Samstag, 14. Juni 2014

Nicht wie die anderen

Gerüche kann man nicht beschreiben. Allerhöchstens mit anderem vergleichen. Das riecht wie. Es ähnelt. Du kannst zwar sagen, dass ein Duft beinahe gleiche Attribute aufweist wie eben der zu Beschreibende, aber gleich sind sie ja nicht.
Heu riecht nicht wie frisch gemähte Wiesen an warmen Juniabenden, wenn man mit dem Rad vorbeifährt. Löwenzahn und Raabsblüten haben gewisse Ähnlichkeiten. Genauso wie der Geschmack von naturtrüben Apfelsaft und Birnensaft für mich. Aber die Intensität, diese ganz spezielle Note, die nur von diesen Pflanzen in dieser bestimmten Zeit des Jahres ausgestrahlt wird, und der auf den Geruchssinn umgelegten Nachgeschmack bleiben andere. Sie sind sich doch bloß ähnlich. Und egal, wie weit der Löwenzahn in die Luft wächst, egal, wie große Blüten entstehen, egal, wie viel Staub auf jenen zu finden ist, Löwenzahn bleibt Löwenzahn. Und obwohl mein Riechsinn wirklich nicht sonderlich herausragend oder überhaupt gut ist, ein feiner Unterschied bleibt immer.
Aber das gibt es nicht nur bei zwei mehr oder weniger anderen Dingen - schon klar, es handelt bei dem oberen Beispiel um zwei noch dazu gelbe Blütenpflanzen, die sogar zu einer ähnlichen Zeit Insekten durch ihre stechende Farbe anlocken wollen.

Kein Apfel riecht wie der andere. Und das zu beschreiben ist noch komplizierter.

Aber eigentlich bin ich sehr froh darüber. Natürlich würde ich gerne Gerüche besser formulieren, weil dadurch doch dann die schönsten Geschichten entstehen müssten, oder? Rieche ich von zum Beispiel Lavendel und hätte genau vor Augen, wie das alles zu beschreiben ist, unzwar nicht mit abstrakten Begriffen wie süß oder herb, dann könnte ich auch in Worte fassen, was ich empfinde, wenn ich kurz vor Sonnenuntergang einen Feldweg, begrenzt von zwei Feldern, entlang gehe. Das sind Gerüche. Das sind Gefühle.
Aber eigentlich meine ich ja, dass es schade wäre, wenn sich eben Heu mit gemähtem Gras decken würde. Dann wäre meine Freude am Radfahren um einiges geschmälert.
Ich liebe Düfte. Ich könnte die ganze Zeit stark einatmen, einfach, um die Essenz meiner Umwelt mitzubekommen.
Und genau über dieses Thema, dieses Unvermögen, Gerüchte beschreiben zu können, darüber habe ich unlängst (was für ein Wort!) mit einer ganz lieben Freundin philosophiert. Diese beneide ich doch insgeheim um ihre feine Nase. Natürlich ist es oft schwierig, weil sie einfach alles riechen kann - vom Schweiß des Busfahrers bis hin zum Dreck in den Polster. Aber es ist doch ein intensiveres Erlebnis, wenn sie spazieren geht.
Wie dem auch sei, über diese Unterhaltung habe ich in den letzten Tagen dann immer wieder nachgedacht. Man kann einfach nur vergleichen. Es geht gar nicht anders, wenn man eben versucht, zu beschreiben.
Und mir ist einmal wieder so klar geworden, wie sehr sich das auch schon auf unser Miteinander ausgeweitet hat. Wir reden nicht mehr von dem neuen Rock als knieumspielend, grün und gepunktet, sondern so wie der Rock von dem Mädchen da, aber halt mit anderem Muster. Meine Nase ist nicht mehr klein und mit einem Höcker, sondern so wie die von meiner Schwester.

Ich beschreibe - ich vergleiche.

Problematisch wird das Ganze aber erst, wenn man dann anfängt, alles zu vergleichen. Sie hat bessere Schulnoten als ich. Ihr Haare sind glänzender. Sein Rucksack schöner. Der Bauch ist flacher.

Ich vergleiche.
Ich vergleiche ununterbrochen.
Und das stört mich einfach so unglaublich.

Weil eigentlich finde ich ja, dass es nicht möglich ist, zwei Menschen in rationaler Relation zu stellen. Das geht einfach nicht und vor allem, wenn man jemanden auf nur eine Eigenschaft, ein Merkmal reduziert, wird eben dieses isoliert und nicht mehr im Zusammenhang mit all den anderen Dingen, die diesen Menschen ja so ausmachen, gesehen und das verfälscht das Bild.
Und eigentlich, denke ich so darüber nach, vergleiche ich auch eher nur mich mit anderen. Vielleicht liegt das daran, dass ich als Kind sechs Jahre lang Leistungssport gemacht habe und einfach immer bei Wettkämpfen mitgeturnt habe - da gibt es nun mal eine Rangliste. Und manche waren besser - obwohl das ja auch nur wieder die subjektive Einschätzung maximal sechs Jurorinnen und Juroren war.
Wahrscheinlich liegt das aber eher an meinem Wesen. Selbstzufriedenheit ist ein Fremdwort für mich und ich würde mich ja so gerne verbessern. Leider habe ich trotzdem durchgehend im Hintergrund dieses "wie". Ich möchte aussehen, wie. Ich möchte mich kleiden, wie. Ich möchte so sein, wie.

Aber langsam bekomme ich das Gefühl, dass das nicht nur ein Problemchen von mir ist, sondern so in unseren Alltag geflossen ist. Es gibt überall eine Reihung. Auch in der Schule wird immer wieder herausgehoben, wer die besten Leistungen erbracht hat.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mit Leuten Kontakt habe, an dem ich nicht irgendwie verglichen werde. Das kann auch was Wunderbares sein. Meine Oma, zum Beispiel, hat mir schon sooft gesagt, ich sehe aus, wie Keira Knightley - gut, das nachzuvollziehen ist vielleicht ein bisschen schwierig, aber ich glaube, man kann meinen Standpunkt nachvollziehen. Aber auch meine Intelligenz, mein Auftreten, mein Benehmen wird mit anderen gleich gestellt. Ich glaube, irgendwie ist man langsam kein eigener Mensch mehr.

Ich mag den Geruch von Erde. Und den von Lilien. Außerdem bin ich sehr froh, zwischen den beiden differenzieren zu können. Sonst wäre mein Spektrum um so Vieles begrenzt. Das wäre nicht nur schade, sondern auch hinderlich. Es würde mich an meiner Entfaltung hindern; es würde mich an meinem Wohlbefinden hindern.

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