einen Zweck, den man vielleicht auch erst irgendwann finden kann. So habe ich eben andere Prioritäten setzen können, andere Abenteuer erleben. Und vor allem, was ich am meisten an solchen Momentan schätze, ist, dass man dann so viel nachdenkt. Okay, man wird meist durch Nachdenken unglücklich, aber wenn das grau schon mal passiert ist, dann macht das den Puffer nicht noch basischer. Und man vergleicht.

Also ich vergleiche. Ja, das hab ich auch noch nicht ablegen können. Schrecklich. Ich sehe Menschen und beziehe bestimmte Dinge auf mich, mein Können, mein Aussehen, meinen Charakter. Und so vergleiche ich dann halt auch Zeiten. Das kann auch ganz schön sein. Gerade bin ich eben drauf gekommen, dass sich die paar Wochen schon bemerkbar gemacht haben. Und nicht nur auf meinem Bauch. Das ist nämlich das nächste, aber das kann noch warten. Oder mit dem Tagebuch geteilt werden. Allein mein Spontan-Sein, und die Entdeckung desselben zahlen sich aus. Ich kann außerdem weiter feilen. An meiner Gelassenheit. An meiner Toleranz und meiner Menschenfreundlichkeit. Dass ich nicht einen Groll entwickle, nicht allzu nachtragend bin.

Ich bin heute anders als vor zwei Tagen. Habe meine Bedürfnisse geändert und meine Einstellung. Bin gewachsen, leider nicht äußerlich und lerne immer dazu. Bei jedem Rückschlag gleich ein klein wenig mehr. Kommt mir zumindest manchmal so vor. Eigentlich sollte ich schon so prall gefüllt sein mit diesem Wissen. Und ich weiß jetzt, noch mehr als vor ein paar Tagen, dass ich jetzt ein bisschen sparsamer umgehe, was Hilfsbereitschaft in diesem Kontext angeht. Vielleicht hört das Finger-Zeichnen jetzt auch auf. Vielleicht ändert sich die Einstellung zu gewissen Themen ein wenig, vielleicht hab ich in drei Tagen sowieso schon wieder alles vergeben. Und ich bin froh über die Gespräche, die ich führen durfte, weil ich da war, über die Stunden, die ich Zeit hatte, um mit einer Freundin zu lernen und zu musizieren. Wie hätte Tirol dagegen anhalten können?

Dienstag, 2. Dezember 2014

Prüfungen, Stress und persönliche Freiheit

Ich stehe im Bus. Im 40A. Richtung Schottentor. Heimweg. Dort steig ich aus und steig aufs Rad. Dann aber wirklich heim. Durch den Nieselregen und die Kutschen, an den fetten SUVs vorbei, denen man überall im ersten Wiener Gemeindebezirk begegnet. Über Pflastersteine und dann in den Keller. Ich fahr nicht mehr so regelmäßig, dass ich das Rad draußen stehen lassen würde. Da würde es wohl bei dieser Witterung bald zu Staub zerfallen.
Und jetzt stehe ich da, mein Rucksack drückt auf den Oberschenkel von dem Mädchen rechts hinter mir. Nächste Station. Zwei steigen aus. Gefühlte zwanzig dazu. Ob ich überhaupt noch zum Sitzen komme? 

Und ich überlege. 

Ich überlege eigentlich die ganze Zeit. 

Über dies und das. Aber heute schreib ich über meinen inneren Druck, meinen Stress. Ich hab Prüfungen zu machen und Gleichungen zu lernen. Redox-Reaktionen üben. Technisch Zeichnen Programme abgeben. Dort sein. Verschlafen. Ich bin mir gerade nicht so ganz sicher, ob ich mich stressen soll, oder nicht. Einerseits will ich alles hinter mich bringen, will brillieren und alles meistern. Ich will nichts aufschieben und alles aufsaugen. Andererseits möchte ich mit meiner Mitbewohnerin gemeinsam frühstücken. Ins Museum gehen. Schlafen. Ich will schließlich leben. Nicht nur lernen. Obwohl ich das Lernen gerne tu. Aber trotzdem bietet alles, Wien, so viel mehr. Ich möchte Dinge erleben, tanzen gehen, Geld für Unnötiges ausgeben, politische Ziele verfolgen, eine schöne Wohnung haben. Ich will lesen und Dokus über Judith Butler ansehen. Leute treffen. Ins Kaffeemik in der Zollergasse gehen. Sushi mit der Schwester essen. Meine Fähigkeiten verbessern. 

Und dann frag ich mich, wo ich meine Prioritäten setzen möchte.
Es ist alles wichtig. 

Heute in Mathe hat mich A. gefragt, ob ich denn schnell studieren möchte. Ich habe natürlich gesagt, dass ich mich eben nicht stressen möchte. Mein Leben genießen. Leben eben. Aber eigentlich hab ich gewusst, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht. Sicher hab ich den Ehrgeiz, viel zu tun und schnell zu sein und besser und überhaupt. Und immer wieder sag ich mir, dass Noten egal sind. Und wenn ich heute, gegenüber von C. Sulfide fälle, denke ich auch manchmal, die Zeit könnte anders genauso schön gefüllt werden.
Und wenn ich jetzt heim komme, steht der nächste Termin an. Aber als erstes koche ich mir Tee. Und gehe duschen. Das ist mein Geheimrezept für so ziemlich alles. Ein guter Tee. Und eine heiße Dusche. Gut, dass ich im ersten Packerl vom Adventskalender meiner Mutter gleich 24 verschiedene Sorten von Kräutern, Früchten und anderes Buntes entdeckt habe.
Und dann Bandprobe. Danach noch Physik? Und was ist mit Schlaf? Es ist alles so viel. So viel zu machen. So viel zu entscheiden. Und eigentlich wollte ich in den Ferien meiner Freundin in Mathe helfen. Aber ich muss doch selber lernen! Wie soll ich das machen? Krieg ich alles unter einen Hut? Und einkaufen... Ich brauch Sojajoghurt! Heute ist doch -10% im Veganz. Hat der überhaupt noch offen? Dann verschieb ich das duschen auf später. Und Physik lernen. Ja, das kommt auch noch. 

Ich bin hin- und hergerissen. 

Irgendwie möchte ich mich nicht unter Druck setzen. Aber andererseits ist alles so viel. Und Bauchübungen wollte ich heute doch auch noch machen! Es geht gerade wieder viel herum im Kopf. Viel Blödsinn, mit dem ich zu niemandem wirklich gehen kann. Ich muss doch selbst entscheiden, wie es weiter geht. Ich muss mir überlegen, was ich tue. Das kann mir wohl niemand abnehmen. Jetzt ist es so weit. Ich bin anscheinend wirklich alt genug. Muss auf mich selbst achten. Und was ist mit meinem Abendessen? Soll ich das auslassen?

Ich lebe und studiere. Und versuche alles unter eine Hut zu bringen. Unter eine Mütze. Die grüne, mit dem coolen Muster, die ich mir auf dem Buskers Festival gekauft habe, von einem kleinen Label. Ich kann mich jetzt auch entscheiden, ob ich ins Schikaneder gehe, dort ist irgendwas mit der Serie friends. Das speziell muss ich mir nicht anschauen, aber es sind Menschen dort, die ich gerne sehen würde. Oder ich schlage mein Physik-Buch auf. Da hab ich bald eine Prüfung. Und ich weiß auch gar nicht, wann ich welche Prüfung schreiben soll. Das dumme Internet-Portal meiner Universität ist auch genau heute offline. Wie soll ich meine weiteres Wochen planen? Wie soll ich mit der Zeit umgehen? Oh, wie sehr ich meinen Handykalender hasse. Und was ist mit meinen Kameras an der Wand? Die kommen zumindest mit in den Winterferien, mit ins Waldviertel. Dort fahr ich nämlich hin. Für zumindest eineinhalb Wochen. Entspannen. Schlagzeug auf einem richtigen Schlagzeug spielen. Spazieren gehen, wenn es das Wetter denn zulässt. Lernen. Zeit mit dem Neffen verbringen. Leben planen. 

