Sonntag, 26. Oktober 2014

Und dann auf einmal nehm ich alles anders wahr.

Der Blick in den Spiegel. Hm. Hm?

In der Früh sitz ich am Boden. Kram in braunen Schachteln herum. Eyeliner! Und dann beug ich mich vor. Momentan muss das Licht schon angeknipst werden. Viel zu dunkel. Viel zu früh. Eigentlich bin ich ja für die Einführung von Wach- und Schlafens- anstatt Winter- und Sommerzeit. Ich meine, okay, gestern hat es mich schon gefreut, eine Stunde länger fort gehen zu können, aber manchmal empfinde ich es einfach als weniger sinnvoll, sich aus dem Bett quälen zu müssen, während sogar die Sonne noch schläft. Naja.

Ich bepinsel mein Gesicht. Bepudere. Betupfe. Male mich an.
Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es für mich auch seine kreativen Aspekte hat, wenn ich ein paar Minuten länger vorm Schrank stehe und mir überlege, was denn am besten zusammen und vor allem zu meiner heutigen Laune passen würde und wenn ich dann wertvolle Zeit in der Früh fürs Schminken verschenke. Ist halt eine andere Form von Ausdruck. Gehört aber ganz bestimmt dazu. Also, für mich gesprochen.

Auf jeden Fall entdeckt man immer wieder Neues am Morgen. Die ungezupften Augenbrauen zum Beispiel. Oder aber die Ringe unter den Augen, die sich langsam immer dünkler färben. Tja, gestern musste halt zu Austrian Apparell getanzt werden. Da freu ich mich auf einen Kaffee! Mir fällt aber auch auf, dass meine Wimpern, wenn sie richtig geformt werden, gar nicht mal so kurz sind. Und ich endlich diesen blöden Pickel losgeworden bin. Nahaufnahme halt. Man klebt richtig am eigenen Spiegelbild, muss schließlich mit spitzen Stiften im Gesicht herumfuhrwerken.
Und wenn ich dann zu meinem Kasten gehe, der sich ganz zufällig genau auf der anderen Seite vom fast quadratischen Zimmer befindet, kann ich mich im Ganzen sehen.

Und ich stutze. 

Komisch.

Langsam hab ich einfach bemerkt, dass meine Wahrnehmung nicht immer ganz der Realität entsprechen muss. Oder, sagen wirs besser so, manchmal ist mir das bewusst. In den guten Stunden. Vielleicht nehme ich auch nur alles oder das meiste anders wahr, intensiver oder mit einem anderen Schwerpunkt. Als die anderen. Keine Ahnung. Was ist schon Wirklichkeit? Wir alle haben doch irgendwo unsere kleinen Blasen. Wir alle formen uns unsere Welt. Wir alle denken ein bisschen anders und die Neuronen in unserem Gehirn sind auf andere Weise miteinander verknüpft. Also, wenn ich jetzt schreibe, dass meine Wahrnehmung nicht der Realität entspricht, ist das eigentlich komplett hinfällig. Nicht? Das ist wie in der Physik. Man muss erstmal das Inertialsystem festlegen. Von welcher Wirklichkeit gehe ich überhaupt aus? Meine ist nun mal so. Und doch - irgendwie ist sie verzerrt.

Nichtsdestotrotz fallen mir auf einmal Hügel auf meiner Haut auf. Da steht was raus. Da ist etwas ungeschützt. Und es gefällt mir nicht. Es gefällt mir einfach nicht. Ich will bitte keine Knochen mehr sehen.
Vielleicht habe ich schon wieder ein wenig abgenommen.
Das Gewicht schwankt doch sowieso immer bei allen ein bisschen.

Oder vielleicht wird mir erst jetzt bewusst, wie ich denn ausschaue.

Und ich find es so komisch. Eigentlich hab ich das doch hinter mir gelassen! Eigentlich ist der Gürtel doch eng anliegend.

Was nehme ich also jetzt wirklich wahr? Was davon ist wahr?

