Freitag, 11. April 2014

Kontrolle

Das Schöne - oder Schlimme, wie man es sieht - an der Magersucht ist ja, dass man die komplette Kontrolle über den Körper hat. Zumindest hab ich mir das immer eingebildet. Ich wusste genau, was und wie viel ich zu mir nehmen darf, von was ich die Finger lassen sollte und ab wann und wo nichts mehr gegessen wird. Irgendwie war das schon schön - so, einfach einmal irgendwas kontrollieren zu können.

Wenn ich jetzt so zurück denke, dann ist mir klar, dass ich die Kontrolle eigentlich vor langer Zeit schon abgegeben habe. Es war ja gar nicht mehr ich, die bestimmt hat, dass ich praktisch nichts mehr esse, es war wohl irgendwo ein Teil von mir, der leider schwerer zu beseitigen ist, als gedacht, doch irgendwie war oder ist er es auch nicht. Das ist für mich momentan schrecklich schwierig zu beschreiben und sicher noch schwerer nachzuvollziehen.

Auf alle Fälle war ich sehr kontrolliert. Ich wusste ja auch über alle Nährwerte Bescheid und konnte mir in Windeseile ausrechnen, wie viele Kalorien ich noch zu mir nehmen durfte. Und es gab nur ganz selten Zeiten, in denen ich über mein mir selbst gesetztes Maß hinaus gekommen bin; selbst, wenn das passiert ist, hab ich dann zusätzlich noch mehr Sport gemacht.

Damals war für mich klar, welche Lebensmittel Tabu waren. Jetzt sind irgendwie wieder alle erlaubt.

Aber auch irgendwie nicht.

Ich selbst steh mir wahnsinnig im Weg, wenn es darum geht, wieder alles in einem normalen Maß zu genießen. Ich schaff es auch wirklich immer (noch), mir bestimmte Dinge zu verbieten - wie jetzt zum Beispiel. Gestern hatte ich beschlossen, zumindest einige Zeit wieder auf Honig und Nüsse zu verzichten. Und das, obwohl ich beides sehr, sehr gerne esse. Aber das ist es ja. Ich esse es gerne und auch in großen Maßen - wie momentan alles, so scheint mir.
Mein Biologiespezialgebiet ist das Thema Sucht. Also die körperlichen Voraussetzungen für und die Hirnaktivitäten während einer Sucht. Und da gibt es etwas, das nennt sich "Kontrollverlustphänomen". Egal, ob süchtig oder nicht, jeder Mensch wird diesem Phänomen schon einmal begegnet sein. Das gibt es zum Beispiel, wenn man Neurodermitis oder sonst irgendeinen juckenden Hautausschlag hat ebenfalls. Wenn man beispielsweise zum Kratzen anfängt und einfach nicht mehr aufhören kann. Man möchte zwar stoppen, weil es irgendwie klar ist, dass es nicht gut ist, wenn man die Haut weiter so reizt, aber es geht einfach nicht. Dasselbe funktioniert auch mit allen Suchtmitteln - es ist zwar bewusst, dass diese schlecht sind, aber der*die Süchtige ist und ist einfach nicht in der Lage, sich davon zu distanzieren.
Ein anderes Beispiel wäre Schokolade. Man nimmt sich vor, nur ein wenig zu kosten und dann endet man damit, die ganze Tafel aufgegessen zu haben, obwohl das überhaupt nicht geplant war.
Ja, und langsam kommt es mir so vor, als wäre das bei mir mit dem Essen so.

Ich verliere die Kontrolle.

Ich nehme mir vor, so, ich esse eine Portion und dann wars das. Aber es geht einfach nicht. Mein Vater kann einfach so, so gut kochen und Essen zubereiten, dass ich mir meistens nochmal und dann vielleicht nochmal Nachschub hole. Schlussendlich habe ich dann Mengen in mich reingestopft, die nicht mehr normal sein können. Dabei möchte ich doch einfach nur so gerne ein normales Essverhalten wieder erlangen. Aber ich weiß oft einfach nicht, wie ich mich stoppen kann...

Und das ist das Ding. Früher war das überhaupt kein Problem.
Okay, zu Beginn war es sehr schwer, weil ich immer schon Süßes unglaublich gerne gemocht habe, aber irgendwann ist mir der Appetit dann sowieso vergangen.