Irgendwie ist es doch immer so. Immer bin ich im Zwiespalt. Will ich dünn oder gesund sein. Will ich leben oder schnell studieren. Will ich das oder das andere. Will ich herumreisen oder Geld haben. Entscheidungen fielen mir irgendwie noch nie so wirklich leicht. Und eigentlich hätte ich den heutigen Advents-Tee trinken sollen. Nicht den von gestern. Ich sehe nämlich gerade, dass es ein Guter Laune-Früchtetee wäre. Okay, Früchtetee ist nicht mein Liebling. Aber Gute Laune kann man immer gebrauchen. Genauso wie gute Musik. Und Gesellschaft. Und ich häng mich jetzt hinter das Mobiltelefon. Leuten schreiben. Lage abchecken. Leben. Studieren kann ich morgen auch noch, und überhaupt, wie produktiv wäre ich heute noch gewesen? 



Sonntag, 30. November 2014

Wenn Tage immer kürzer werden, und die Momente stets länger

Und ich sitze da. Auf der roten Coach, die mit einem dunkelblauen Tuch verdeckt ist. Die Überdecke ich halb herunter gerutscht und entblößt die Farbe, die sich unter ihr versteckt. Ich sitze auch eigentlich nicht, sondern liege viel mehr. Ringe nach Luft und meine Wangenknochen beginnen langsam zu schmerzen. Zu viel lachen. Zu viel Freude. Gegenüber, auf der olivgrünen Coach, die ebenso halb eingehüllt ist in eine Decke von der gleichen Farbe, befindet sich meine Mitbewohnerin in einer ähnlichen Position. So verweilen wir ein paar Momente. Links neben mir, an der Wand, hängt die große Weltkarte, von meiner anderen Mitbewohnerin, auf der es so aussieht, als wäre Russland fast dreimal so groß, wie ganz Europa zusammen gesehen. Australien ist in der Mitte, in der unteren Hälfte. So gern würd ich überall Pinnnadeln hineinstecken, als Zeichen, dass ich dort schon war. Ein paar könnte ich jetzt schon vergeben. Aber an wie viel erinnert man sich denn noch von Reisen, die in der frühen Kindheit begangen worden sind?

An der Karte selbst ist eine Uhr angebracht. Vorher war es noch halb acht. Oder vielleicht auch erst sieben. So genau hab ich auch wieder nicht geschaut. Den Tag vorher hab ich an der Uni verbracht, mich mit Menschen getroffen, war Rad fahren und habe gelesen, gekocht und jede Menge Zeug angestellt.


Ich schaue erneut rauf. Der große Zeiger zeigt auf die sieben. Der kleine beinahe auf die zwölf. Wo ist der Abend hin?

Und was war heute?
Was gestern?


Ich wache auf, wenn ich es denn schaffe, vor zehn aus dem Bett zu kriechen, und die Straßen sind noch beleuchtet, künstlich. Der Himmel bleibt grau. Erst langsam trauen sich die ersten hellen Flecken heraus. Aber das dauert. Man schließt nur kurz die Augen und es ist Tag. Und beim nächsten Zwinkern hat die Nacht begonnen. Das geht so schnell. Wenn man nicht aufpasst, läuft die Zeit davon. Mein Körper versteht die Welt auch nicht mehr. Am besten um halb acht schlafen gehen und bis um halb elf durchschlafen. Ich brauch die Sonne und in der Nacht kann ich nicht auf sein. Meint er. Aber so ist es nun mal nicht. Der Tag beginnt doch trotzdem um dieselbe Uhrzeit, wie noch vor zwei Wochen auch. Ich hab doch trotzdem so viel zum Erleben.



Ich zieh mich an. Setz mich vor den Schminktisch, male mir ein Gesicht auf. Schaue auf meinen Handykalender, der mich unglaublich nervt. Mache war für die Uni. Spiele Harfe. Habe Bandprobe. Gehe spazieren und schaukeln. Treffe mich zum Pizzabacken. Schlage eine Zeitschrift auf. Klimpere auf den Tasten der Schreibmaschine herum. Begebe mich auf die Uni. Helfe meiner Nachhilfeschülerin beim Zusammenfassen von Texten über Persönlichkeitstypen von Kindern. Sitze mit meinen Lieben da und tratsche. Schaue auf mein Handy. Koche. Esse. Fülle meine Trinkflasche nach. Und das alles an einem Tag. Trotzdem kommt alles zu kurz. Ich hab das Gefühl, für nichts Zeit zu haben. So Vieles möchte ich doch noch tun. Ins Museum gehen, viel mehr malen und zeichnen, mir Musik anhören, in Ruhe, auf dem Boden sitzen und nachdenken, mehr Zeit mit mehr Lieblingsmenschen verbringen, Poetry Slams im Internet anhören. Texte schreiben. Viel länger Schlagzeug spielen. Viel mehr Sport machen. Viel mehr mit Konsum beschäftigen. Viel mehr lesen. Ich möchte The Postal Service hören und einfach nur nichts tun, mich von den Klängen auffangen und mitreißen lassen. Ich möchte telefonieren und meinen Neffen besuchen. Ich möchte den Sonnenuntergang fotografieren. Aber Schlaf muss auch irgendwann mal sein. Der kommt doch eh am Kürzesten von allen.
Jetzt setzen wir uns wieder auf. Nächste Lachwelle. Das muss kurz überbrückt werden. Die Geschichte, die sie mir vorhin erzählt hat, war einfach zu komisch. Und jetzt reden wir wieder. Über irgendwas, was gestern war. Meine Mitbewohnerin ist ganz verwirrt und kennt sich nicht aus. Obwohl ich ihr doch erst vor einigen Stunden die Haare geschnitten habe. War das wirklich erst gestern? Kommt mir schon so lange her vor.

Ja.

Mir auch.


Es ist dauernd dunkel draußen. Und die Tage werden kürzer. Die Taten aber nicht. So viel ist zu tun, überall gibt es ein kulturelles Angebot, das ausgekostet gehört. Und Techno-Partys und Bücher. Und lustige Dinge, die man mit dem Handy anstellen kann, wie Selfies auf Instagram hochladen und mit tollen Menschen kommunizieren. Und schon ist wieder eine Stunde um. Der Tag ist voll gefüllt mit Momenten, die es eigentlich alle Wert sind, behalten zu werden, konserviert. Der Tag ist voll von verschiedenen Schauplätzen. Der Tag ist voll von zu wenig Zeit und zu viel zu tun. Ich verliere den Überblick; weiß schon gar nicht mehr, wann ich diese Dinge gesagt, was ich vorgestern angezogen habe, oder wie lange die letzte Begegnung jetzt wirklich schon her ist. Mein Zeitgefühl war immer schon nicht das Beste. Aber sich in ganzen Tagen zu vertun ist mir im Waldviertel selten passiert.

Und obwohl so viel gemacht wird, am Abend möchte ich immer noch mehr tun. Einen Blogeintrag verfassen. Hula-Hoop üben. Lesen. Das Abschminken wird hinausgezögert. Das Zähneputzen auch. Und schon ist es 22:53 Uhr und ich sitze immer noch im Zimmer, die Lichterkette ist angeschalten, draußen fährt ein Moped vorbei. Heute habe ich endlich mal wieder aufgeräumt, gestaubsaugt, die Laken gewechselt. Heute habe ich mit einer meiner Lieblingsfreundinnnen ganz viel getratscht und Kaffee getrunken. Habe ein Beispiel für Physik gerechnet. Heute war ich schon im Cafe Jellinek und hab mir meinen Adventkalender von der Mutter abgeholt. Heute hab ich Bauchmuskelübungen gemacht, mich bei einer Seite beworben. Lange geschlafen. Bis um zehn. Und bis um halb elf im Bett gelegen. Ich war auch schon draußen. Und duschen. Und hab noch so viel vor. War das wirklich erst heute, dass ich im Wohnzimmer gesessen habe und über meine Sojamilch mit Grüntee drinnen geredet habe? Dass ich F. von meiner neuesten Band-Entdeckung erzählt habe? Und wie lange ist es schon her, dass ich das Prüfungsergebnis erfahren habe? War das auch erst gestern? Komisch. Die Tage vergehen so schnell irgendwo. Und irgendwo auch gar nicht. Irgendwo passiert so viel. Wien bietet an jeder Ecke eine neue Überraschung. Ladet zum Träumen ein. Verleitet zu Taten.