Aber. Keine Ahnung. Wenn ich ein bisschen weiter denke, dann könnte es doch vielleicht schon stimmen. Schließlich hat die Regel schon wieder zwei Monate ausgesetzt. Schließlich fehlt es mir manchmal schlicht und ergreifend an Energie und ich habe keine Lust. Wobei, das mit der Lust oder der Motivation kann auch am Wetter liegen. Das beeinflusst mich doch sehr. Ja, wer weiß das schon?


Ich hab mir jetzt aber etwas vorgenommen.

Ich möchte auf meinen Körper hören. Und ich meine, wenn ich Lust habe, um halb elf nochmal Cornflakes zu essen, dann mach ich mir noch welche. Auch wenn der Magen jetzt nicht unbedingt knurrt. Ich hab Lust darauf. Mein Körper wird mir damit doch irgendwas sagen wollen. Denk ich mir.
Und so möchte ich einmal schauen, wie sich alles verändert. Weil eigentlich esse ich ja ziemlich viel, hab ich so das Gefühl. Und trotzdem spüre ich beim über meine eigene Seite mit der Hand fahren Erhebungen und Einkerbungen. Das muss doch nicht sein.

Und trotzdem. Es ist doch komisch, genau jetzt bekomme ich für meine Figur von meinen Mitstudentinnen immer wieder Komplimente. Dass ich doch öfter eine enge Hose anziehen soll. So schöne Beine. Daweil mag ich die gerade am wenigsten. Ich fahr ja überall mit meiner Chayenne hin. Und Radfahren hat es so an sich, dass man dadurch trainierte Oberschenkel bekommt. Eh cool. Aber dann gehen sie halt auch in die Breite.
Aber besser trainiert als gar nicht vorhanden!

Hm.

Es ist komisch. Und dann gibt es mal wieder den wunderbaren Teil in meinem Kopf, der das wundervoll findet. Der noch mehr Knochen sehen möchte.
Und dann schaue ich mich in einen anderen Spiegel, oder sehe meine Reflexion auf einem Schaufenster an und gebe diesem Teil recht. Ich weiß nicht, vielleicht zieht der Spiegel bei mir im Zimmer auch ein bisschen in die Länge. Vielleicht ist es wirklich nicht so. Vielleicht sollte ich mal wieder meine Bauchmuskelübungen machen. Für die nehme ich mir nämlich gerade echt keine Zeit. Es gibt doch so Vieles zu tun!
Vielleicht geht das sich-selbst-gut-wahrnehmen auch nur an bestimmten Orten. In Räumen, in denen ich mich wohlfühlen kann. Unbeobachtet vielleicht. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.


Die ganze Geschichte mit der Wahrnehmung ist doch überhaupt absurd. Wann hat das denn überhaupt angefangen? Man kann sich doch sowieso nie sicher sein, dass etwas genauso ist, wie man es sich denkt. Da fällt mir schon wieder die Physik ein. Relativitätstheorie, nicht? Ach, ich merke es schon, wie mein Biotechnologie-Studium meine Denkweise mitgestaltet. Und damit meine Realität. Alles was ich tue, verändert meine Sichtweise. Alles was ich denke, verändert mich.

Ich weiß vielleicht nicht viel, aber bei einer Sache bin ich mir sehr sicher. Abnehmen ist einfach keine Option mehr für mich. Das reicht mir langsam schon und ewig Gedanken daran zu verschwenden, hat genauso wenig Sinn.

Und eins weiß ich noch. Ich weiß, dass ich das nur manchmal weiß. Ich weiß es jetzt. Ich weiß es vielleicht morgen in der Früh noch und am Nachmittag. Ich weiß es vielleicht aber nicht mehr, wenn es ums Abendessen geht. Da kann sich schon wieder alles in mir auf den Kopf gestellt haben und das ganze schlechte Gewissen, was sich so in meinem Hinterkopf zusammengesammelt hat, platzt plötzlich hervor.
Das kann passieren. Aber wissen tu ichs nicht.

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