Momentan hab ich so viel Appetit, das ist schrecklich.
Ich verliere einfach sooft die Kontrolle. Bitte, kann mir nicht jemand verraten, wie man normal isst?

4 Kommentare:

  1. Naja, was Ist schon normal? Das kann dir glaub ich niemand beantworten, aber ich kann's mal versuchen.

    Was ich dir leider sagen muss: Niemand wird dir DEN wundertipp zeigen können.
    Du musst die beste Methode für dich selber rausfinden und das ist leider echt schwer. Aber das weißt du glaub ich eh selber....

    Ich kenn das jedenfalls nur zu gut, das mit dem reinstopfen, überfüllt sein, schlechtes Gewissen und so weiter. Und das hat mich auch noch länger begleitet, bzw passiert mir teilweise heute noch und ist echt schwer eigentlich. Was mir halt dann geholfen hat, war der tipp, zwischen körperlichem und seelischen Hunger zu unterscheiden. Also ich glaub das erste erklärt sich eh von selbst, mit seelisch sind alle Dinge gemeint, nach denen du dich sehnst (freund_innen, Leute zum reden, aber auch innerliche Dinge wie Zufriedenheit usw.) ich hab bei mir zumindest gemerkt, dass mein essverhalten in engem Zusammenhang mit den Gefühlen steht, die ich grade habe. Also zum Beispiel vor meinen Eltern wars besonders schlimm, weil ich mich halt irgendwie immer beobachtet fühlte und dadurch irgendwie nie in mich selber reinhören konnte. So gehts mir heute übrigens auch noch manchmal. Und da ist es halt dann wichtig, in sich selber reinzuhorchen, zu schauen wie gehts mir grade, inwieweit beeinflusst das gerade wie ich esse. Deswegen, wie du irgendwann mal geschrieben hast, ist es oft leichter alleine zu essen, weil dann zumindest die Zwänge von außen nicht so da sind. Ein Tipp wär hierbei relativ langsam zu essen (aber nicht um die anderen auszutricksen und so wenig wie möglich in viel zeit zu essen!!!). Wenn du nach jedem bissen (ist bissi oft, aber sonst halt jeder zweite, fünfte wie auch immer) nachfühlst ob du wirklich noch was willst und wenn ja, ob es echt dein Magen ist, der das grade will oder ein gefühlsmäßiges leergefühl im Bauch. Aber das ganze ist echt nicht leicht und dauert wirklich lange. Am Anfang war es bei mir dann oft so, dass ichs zwar eigentlich eh wusste, warum ich mich gerade überess, aber es trotzdem nicht aufhalten konnte. Aber ich find das is auch voll okay, weil Rückschläge/Misserfolge sind eh normal und passieren allen. Davon sollte man* sich nicht entmutigen lassen. Und ich weiß natürlich auch nicht, ob dir diese Methode so zusagt...

    Ein anderer Tipp um das Hungergefühl rauszufinden, wär es zuerst beim trinken zu analysieren. (Not Alkohol ;) ) da fällt es meistens leichter. Also halt, dass du schaust, wie fühlt es sich an, wenn ich keinen Durst mehr habe, wo zeigt sich dieser Punkt? Woher weiß ich das? Wie nehme ich es wahr? Und darüber dann auch das sättigungsgefühl herausfinden. Weil das ist eigentlich ziemlich ähnlich. Aber auch hier, dauert alles lang.....

    Außerdem ist es teilweise auch normal, dass der Körper grade ganz viel verlangt, weil ihm so lange so viel gefehlt hat.

    AntwortenLöschen
  2. Fortsetzung.....