Zeit ist doch relativ. Und bewegte Uhren laufen langsamer. Deswegen vielleicht. Weil so viel passiert. Deswegen geht die Zeit nicht so schnell verloren. Relativitätstheorie. Noch was vom Schulwissen übrig. Und wenn mir jetzt die Augen zufallen, weiß ich, dass es wohl mehr Sinn machen würde, mich jetzt abschminken zu gehen und unter die Decken zu schlüpfen. Morgen früher aufstehen und mehr tun.

Aber nein! Ich würde doch so gerne noch ein bisschen schreiben mit C. Noch ein bisschen Musik hören. Und auch noch ein bisschen rechnen. Mich auf die Universität vorbereiten. Mir einen Plan für morgen zurecht legen. Listen schreiben. Eine Seite meines Inspirationsbuches gestalten. Und ganz viel nachdenken, reflektieren. Runterkommen. Und nicht in Melancholie versinken. Das ist nämlich doch sehr gefährlich, so abends.


Und morgen werd ich zurück denken.

Was ist jetzt alles passiert?

Was das wirklich alles heute?


Dienstag, 25. November 2014

Jetzt ist es halb elf und ich esse Müsli - eine Retrospektive

Am Sonntag ist es mir erst bewusst geworden.

Jetzt ist es ziemlich genau ein Jahr her. Vielleicht ein bisschen länger. Aber vor einem zumindest war mein Maturaball. Der hatte dann zur Folge, dass einfach viele, viele Bilder auf diversen social media Plattformen kursiert sind. Von mir im Ballkleid. Von mir während der Mitternachtseinlage. Von mir nur mit Knochen. Spätestens dann haben es alles gewusst. Und mir selbst war es auch schon bewusst.


Wann genau ich mit dieser Krankheit begonnen habe, ist schwer einzuschätzen.

Wars damals mit dreizehn, mit fünfzehn, mit sechzehn, oder doch erst im Winter, als ich dann den endgültigen Beschluss gefasst habe, weniger zu werden? Aber das ist jetzt egal. Passiert ist passiert. Auch eine Erfahrung mehr. Hat mir genauso einiges gebracht, mich stärker gemacht, so kitschig das jetzt auch klingen mag, mich weiterentwickeln lassen, mich zu mich gemacht. Und es macht mich immer noch in gewisser Weise aus. Ist ein Teil von mir, und wer weiß, vielleicht bleibt es das ja auch noch länger. Jeder Tag ist irgendwo eine Herausforderung, die beim Frühstück beginnt und beim Abendessen aufhört. Jeder Blick in den Spiegel sagt etwas anderes. Der Blick in den Kasten dauert zumindest noch immer schrecklich lang. Was kann ich anziehen, was meine Oberschenkel kaschiert? In was sieht man die Tonnen von Essen, die ich gestern in mich reingeschoben habe, am wenigsten? Aber immer noch kein Vergleich zu früher.



Nein.

Es fällt mir schwer, die Bilder von früher anzusehen. Es fällt mir schwer, wegzusehen.

Aber was mir immer wieder bewusst wird, wenn ich doch einmal über sie stolpere, ist, dass sich so Vieles verändert hat. Alles neu. Alles anders. Wieder beim Alten. Man wandelt sich doch immer, tauscht Facetten aus, entdeckt sich neu, findet einiges raus und versteht. Das machen wir alle. Bei mir konnte man es im vergangenen Jahr nur besonders gut sehen. Es war schließlich sichtbar, an meinem Aussehen. An meiner Figur, wie viele Haare an meinem Kopf wachsen. Aber natürlich auch an meiner Art. Und meinem Innenleben. Meiner Gelassenheit. Meiner Umgänglichkeit. An mir eben.
Alles hat sich verändert. Ich erkenne mich gar nicht mehr wieder, wenn ich durch alte Tagebucheinträge blättere und versuche, meine Schrift zu entziffern.
Jetzt bin ich so. Und auch, wenn ich eigentlich jeden Tag ein klein bisschen anders bin. Weil jeder Tag ist eben anders. Und es gibt schlechte und gute Zeiten. Aber selbst, wenn es Momente, die zu Stunden ausarten, gibt, wie Sonntag, an dem ich einfach nichts geschmacksintensiveres als Kräutertee zu mir nehmen konnte, folgt ein Montag, der voll war. An dem ich aufholen konnte.




Früher, da konnte man meine Kopfhaut sehen. Da konnte ich nicht länger als zehn Minuten stehen. Da wollte ich mich selbst nicht angreifen. Da hatte man das Gefühl, bei jedem Blick könnte ich zerbrechen. Da konnte ich nicht reden. Da wollte ich nur schlafen. Früher, da wars das mit der Energie. Da haben mir meine Kleider nicht gepasst. Da war jeder Gedanke gekoppelt. Angekettet an Essen und Mahlzeiten und Oberflächlichkeiten. Da hab ich jeden Tag geweint. Da war ich einsam. Da wusste ich nicht, was ich tun sollte. Da musste ich immer etwas tun. Da konnte ich nicht lieb zu meinen Liebsten sein. Da fehlte mir die Kraft. Da schlug mein Herz zu langsam. Da war mir öffentliches Nahrungsaufnehmen unangenehm. Da war mir sprechen unangenehm. Da musste mein Maturaballkleid am Tag vor meinem Maturaball noch einmal enger genäht werden. Da zählte ich Kalorien. Da war jeder Tag eine Tortur. Da war nicht einmal mein Bett weich für mich. Da wollte ich niemanden sehen. Da war alles Zeitverschwendung und alles ungesund. Da verbrachte ich meine Zeit noch im Waldviertel. Da bin ich noch in die Schule gegangen. Früher, da war mein Körper am kaputt gehen. Früher, da wollte ich nichts. War mit nichts zufrieden. Ich wollte ganz viel anstellen, konnte aber nicht. Da standen überall die Knochen raus. Da war mein Lachen aufgesetzt.

Und jetzt. Jetzt ist alles anders.


Das meiste zumindest.

