Samstag, 4. Oktober 2014

Das Leben ist doch eigentlich auch nur Theater.

Ich bin immer anders. Wenn ich in der Früh aufstehe bin ich so. Nach der morgendlichen Routine, dem ganzen Zähneputzen und Schminken und Duschen und Morgen-Work-Out, bin ich eine Andere. Ich schaue dann auch nicht mehr so aus wie vorher. Bilde ich mir zumindest ein. Dann sage ich "Hallo" und "Guten Morgen" zu meinem Mitbewohner und verändere mich schon wieder. Dauernd. Auf der Straße. Mit meinen Mitstudierenden. Mit den Menschen, die vor einer gefühlten Ewigkeit mit mir die Institution Schule überlebt haben. Ich sage bestimmte Sätze nicht in Gegenwart von bestimmten Leuten. Ich winke meinem Nachbarn von gegenüber, der schon wieder im Fenster sitzt und raucht. Ich habe keine Vorhänge und schäme mich nicht. Und schon wieder anders. Ein anderes Gefühl - wo sitzt das Zentrum, wo fühle ich gerade am meisten? Das ändert sich in konstantem Maße. Immer anders. Wenn ich spazieren gehe. Nach dem Schlagzeugspielen. Während einer Diskussion über Ernst Ludwig Kirchner und die Künstlergruppe Brücke. Wenn ich auf der Bühne stehe.

Ich stehe immer auf der Bühne.

Gerade schlägt es wieder zu und ich habe ein schlechtes Gewissen und fühle mich schrecklich. Vielleicht ist das jetzt zu schlimm oder salopp formuliert. Übertrieben wahrscheinlich. Aber es werkt in mir drin. Und irgendwie muss es das doch auch.
Wie schaut das Innenleben von dir aus?
Kann es denn wirklich sein, dass es Leute gibt, die ganz im Reinen sind mit sich selbst. Bei denen sich die Persönlichkeit nie ein wenig spaltet? Ich glaube das eigentlich nicht. Das kann ich nicht glauben. Und irgendwie - es würde so vieles einschränken, so viele wichtige Facetten verleugnen, wegstreichen. Nicht zulassen. Wenn du mit mir redest, bewegst du dich so. In einer ganz bestimmten Art. Ganz anders als sonst. Da sprichst du diese Themen an und lässt andere Gedankenfetzen im Hinterkopf verschwinden, sparst dir bestimmte Wörter und machst überschwängliche Gesten. Dann gehst du. Zur nächsten Person und nimmst die eine Maske ab. Nächste Maske. Wieder jemand anderes. Du wechselst dein Gegenüber und wechselst das Gesicht. Als würdest du den Radiosender umstellen und für andere Hintergrundmusik sorgen. Im Vordergrund bleibt etwas anderes. Eigentlich ist alles anders, durch die ganz leisen Töne, die da durch die Wohnung schallen und dich in eine ganz bestimmte Stimmung bringen. Vielleicht nimmst du es auch nicht wahr. Vielleicht hat auch bloß die Sendung geändert. Von Indie auf House.

Und außerdem gibt es da bestimmte Rollen. Manche liegen dir und mir mehr. Mit manchen kommt man noch so ganz zurecht und müht sich ab. Oder? Und die Rollen, die ich mittlerweile schon gut kann - an denen sollte ich mich erfreuen, die möchte ich ausleben und auskosten und weiter perfektionieren. Die anderen übe ich noch. Immer weiter. Auch mit mir selbst. Im Endeffekt spiele ich mir selbst doch auch bloß etwas vor. Wenn ich aufstehe und mir denke, ich finds eigentlich extrem toll, viel Zeit zu haben in der Früh. Wenn ich spät schlafen gehe und mir denke, eigentlich lese ich doch so gerne. Vielleicht über ich noch an anderen Themen. Das Schlafen kann ich zumindest schon. Wobei, eventuell ist das sogar das einzige Stadium, in dem man nicht allzu viel spielt. Aber das kann ich nicht genau sagen. An meine Träume kann ich mich nämlich so gut wie nie erinnern.

Auf den Grundgedanken für diese Überlegungen hat mich erst eine Freundin gebracht, mit der ich heute schreckliche und zum Tränen rührende Fotografien im Westlicht angeschaut habe und ganz viel philosophiert. Machen das Hirsche eigentlich auch? Sitzen die dann in der Nacht im Wald und denken über ihr Leben und den Sinn dahinter nach? Und eben diese Freundin hat irgendwann - ziemlich unvermittelt - gemeint, dass leben doch bloß Theater spielen ist.

Wir bewegen uns ja immer, bleiben fast nie stehen. Weiter nach vorne und neue Erfahrungen machen, Erinnerungen schaffen. Aber wo bleibt man selbst? Ich drehe mich um und schaue in eine andere Richtung. Ich höre Aussagen anders. Nehme unterschiedliche Dinge wahr und streiche alles vorher geschriebene wieder durch. Ich mache eine ganz bestimmte Bewegung nicht. Ich bin tausend in einer und weiß nicht, wo ich anfangen soll. An sich selbst arbeiten. Solch eine Arbeit soll ja nie aufhören, soll ja immer weiter gehen.

Das Leben ist facettenreich. Es ist auch nicht gleichzeitig hell und dunkel, obwohl man von beiden Zuständen gute Dinge sagen könnte und obwohl es schön sein kann, unter der Sonne zu liegen, genauso, wie durch die Nacht zu tanzen.

Ich verliere den Faden und fange von null an und wirke konfus. Sogar schon auf mich. Später werde ich wieder konsequent sein und zielstrebig. Aber jetzt bin ich das nicht. Das bin nur manchmal wirklich ich. Wenn ich von einem "Ich" überhaupt reden kann. Außerdem verändert sich unsere Zellstruktur doch sowieso die ganze Zeit - alle sieben Jahre haben wir also komplett neue Zellen. Nichts bleibt beim Alten. Und während die eine Hautzelle, die, die am Oberarm sitzt, abstirbt, wechsle ich meine Maske und ändere den Blick.

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