    Was ich dir aber ganz stark ans Herz lege, ist, dass du deine Waage mal beiseite schiebst. Oder vielleicht anfängst, dich nur mehr jeden zweiten Tag zu wiegen und die "Dosis" dann senkst. Ich mein ich versteh voll, dass du die Kontrolle haben willst, is mir genauso gegangen, aber das schränkt auch darin ein, auf sich selber zu hören. Vielleicht kannst du es ja irgendwie so sehen, dass das ganze eine Art interessantes Experiment ist und dass es weder falsch noch richtig gibt. Also halt die Magersucht als Chance sehen, sich selbst besser kennenzulernen und die Umstände unter denen du lebst, analysieren und verändern zu können (ausziehen hilft sicher, weil du dann endlich aus deinem Umfeld rauskommst).
    Wie du wahrscheinlich eh weißt, ist das essverhalten ja eigentlich nur ein Symptom, die wahren Probleme liegen tiefer. Es kann wirklich spannend sein, über Ursachen nachzudenken und tief zu graben. Ist aber natürlich auch oft schmerzhaft. Aber ich glaub da bist du eh schon auf dem richtigen Weg.
    Noch schwieriger zu akzeptieren, war für mich aber eigentlich, dass einer*m niemand wirklich helfen kann außer man* selbst. Ich mein natürlich können dich psycholog*innen, freund*innen, Menschen mit ähnlichen Erfahrungen unterstützen und dir in gewisser Weise helfen, aber im Endeffekt kommt alles aus dir selbst. Und es ist die eigene ganz bewusste Entscheidung zu sagen, ich höre wirklich damit auf. Soweit ich das halt aus deinen Texten beurteilen kann, hast du wirklich den Willen, aber hängst trotzdem noch immer irgendwo dazwischen und willst gewisse Dinge der Magersucht nicht aufgeben (ganz wichtig Kontrolle eben). Du schreibst, du hast das gefühl du stehst dir selber im Weg. Ich glaub das ist eh bei allen so. Bei mir war halt irgendwo der Punkt, an dem ich mir gesagt hab, ich scheiß drauf und geb die Zwänge auf. Klingt einfach, ist sauschwierig und dauert..... Aber zeit darf keine rolle spielen. Es macht keinen Sinn, zu sagen, ich will endlich wieder "normal" essen, sondern es ist besser zu überlegen, wie du da hinkommst und dir klarzumachen, dass es niemals leicht wird. Step by step. Anders gehts nicht. Aber das weißt du ja wahrscheinlich eh schon alles selber.

    Ich finds jedenfalls echt bewundernswert, dass du diesen Blog schreibst und deine Reise mit der Welt teilst. Find ich enorm mutig, ich hätt das damals sicher nicht gekonnt. Und ich bin mir sicher du machst das gut und schaffst das!
    Good luck,
    See u

    Ps: sorry für den Roman, will dich echt ned zuspammen, ist leider ein ganz ungute Angewohnheit von mir...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. wow...also, wirklich wow...
      Zuallererst würde ich gerne sagen, dass diese Angewohnheit, wie du es so schön formulierst, von dir wirklich etwas tolles ist. Ich finde es wunderbar, wenn Leute viel zu sagen haben - vor allem, so viele tolle, unterstützende und hilfreiche Dinge. Wirklich, es freut mich so unglaublich viel, so viele liebe Worte zu lesen. Und ich habe jedes gerne gelesen und...um ehrlich zu sein, bin ich unheimlich gerührt gerade. Also, vielen, vielen, vielen Dank.

      Übrigens, das mit dem Durst, das habe ich sogar schon einmal gehört und ausprobiert, aber ich habs irgendwie nicht wirklich geschafft oder durchgedrückt. Und auch das mit dem seelischen Hunger... Sag, hast du vielleicht das Buch "die Frau, die im Mondschein aß" gelesen? Fällt mir gerade ein, ich denke, dass das dort vorkommt.

      Ich nehme mir all deine Worte wirklich sehr zu Herzen und versuche es, irgendwie umzusetzen. Aber es ist einfach so schwer. Es dauert jetzt schon so lange und ich will einfach nicht mehr - da frag ich mich dann einfach immer, wieso das nicht endlich aufhören kann... Aber du hast schon recht, das kann nur langsam gehen und es ist schrecklich schwierig...
      Vor allem ist es teilweise so komisch, weil ich einerseits das Gefühl habe, unglaublich viel in mich reingestopft zu haben, und andererseits mir denke, dass das gar nicht soo viel war. Es ist ein bisschen ein Zwiegespräch in meinem Kopf über das Thema entstanden.
      Auf jeden Fall noch einmal, vielen Dank. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie viel mir das gerade hilft. Und ich werde es versuchen. Ich werde jetzt versuchen, nachzufühlen und auf mein Inneres zu hören.