Jetzt sitze ich stundenlang mit meiner Mitbewohnerin auf der Coach und lache über Geschichten über ihre Freundin. Da treffe ich mich mit Menschen zum Kochen. Ich hab die Haare abgeschnitten, aber endlich sind wieder mehr als nur drei Strähnen von ihnen da. Ich kann ohne Probleme Bilder von mir posten, auf denen ich esse. Ich kaufe ein für mich. Ich stibitze mir einen Apfel. Ich wasche Wäsche. Ich studiere. Ich studiere Biotechnologie und hab wahrscheinlich die allererste Prüfung meines Lebens nicht geschafft. Ich bin gelassen. Trage Blumen in den Haaren. Tanze durch die Nacht. Bin immer noch verwirrt. Lasse Müslischüsseln fallen. Lache in einem Durch. Schaue immer noch auf meine Ernährung. Spiele Harfe. Und in einer Band. Habe ein Hochbett gebaut und verwende ganz viel Wasserfarbe. Stehe früh auf. Lerne Kinematik. Treffe mich mit Freundinnen und gehe auf alle zu. Spreche alle an. War in der Zotterfabrik. Mache Zumba. Radle wann immer es möglich ist. Jetzt tun mir meine Knie weh und mein Herz geht wieder normal. Ich habe schlechte Tage. Ich habe gute Tage. Ich habe immer noch ein gestörtes Essverhältnis. Lebe in einer Großstadt. Habe auf meinen Spiegel geschrieben und hänge Fotos, die ich geschossen habe, in der Wohnung auf. Erzähle allen von meiner Milchmaschine und meinem fairen Handy. Rede ganz viel. Liebe Genetik. Bin nicht immer gut drauf. Jetzt kann ich mir auch mitten in der Nacht etwas zum Essen machen. Und trotzdem bleibt das schlechte Gewissen. Aber es gibt eben immer schlechte Tage, solange sie nicht zu schlechten Zeiten ausarten. Lasse Schlüsseln nachmachen. Zeichne Bilder. Klopfe auf meine Schreibmaschine. Koche mir. Kaufe mir Nudeln beim Asia-Standl um die Ecke. Mache deprimierte Einkäufe im BIPA und DM. Tu Frust-Spenden. Informiere mich. Lese Blogs. Lese Bücher. Lese Missy-Magazine. Checke viel zu selten meine E-Mails. Schreibe viel zu selten Einträge. Habe mir meine Kameras an die Wand an Nägel gehängt. Jetzt bin ich so viel mehr, als ich mir überlegen kann. Jetzt schneide ich allen die Haare. Und mir, besonders, wenn ich nicht besonders drauf bin. Ich sitze zwischen Marina und Alex in den Physik-Übungen. In Mathe neben dem anderen Alex, der sich morgen bei mir eingeladen hat. Hab ein volles Programm. Möchte viel mehr tanzen. Viel mehr schlafen. Viel mehr lernen. Möchte alles viel mehr tun. Ich arbeite an mir, reflektiere und versuche, das beste zu tun, das beste aus allem zu machen. Ich geh den längeren Weg. Ich trage weites Gewand. Manchmal auch nicht. Manchmal schleicht sich auch die ein oder andere enge Hose ein. Ich wasche meine Haare und bin manchmal sogar zufrieden mit der getrockneten Version von ihnen. Jetzt geht es mir gut. Meistens. Jetzt bin ich glücklich. Jetzt habe ich Anschluss, kenne Menschen, die genauso ticken wie ich, fühle mich in meiner Umgebung wohl. Umarme alle. Ich mach mir Jausen. Schreibe ganz viele SMS, vor allem mit meiner Mutter. Führe Listen. Komme mit meinen Listen nicht nach. Bald ist Weihnachten! Besuche meine Schwester in der Berufsschule. Schwärme vor mich hin. Genieße es. Lass alles auf mich zukommen. Schlafe auch manchmal aus. Manchmal kann ich auch gar nicht schlafen. Ich trinke viel zu viel Kaffee und bin immer noch unzufrieden mit mir. Ich versuche, das Volle aus dem Tag zu schöpfen. Möchte mit Wörtern um mich schmeißen. Möchte so viel wie möglich erleben. Ich möchte helfen. Gebe ehrenamtlich Nachhilfe für einen Flüchtling. Putze die Küche. Fange ganz schnell zum Weinen an. Jetzt wohne ich mit drei anderen in einer Wohnung. Teile die Gasrechnung auf. Verwalte das Geld. Jetzt fehlt mir nicht viel. Außer vielleicht das Geld. Aber wer braucht schon Geld, Geldhaben ist doch uncool. Ich höre Musik. Immer. In dieser Zeit, bei dem Wetter am besten The Postal Service, Mixe von Angus&Julias Stone und The Beatles. Besser geht es gar nicht.

















Ich backe Kuchen mit einem meiner Lieblingsmenschen und esse ihn dann auch. Mache mir ganz viele Sachen aus. Nehme mir Dinge vor. Ich weiß, ich kann nicht alles schaffen. Ich wasche meine Wäsche. Ich bin viel spontaner geworden. Muss nicht alles vorher planen, nicht jede Mahlzeit einkalkulieren. Versuche, mehr Kreativität in den Tag zu bringen. Hab überall ein Notizbuch dabei. Krieg Herzklopfen. Bin nervös. Trau mich nicht. Gehe auf Konzerte. Verschlafe die Uni. Verschlafe ganze Tage. Lade Leute ein zu mir. Ich verstecke mich nicht. Zumindest nicht mehr so sehr.

Es geht vieles weiter.

Man glaubt es selbst nur oft nicht.
Wenn man nicht den extremen Vergleich hat, hat man oft das Gefühl, man steht im Stillstand. Wenn man nicht weiter zurück denkt und sich überlegt, wie viel man geleistet hat. Wie sehr man über sich selbst hinausgewachsen ist. Und am besagten Sonntag habe ich von meiner Schwester erzählt, die, nebenbei gesagt, eine unglaubliche Person ist. Sie hat mir mein Ballkleid, das weiße, bodenlange, genäht, das wir nochmal umnähen müssen, für das die Nacht dann durchgemacht worden ist, weil es mir viel zu locker geworden ist. Zwei meiner liebsten Studienkolleg*innen hab ich davon erzählt. Eben auch von dem Kleid. Dann wurden Fotos verlangt. Und auf den Fotos erkennt man es einfach sofort. Da wurde es mir einfach wirklich klar. Es geht weiter. Immer. Auch, wenn man das manchmal nicht glauben mag. Nicht für möglich hält. Und obwohl ich ein backiges Gesicht habe, keinen komplett flachen Bauch, Oberschenkel, die sich nun mal oben berühren, ich möchte nicht mehr zurück. Ich möchte weiter springen können. Wegen meiner Energie bekannt sein. Das macht mich zu einem gewissen Maße aus, dass ich motiviert bin, dass ich fünf Stunden am Stück auf der Tanzfläche herum hüpfen kann. Und das ohne Speed. Ohne Drogen. In genau solchen Momenten führe ich mir das immer wieder gerne vor Augen. Wie lasch ich in meinem Bett gelegen bin. Jeden Tag um fünf auf. Bauchübungen. Ich kann nicht mehr! Weiter. Wie mich das Wochenende immer geschafft hat. Ich kann nicht aufstehen. Aber sogar das Bett war unbequem. Alles hat weh getan. Nichts war mit Freude behaftet gewesen. So, rückblickend betrachtet, war für mich alles mit einem grauen Schleier unterlegt gewesen.

Jetzt ist es grau draußen. Nicht mehr in mir drinnen. Und meine Sonne mach ich mir mit der Sonnenblume, die ich mir immer mal wieder in die Haare stecke. Dann schalt ich mir Musik ein. Neues entdecken. Und los gehts. Ein neuer Tag, was kann ich heute alles schaffen?

Sonntag, 23. November 2014

Über faule Tage

Was hast du heute so gemacht?
Geatmet.

Manchmal ist das das einzigste, das Großartigste, was man angestellt hat. Der Tag plätschert dahin, man übersieht die Zeit, verbringt viel zu viele Stunden im Bett und lässt die Gedanken schweifen. Die Seele baumeln. Sonntage kann man für solche Tage sehr gut missbrauchen. Die Woche war anstrengend genug, man hat drei Bilder gemalt, viel zu viel Kaffee getrunken und eine enorme Menge erlebt. Leute. Lernen. Draußen. Dunkel. Musik. Müsli. Vielleicht ruiniert man auch ein, zwei Schüsseln und ladet Menschen zu sich ein. Tanzt durch die Nächte, steht zu früh auf. Schreibt Prüfungen, fährt mit dem Rad. Denkt nach. Und wenn das alles zusammengekommen ist, dann braucht man kurz Zeit. Stehen bleiben. Anschauen. Und wenn das nur ein paar Stunden sind. Meistens gibt der Sonntag eh nicht so viel mehr her, man muss doch bis um drei ausschlafen! Weil Schlaf muss ebenso nachgeholt werden.
Und dann dreht man sich auf die andere Seite und vergisst sogar, sich ein Gesicht aufzumalen. Wieso auch? Die Mitbewohner*innen kennen dich doch schon, da kann man sowieso nichts mehr vertuschen. Einmal ein Tag, an dem nicht in Chemieskripten geblättert wird. Aber halt! Ich darf gar nicht reden, heute habe ich die Mathematikübungen durchgerechnet. Aber immerhin hatte das alles nichts mit Kristallwasser oder Ionen zu tun. Morgen kommt das wieder dran. Und Physik. Heute bin ich an erster Stelle gestanden. Und Tee. Jede Menge Tee.
Sogar kurz draußen war ich. Bin zu einer Studikollegin gefahren, nur um dort weiter heißes Wasser mit Kräutern drin zu trinken und Haare zu schneiden. Auf der roten Coach sitzen. Über Belangloses und nicht so Belangloses reden. So lob ichs mir! Die Melancholie des Sonntages austreiben durch die Anwesenheit lieber Menschen. Dafür bin ich dann nämlich doch anfällig, wenn es Faultage gibt, dass ich dann versumpere. Mit ganz viel Selbstmitleid. Und da hilft entweder nur schlafen gehen oder andere Menschen treffen. Wobei das zweitere natürlich die feinere Option darstellt.
Und ich glaube, heute ging es ganz vielen so. Dass sie stolz sein können auf sich, weil sie geatmet haben. Und das darf man. Selbst, wenn sonst nichts angefasst worden ist. Selbst, wenn wieder in alte Muster verfallen worden ist. Selbst dann darf man stolz sein auf sich. Immerhin hab ich geatmet. Immerhin hab ich mir Gesellschaft gesucht. Und faulsein tut dem Körper gut. Manchmal zumindest. Wenn man sich entspannt und zur Ruhe kommt. Wenn man einmal den Tag liegen und die Dinge auf sich zukommen lässt. Und prinzipiell ganz viel am Rücken liegt. Auch wenn die Blumen gegossen werden hätten sollen. Auch wenn mehr fertig gemacht werden hätte sollen. Auch wenn man nicht gerade produktiv war. Heute war ein fauler Tag.

Entschleunigt trifft es auch ganz gut.
Es ist immer mal wieder schön, sich selbst endlich nicht so viel Druck zu machen. Einmal keinen Stress haben. Diesen in ein hinteres Eck verdrängen. Und selbst wenn die Prüfung gestern nicht positiv ausgefallen ist, heute bleib ich dabei.
Aber ich darf nicht zu viel reden. Ich schwafel vom den eigenen Körper gut tun und bring es trotzdem nicht ganz zustande. Allerdings ein wenig. Irgendwann geht das auch ganz. Heute halt nicht. Heute konnte ich nicht. Dafür gab es ja Tee. Mit Kakoaschalen. Macht doch glücklich. Und glücklich bin ich doch sehr. Gestern wurde gefeiert. Heute wurde ausgeruht. Morgen wird gelernt. So hab ich wirklich meine Wochenenden, wie man sie sich vorstellt. Es fehlt bloß noch der dampfende Apfelkuchen und schon wär es bilderbuchreif. Oder auch nicht. Die Bierdosen, die ich heute am Nachmittag - meiner Früh - weggeräumt habe, (schau! Ich hab noch was gemacht heute) würden nicht in ein Bilderbuch, wie man sich eines vorstellen würde, passen. Aber sonst halt.
Und jetzt liege ich im Bett und beginne schon wieder zum Grübeln. Was soll ich tun? Jetzt. Morgen. Wie geh ich weiter vor? Belass ichs heute mit dem. Ja. Eigentlich schon. Vielleicht schaff ich es ja bald, wieder in den Schlaf zu finden. Schön wärs.

Kopf abschalten. Faul sein. Nichts tun. Ganz viel The Postal Service und HVOB hören. Gestalten einen guten Soundtrack für den heutigen Tag. Melancholisch. Aber trotzdem schön. Melancholisch schön eben.

Freitag, 21. November 2014

Gerade bin ich vom Spazierengehen heim gekommen. Heute ist irgendwie viel passiert und irgendwie auch nicht. Es war einer dieser Tage, an denen man sich einfach nicht entscheiden kann, ob man nun produktiv war, oder nicht. Ich meine, es gab die Minuten, die zu halben Stunden geworden sind, in denen ich vor mich in die Luft gestarrt habe, in denen ich anderen Menschen beim sich selbst inszenieren auf YouTube zugesehen habe. Aber andererseits hab ich auch gerechnet, mich (viel zu wenig) für meine morgige Prüfung vorbereitet, gemalt, Harfe gespielt, war an der Uni, bin Rad gefahren, war Schaukeln, habe einen Hund gestreichelt, Dinge ausgeschnitten und aufgeklebt, die Blumen gegossen, gekocht, mit Menschen geredet, eine Schüssel und gleich darauf eine Glasflasche zu Bruch gehen lassen, mir eine Plastikblume ins Haar gesteckt, habe geatmet.
So. Und da muss ich gleich an meine vorübergehende Sinnkrise denken. Unkreativ. Heute hat es mich in gewisser Weise überkommen. Kreativität kann man irgendwie nicht erzwingen. Plötzlich packe ich ein Blatt Papier während Zellbiologie aus und beginne, ein Bild zu zeichnen. Jetzt! Wo ist meine Harfe? Ich muss spielen. Und schreiben. Ja, schreiben möchte ich sowieso viel mehr. Schreiben ist eines der besten Ventile. Am direktesten. Wobei, ich beginne mich langsam am politischen Malen. Wenn man das so nennen kann. Vielleicht schaffe ich es, morgen eines der Bilder abzulichten und hochzuladen. Das hatte ich eigentlich jetzt vor, aber ohne Sonnenlicht geht das alles nicht so, wie ich das gerne hätte.
Und als ich durch die Haustür gegangen bin, hab ich mir überlegt, über was ich denn schreiben könnte. Es fällt mir immer besonders schwer, mir ein Thema zu überlegen, wenn ich mit dem vorhergehenden Eintrag so überhaupt nicht zufrieden gewesen bin. Aber ich dachte, ich könnte ja aufzählen, was ich alles nicht gerne machen würde. Wofür die Zeit fehlt. Das Geld. Das Talent. Der Stil. Die Möglichkeiten. Das Wissen.
Aber da habe ich mich dagegen entschieden.
Weil das mit Fehlen etwas zu tun hat. Und das ist irgendwo negativ behaftet. Natürlich kann auch Traurigkeit, Müdigkeit, Demotivation fehlen. Aber davon spricht man doch nie, oder? Es fehlt immer nur das Gute, das Positive in unserer Welt.
Nein.
Ich möchte anmerken, was nicht alles gut ist. Gerade. Jetzt in meiner Situation. Wie ich auf meiner kleinen Coach sitze und meine Gedanken schweifen lassen kann.




Und obwohl es immer noch so vieles zum Entdecken, zum Erleben gibt, es ist schon so viel weiter gegangen.
Am Vormittag, in der Früh um es besser auszudrücken, hat die Sonne durch das Wolkenmeer gestrahlt. Es gibt wenig besseres, als am Anfang des Tages das Haus zu verlassen und sich auf den Sattel zu schwingen, der Sonne entgegen fahren. Hunde. Jeden Tag sehe ich sie an der Uni. Ganz brav, klein und groß und mit vielen Haaren. Schaukeln. Und der Alois Drasche Park. Ruhe. Wenn es manchmal möglich ist, einfach einmal Abzuschalten und Entspannung genießen zu können. Vielleicht fährt draußen ein Auto vorbei, aber sonst ist es Still. Und die Wohnung ist auch einmal leer. Freunde und Schwestern. Laborpartnerinnen. Mein Hochbett und die Nägel an der Wand. Die Harfe, die mitten im Zimmer thront und sich freut, wenn sie viel zu selten gestimmt wird. Motivation. Die Tatsache, dass der Unieinstieg ein gewisser Neuanfang war. Schätzenswerte Menschen, mit denen ich mich umgeben darf. Eine gute Anlage. Danke Flo! Die Aussicht auf Punsch und Flohmarkt morgen. Das machen zu können, was mir Spaß macht. Irgendwann etwas verändern. Einem Menschen aus einem anderen Land beim Lernen unterstützen und spazieren gehen. Die Blumen gießen. Die Möglichkeit, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, Musik im Ohr. Bunte Bettwäsche. Wenn die Mitbewohner*innen nett sind. Und Umarmungen. Die ich auch wieder in der Lage bin, mir zu holen. Alle werden umarmt. Wobei, nicht übertreiben, oft hält mich noch etwas zurück, ich trau mich nicht. Aber meistens nicht. Konzerte und der Nachhall von Gitarrenklänge. Gute Gespräche, obwohl man eigentlich gerade über den Nachweis von Sulfaten diskutieren sollte. Artikel, die zum Nachdenken anstiften und Zeitschriften von irgendeiner katholischen Organisation, in der junge Verheiratete interviewed werden. Ein guter Zeitvertreib. Früh aufstehen und Zeit haben. Kein Stress. Spontaner Besuch. Gespräche mit Fremden. Gespräche während Zellbiologie über Avocados, Haare, Kunst und was auch immer. Wasserfarben. Zeitungen ausschneiden. Die Pressefreiheit prinzipiell. Blumen. Und wenn es nur welche aus Kunststoff sind. Eine Kamera, die ich mit mir mit tragen kann und schöne Menschen fotografieren. Sich alles trauen können. Daran wird gearbeitet. Motivierende Nachrichten. Information. Das Gefühl, ein Beispiel mit Lösefällungsgleichgewichten verstanden zu haben. Tumblr-Blogs, die Dinge posten, wie "Let me tell you something: recovering from an eating disorder is a much bigger accomplishment than having an eating disorder.". Und ja, den Satz zu lesen hat mich unglaublich gefreut. Irgendwie berührt fast. Weil manchmal weiß ich einfach nicht, so gerne würde ich mich öfters anvertrauen, aber irgendwo auch nicht. Sieht man dann solche Worte, dann passt das irgendwie. Ein Marmeladenglas voller schöner Erinnerungen. Milch selbst machen und Thymian hinzugeben. Sticks abbrechen. Bandproben ausmachen. eine Europalette durch Wien tragen. Alles nachhaltig kaufen. Listen schreiben. Musik entdecken. Ketten tragen. Göttinnen haben. Ein neues Buch aufschlagen. Sich selbst nicht runter machen. Duschen. Ja, auch duschen ist etwas unglauglich feines, finde ich. Es entspannt und man kann sich nicht schlecht fühlen dabei - solane es keine Spiegel gibt. Schöne Menschen. Innen und Außen. Einen Kabelsalat am Fußboden zu haben. Sonnenlicht. Wenn der Winter anfängt, werden doch alle melancholisch und niemand ist mehr gut drauf. Woran liegt das wohl? Ich bin fest davon überzeugt, dass alle viel mehr Sonnenlicht brauchen. Spazieren gehen. Spontaneität. Gemeinsam Filme schauen. Schöne Augen. Gute Düfte und Gerüche. Ich fühle mich manchmal zurückversetzt in die Zeit, in der ich Das Parfum von Patrick Süßkind gelesen habe. Danach ist es mir vorgekommen, als würd ich die olfaktorische Welt um mich herum viel besser wahrnehmen. Und gerade bin ich oft von so guten Düften umgeben, dass ich mich nur freuen kann. Nase nach oben. Aber nicht hochnäsig. Stolz sein, aber nicht #stolzdrauf. FM4. Das macht mir gerade viel Freude. Die Morningshow und Reality Check und die ganzen Programme. Beim Radfahren das beste. Irgendwie leichte Unterhaltung. Ein Wochenende mit Mutter und Schwester. Letztes Wochenende war dies der Fall. Oh, welch Wiederholungsbedarf! Nächte durchtanzen. Menschen, die ähnlich ticken und ähnlich schwierig sind. Sonnenbrillen, die momentan leider ein wenig überflüssig sind, aber trotzdem wichtig. Verkleiden. Und wenn es nur als Mücke ist. Gedichte schreiben. Tuschestifte. Post-Its an der Wand, auf denen "Liebe und Ausschlafen" steht. YouTube-Videos. Manchmal sinnvoll, weiterbildend, politisch, manchmal einfach nur lustig und plätschernd. Das Internet im Generellen. Schwarze Kleidung und ganz viele Farben. Alle Farben. Die Möglichkeit, sich ausdrücken zu können. Morgen um die Zeit schon eine Prüfung geschrieben zu haben. Vorbereitungen. Organisationen, die etwas weiterbringen. Inspirationsbücher anlegen und ab und zu ein Zitat hineinschreiben. Gudrun Sjöden Kataloge. Hexen. Leute, die überdreht sind und sich auch freuen. Pünktlich sein. Auf Spiegel schreiben. Bilder an die Wand hängen und sich nach einem Streit wieder versöhnen. Blogs lesen und träumen, auch einmal so groß sein zu können. Aber Träumen auch ganz prinzipiell. Darüber nachdenken, wie schlimm es nicht eigentlich ist, dass Menschen die Fähigkeit haben, zu träumen. Dinge selbst in die Hand nehmen. Selbstbewusst auftreten. Ich glaube ja, dass ich das schon ziemlich tue. Am selbstbewusst sein wird noch gearbeitet. Den Verstand als größte Waffe. Stil vor Talent. Das Eigene durchziehen und jede Strumpfhose anziehen, die einer gefällt. Tattoos. Darüber philosophieren, wann ich mich das auch einmal traue. Keine Angst haben. Angerufen werden. Schlafen gehen.

Mittwoch, 19. November 2014

Die Dramaturgie des Miteinanders

Wo ich hinblicke, überall das Gleiche. Vielleicht in einer anderen Farbe, in einer anderen Schattierung. Dort etwas abgeschwächt. Hier mehr davon, mehr von diesem. Manchmal wird eine Schnur darum gebunden. Aber man kommt nicht davon, es ist ein bisschen wie der Nebel, der sich langsam aber stetig breit zu machen scheint. Am Vormittag traut er sich noch nicht so recht, da kommt die Sonne manchmal durch, aber man weiß eigentlich ganz genau, dass er hinter der übernächsten Ecke kauert und wartet. Dann tritt man vor die Tür, macht das Fenster auf und hat es gar nicht bemerkt, schon ist er da. Grau. Allumfassend. Irgendwie.

Und genauso fühlt es sich ein bisschen an.
Wie in einer Seifenoper. Und ich bin der Hund.

Ich bin aber nur deswegen der Hund, weil ich momentan ein wenig das Gefühl habe, nicht so ganz dazu zu gehören. Zum Drama meine ich.

Genau!

Ich gehöre nicht zum Drama. Ich schaue nur zu, bekomme das meiste, oder wahrscheinlich auch nur Vieles mit. Höre zu. Beobachte. Aber involviert, nein, das bin ich noch nicht so ganz.
Und das ist etwas Neues. Ich kann es noch nicht so recht einordnen. Wie kann es sein, dass überall dramatische Funken sprühen, aber in meinem Zimmer bleibt es dunkel. Bei mir läuft es anders ab. Keine Wendungen. Bis jetzt zumindest. Eigentlich warte ich bloß darauf, dass irgendetwas passiert. Vielleicht stürzt etwas ein, vielleicht bleibt jemand stehen, vielleicht dreh ich mich um. Zu plötzlich. Und stoße ein Kartenhaus um. Dominoeffekt und Kettenreaktion. Endkonsequenz: Mein alltägliches Drama kehrt zurück.

Ich weiß nicht so recht.

Ich kann mich gar nicht mehr daran zurück erinnern, wann das das letzte Mal der Fall war. Eine Lili ohne dramatische Abgänge, ohne Tränen, ohne Aufruhr.
Aber wer weiß, vielleicht hab ich mich auch nur an das alles gewöhnt und bekomme es selbst gar nicht mehr so direkt mit. Wie gesagt, alltägliches Drama.

Und natürlich entkomme ich nicht vollständig. Mein Drama spielt sich im Kopf ab. Aber das ist etwas anderes. Das ist etwas Persönliches. Meine persönliche Revolution eben. Und das interaktive Drama bleibt außen vor. Einmal. Ich weiß nicht, es mag sein, dass es mir nur so vorkommt, als würden um mich herum alle durchdrehen, um es besonders überzogen zu formulieren. So ist es natürlich auch nicht ganz. Aber ein bisschen schon. Man muss doch bloß die Zeitung aufschlagen, das Facebook-Newsfeed aktualisieren oder mit der besten Freundin reden. Da ist überall etwas los. Und das ist es bei mir natürlich auch. Aber anders.
Prüfungsbedingt. Unibedingt. Regenbedingt. Haareschneidenbedingt. Wochenendausflugbedingt. Aber nicht unbedingt Dramabedingt.

Und dazu kommt auch die Tatsache, dass sich so etwas ähnliches bei meiner Schwester ebenso abspielt. Und das, obwohl wir normal die Queens sind in dem Gebiet. Ja, wie gesagt, ich weiß nicht. Es fühlt sich komisch an.

Vielleicht hab ich auch nur etwas vergessen.

Der Film ist aufgegeben, das Mail abgeschickt. Nun? Was ist es wohl?

Das Leben, mein Leben, nimmt den eigenen Lauf und an jeder Ecke wartet etwas völlig anderes. Morgen kommen neue Herausforderungen auf eine zu. Übermorgen ist es ganz anders. Momentan sitze ich im Zimmer und überlebe. Eigentlich sollte ich lernen. Aber die Gedanken schweifen immer wieder ab. Na, vielleicht hab ich ab Samstag dann wieder neuen Grund für Drama. Meine erste nicht geschaffte Prüfung. Wär doch auch mal ein Grund, nicht? Hab zum Glück eh vier Antrittsmöglichkeiten. Aber es will mir nicht in den Kopf gehen, dass metallisches Eisen schwarz bis grau und Siliziumdioxid mal fünf H20 eben blau. Und das ist bloß ein Bruchteil. So viele Farben sind da. So viel auswendig zu lernen. An so viele Regeln zu denken, an so viele Fehlerquellen. Carbonat austreiben. Lösefällungsgleichgewicht. Ein Beispiel muss ich noch rechnen, bevor ich losgehe.

Es ist doch auch mal schön, wenn etwas nicht ganz so spektakulär abläuft. Wobei, so uninteressant ist es auch wieder nicht. Nur anders interessant. Gelassener. Vielleicht bin auch ich es, die gelassener ist. Aber das glaub ich dann doch nicht. Ich glaube eher, dass gelassen ein Wort ist, mit dem mich wenige Leute beschreiben würden. Also.

Also.

Und der Nebel zieht weiter und verzieht sich wieder. Die Harfenklänge sind verstummt. Das Lachen wird lauter. Ich gehe mitten durch und höre nichts.

Montag, 17. November 2014

Hier, das bin ich.

Und dann dreh ich mich.
Lachen.
Sorgenfalten auf der Stirn.
Gezupfte Augenbrauen, eigentlich viel zu schleißig damit. Haare, die in alle Richtungen stehen. Starke Wasserstoffbrückenbindungen.
Eine Narbe unter dem rechten Auge. Eine Narbe auf der linken Wange. Zwei Narben auf der Stirn. Eine am Kinn.
Grübchen.
Im Sommer Sommersprossen.
Ab und zu.
Im Sommer rote Haut. Im Winter weiße.
Farbe auf den Lippen, schwarze Striche auf den Lidern.
Seit dem Sommer vor der vierten Klasse.
Die Nase so klein, dass die Laborbrille nicht hält.
Der Körper so klein, dass sich die Leute gerne anhalten, sich abstützen.
Im Kopf geht es immer anders zu.
Die Tapeten werden heruntergerissen. Neu ausgemalt.
Heute wird als schön empfunden. Morgen regnet es.
Die Augen sind offen und der Spiegel hinter ihnen blinkt.
Am besten alles aufnehmen und alles ausprobieren.
Nichts auslassen aber trotzdem.
Trotzdem vorsichtig sein. Sich nichts trauen. In Gedanken verloren.
In der eigenen Welt.
Auf einmal abgeschaltet und nicht mehr da.
Dann wieder schon.
Das Lied wechselt und die Dinge im Kopf ändern die Richtung.
Der Kopf ist ja rund.
Der ist besonders rund.
Und die Schultern, da kann man sich nicht entscheiden, ob sie nun breit sind oder nicht.
Und der Körper schaut so aus, aber wissen ist etwas anderes.
Die Kameras hängen an der Wand und die Bücher stapeln sich beim Bett. Darunter die Lichterkette und das Werkzeugsackerl. Die Stifte in Marmeladengläsern, die CDs in Schachteln. Übereinander gestapelt und zusammen geklebt.
Ein Periodensystem an der Wand. Ein halbes im Kopf.
Und auch Sulfide und Lösungsgleichgewichte und Amphotere Moleküle.
Und die Sonne.
Die Hände sind klein. Ein großer Tatendrang.
Am Schlüsselbund der Schlüssel für das Rad.
Am Rad ein Radkorb.
Kein Helm.
Die Schuhe türmen sich. Die Mitbewohnenden fallen darüber.
Die Jacken nehmen den meisten Platz ein.
Eine mit Punkten. Eine Braune. Eine Regenjacke.
Und.
In Gedanken spazieren gegangen. Schaukeln gegangen. Im Park. In der Nacht.
Auf der Uni gewesen. Skripten geschleppt.
Museen besucht. Museen vermisst. Kunst vermisst.
Keine gepiercte Stelle, keine Ohrenlöcher. Kein gedehnter Nasenring.
Und auch kein Kunstwerk, eingraviert.
Die Tasche voll, das Notizbuch leer. Die Wolle aufgebraucht.
Und überall sind Gedanken.
Diskussionen angezogen und Kontroverse geübt. Radikal genannt.
Nur Pflanzen essen.
Gar nichts essen.
Narben. Auf der Haut und auch darunter.
Lachfältchen. Um den Mund, um die Augen.
Gerade Zähne. Aber nur oben. Die dafür groß genug, um die untere Reihe zu verdecken.
Einen Stift immer dabei.
An Gerüche denken und kein Parfum besitzen. Am Land aufgewachsen und die Stadt liebend.
Angefangen und nicht zu Ende geschafft.
Triologien verschlungen. Filme begonnen. Zeitung gelesen. Zeitung weggelegt und verdrängt.
Ein Bett gebaut. Filme ausgeknipst.
In Therapie gewesen. Zitate an die Wand gemalt. Bilder in ein Buch geklebt.
Maschinenbauerin als Traumberuf. Musik als Ventil.
Und innen drin, ganz unbeschreiblich.
Es ist sogar total unbegreiflich, wo ich gerade bin.

Montag, 3. November 2014

Und auf einmal bedeutet das 19. Element so viel

Schauplatz: Uni, Hörsaal 04, Physik-Übungen, Mitte rechts. A. und L. können einen Lachflash nicht unterdrücken. Ich steige mit ein. As Kopf wird ganz rot und er unterdrückt das Prusten. Kopf auf den Tisch. L. versteckt ihr Gesicht und hustet. Ich versuche, nicht allzu sehr aufzufallen. Der Hörsaal ist sehr klein. Die Tutorin muss es eigentlich merken. Ist das der Fall, so zeigt sie es nicht. Vielleicht wirkt sie ein wenig genervter. Auch verständlich. Es ist Montag-Nachmittag und sie muss sich mit einem Haufen Erstsemestrigen herumschlagen, die schon den ganzen Tag auf der Uni zugebracht und eigentlich keinen Kopf mehr für irgendwelche Kräfteübersetzungen haben. Eine Pause wäre vielleicht angebracht. Die Vorlesungen sind ganz eng aneinander gereiht und das Auf-Die-Toilette-Gehen geht sich gerade noch so aus, dass man nur die ersten drei Worte verpasst. So muss sich die Pause eben geschaffen werden. Trotzdem möchte niemand etwas verpassen. Ist doch wichtig. Physik versteht doch momentan sowieso niemand. Die Köpfe sind voll von Chemie und LBT. Vorletzte Woche erster Anlauf für die Chemieprüfung, letzte der zweite. Donnerstag STEOP in LBT. Da muss gelacht werden.

Was genau der Auslöser für diese Emotionsgeladenheit war, ist mir entfallen. Wahrscheinlich nur eine Kleinigkeit. Ein ganz schwacher Funke, der ausreichend war, um die Überdrehtheit, die doch manchmal einsetzt, wenn man eigentlich entweder übernachtig, müde oder überfordert sein sollte, in Gang zu setzen. Der Funke entsteht. Er entfacht. Und dann brennt es. Löschen wäre vielleicht angesagt. Wobei. Kommt auf die Perspektive an. Auf das Inertialsystem, von dem man das Ganze betrachtet. Für Außenstehende mag es versuchenswert sein, die Flammen einzudämmen. Befindet man sich aber in dem geschlossenen System, dann kann man erstens gar nichts dagegen unternehmen, und außerdem handelt es sich hierbei um einen günstigen Zustand.

A.s Gesicht nimmt langsam wieder normale Farbe an. Er beschwert sich über Schmerzen in der Mundgegend. "Und so gehts mir jeden Tag!", entgegne ich lachend. Ja, genau. Lachend. Das mach ich nämlich gerade immer.
Und dafür gibt es viele Gründe. Wie immer. Es gibt selten Dinge, die auf nur einen Auslöser zurückzuführen sind. Meistens besteht dieser aus einem Geflecht. Ein Konstrukt von vielen Zufällen und Maschen. Verbunden mit Spontaneität und Wasserstoffbrückenbindungen.

Mein Handy klingelt. Ich weiß jetzt schon, von wem die Nachricht stammen wird. Beziehungsweise, bei welchem Whatsapp-Chat ich nachschauen muss. Und das Gefühl dabei ist ein anderes. Whatsapp-Chats gibt es viele. Und auch meine alte Klasse hatte einen, der an und für sich immer noch aktiv ist, auf meinem Telefon allerdings auf stumm gestellt.

"Kalium-Gruppe"

Hier wird sich ausgetauscht.
Habt ihr schon eure Labormäntel? Wo findet jetzt nochmal der Test statt? Wie geht das Beispiel noch gleich? Achja! Montag ist Biermontag, da gehen wir doch alle hin, oder? Smileys, oder besser beschrieben, Emojis häufen sich und ein Affe hält sich die Augen zu. Immer wieder klinke ich mich ein. Wie war das noch gleich? Den kompletten Überblick über dieses System Universität habe ich mir immer noch nicht verschafft. Aber dafür gibt es ja Vernetzungen. Dafür gibt es ja Kalium. Das neunzehnte Element in meinem Periodensystem, das ganz groß an meiner Wand, links unter den auf Nägel gehängten Kameras prankt. Blau ist das Kästchen mit dem großen "K" eingefärbt. Metall.
Und eigentlich noch so viel mehr.

Das mag sich vielleicht in gewisser Weise komisch anhören. Oder blöd. Oder beides. Und so ganz auszudrücken hab ich es mich auch noch nicht getraut. Aber hier kann ich die Zeilen doch damit füllen. Ich kann schreiben, dass ich gar nicht genau weiß, wie das passiert ist. Wie viel Glück ich doch gehabt habe. Nicht nur mit meinem Studium, das mir wunderbar gefällt, sondern auch mit der Wahl der Universität, die Erstsemestrigen-Tutorien anbietet und so kleine Gruppen bildet. Ich kenne jetzt schon viele meiner Mitstudierenden. Grüße nach Lust und Laune und spreche alle an. Und am Anfang des Tages weiß ich, dass ich immer einen Platz neben A., oder L., oder L., oder M., oder S. haben werde. Das hat sich schon so eingependelt. Und da das Audimax sowieso nie ganz voll ist, geht sich das auch immer schön aus, wenn ich - wie eigentlich immer - auch ein paar Minuten zu spät in den Hörsaal platze.
Es bringt mir auch insofern so viel, dass ich einfach noch mal um ein riesen Stück lieber in die Alte WU, den neuen BOKU Standort, hineinspaziere und davor mein Rad absperre. Meine Tasche auch unbeaufsichtigt auf den Gang stelle, während ich die Toiletten aufsuche und meine Wasserflasche im Waschbecken auffülle. Oder mir einen Kaffee von der Kaffeemaschine, die zufällig faire Kaffeebohnen verwendet, kaufe. Ich freue mich nicht nur auf den Stoff, auf die Materie, die ich heute lernen darf, die mir hilft, die Welt, meine Welt, besser verstehen zu können. Ich freue mich auch auf die Augen von L. und die Gespräche mit M. und die Umarmung von A. Ich freue mich auf so viele Menschen, die ich gerne sehe. Die ich gerne jeden Tag sehe. Und ich weiß ja nicht, aber vielleicht sehen sie mich ja auch gerne. Vielleicht passt das gerade.

Ich darf mir aber nicht zu viel erwarten!
Das mach ich immer gerne. Ich interpretiere hinein und male mir Situationen aus, die dann aber nie so eintreffen werden.
Letztens hat eine meiner liebsten Freundinnen auch gesagt, dass ich nicht vergessen sollte, dass das meine Studienfreunde sind. Mit ihnen studiere ich. Deswegen sehe ich sie sooft. Gut, mit M. und L. mache ich auch Zumba und mit einer anderen L. hab ich schon durch das ganze Set von Austrian Apparel getanzt. Trotzdem.

Genau! Trotzdem. Sollen es meine Studienfreundinnen sein. Das macht ja nichts. Ist doch gut so. Da bin ich auch die eine Lili. Daheim bin ich ja wieder anders und wenn sich dann alles überlappt, komme ich mit meinen Persönlichkeiten vielleicht auch gar nicht mehr so ganz zurecht. Wer bin ich wann? Wie bin ich wann? In der Augasse bin ich auf jeden Fall begeistert. Und quirlig und hochmotiviert.
Das hat ja auch etwas mit meinem Umfeld zu tun. Wir sind ja alle mehr oder weniger freiwillig hier. Wir wollen ja alle verstehen, was hinter der Glucose-Oxidase und den Van-der-Waals-Kräften steckt. Das verbindet. Man hat gleich einmal eine Basis. Und dann hat man Lächeln und nette Gespräche und lernt sich immer weiter besser kennen und genießt die Zeit.

Also ich genieße es.

Ich genieße es so sehr, dass ich jeden Tag wo hin gehen kann, wo ich gerne hingehe. Dass ich jeden Tag Leute sehen kann, die ich gerne sehe. Dass ich mir nicht dauernd denken muss, oh, was sagen die wohl zu meiner bunten Strumpfhose. Dass ich nicht das Gefühl habe, so überhaupt nicht dazu zu gehören.

Ich genieße das so sehr.

Ich bin nicht nur verliebt in meine Studienrichtung, ich bin auch verliebt in meine Mitstudierenden. Mit denen ich mitten in der Physik-Übungen-Vorlesung rot anlaufen und über irgendeinen ganz blöden Witz lachen kann. Und vielleicht ist es auch gut, dass sie nicht so viel wissen über mich. Dass ich nicht so viel über sie weiß. Ihre Hintergründe. Meine Vergangenheit. Die Persönlichkeiten stückeln sich gerade allmählich erst zusammen und man tastet sich mit tieferschürfenderen Fragen erst vor. Überschreite ich damit eh keine Grenze?
Und ich sehe sie jeden Tag. Aber das noch nicht so lange. Noch nicht acht Jahre lang. Da kann ich ein paar Kapiteln ausklammern. Muss sie niemandem auf die Nase binden und kann abwarten. Ich kann überlegen, wie es weiter gehen sollen. Ein bisschen selbst formen. Ich kann in gewisser Weise selbst mitbestimmen, wie ich gesehen werde. Mich neu erfinden und erfinden lassen. Ich kann den Alltag genießen und weiß, dass ich morgen wieder neben A. in Mathe sitzen werde. Diesmal aber der andere A., die beiden heißen nur zufällig gleich. Und dann werde ich nach Hause radln und die Kette fest machen.

Ja. So sieht das nämlich aus.