      Und danke auch dafür, dass du deine Erfahrungen so lieb mit mir teilst. Das bedeutet mir wirklich viel. Es ist schön - vielleicht ist schön das falsche Wort, aber hoffentlich weißt du, was ich meine - zu bemerken, dass es auch anderen so gegangen ist, wie mir jetzt.
      Lustig, dass du schreibst, dass mein Körper etwas nachholen möchte - meine Mutter sagt mir das nämlich auch dauernd :)
      Genau, das mit dem Wiegen habe ich bis auf weiteres eingestellt. Du hast nämlich komplett recht, das behindert mich ungemein. Es ist halt irgendwo schwierig, weil ich so keine Ahnung habe, wie viel ich wiege oder wie ich aussehe - fühlen tu ich mich auf jeden Fall alles andere als dünn.
      Also noch einmal danke, für all die aufmunternden Worte und die hilfreichen Ideen - ich versuche sie wirklich umzusetzen und ja...wird schon werden. Hoffentlich.

      Hab noch eine wundervolle Zeit! Und hoffentlich scheint die Sonne, wo du bist.
      Lili

      Löschen
    2. Moiii, freut mich enorm, wenn es dir irgendwie geholfen hat! Und da dich lange Texte wie du sagst nicht stören, kriegst du jetzt eine lange Antwort von mir.

      Haha, ja das hab ich echt gelesen, aber ich hab zu viele Bücher gelesen um noch zu wissen wo ich diese Sachen herhätte. Es kann echt gut sein, dass es das war, wobei mir ein paar Dinge in dem Buch nicht so gefallen haben eigentlich.....
      Naja, ich weiß eh wie mühsam es ist und vielleicht ist es ja auch einfach nix für dich. Worum es glaub ich eigentlich geht ist, dass ma durch solche Tipps irgendwie lernen kann, das Thema essen besser auszublenden, weil halt zB wie sie's oft in der Klinik machen, es echt keinen Sinn ergibt im Vorhinein festzulegen, wie viel und was ma essen wird/sollte. Und ich find dadurch ist es einfach ständig präsent im Kopf, so der Plan den ma sich macht. Vielleicht gehts ein bisschen darum, das vertrauen auf sich selbst zu entwickeln, dass der Körper eh weiß, was er wirklich braucht. Und dann kann ma sich auf eben die Dinge konzentrieren, die eigentlich dazu geführt haben, dass ma süchtig geworden ist, weil das ess-Ding ist ja im Prinzip nur das Symptom. Aber ich bin draufgekommen, dass das durchforsten des eigenen Kopfs manchmal noch anstrengender sein kann....aber natürlich auch echt spannend, vor allem weil ich jetzt immer noch teilweise auf Dinge draufkomme.

      Oh sorry, ich wollt jetzt nicht irgendwie diese Dinge sagen, die Eltern eh die ganze zeit als Argumentationslinie verwenden...

      Find ich voll cool, dass du den Schritt gewagt hast! Es wirkt echt befreiend, das wirst du glaub ich noch merken, halt es ist eh logisch, dass es im Moment noch verunsichernd ist. Und naja, ich weiß eh wie blöd es ist, ihr*sein Äußeres irgendwie nicht mehr messen/einordnen zu können. Auf der anderen Seite glaub ich ist es aber einfach nicht notwendig. Ich hab da auch lange zeit arge bedenken gehabt und teilweise passiert es mir jetzt immer noch, aber irgendwie muss es einer*m echt egal sein, was andere Denken. Mir ist irgendwann aufgefallen, dass ich mir immer nur darüber Gedanken mache, wie ich auf andere wirke, also jetzt nicht nur körperlich sondern generell, aber kaum einmal darauf achte, wie es mir selber gerade geht mit den anderen. Es klingt zwar auf gewisse Weise egoistisch, aber es ist wichtig, diese zentrale Wahrnehmung hin vom äußeren aufs innere zu verlegen, wenn du grade verstehst was ich meine. Halt eh, die Bedürfnisse anderer darf ma nicht missachten, aber es ist auch wichtig, an sich selbst zu denken. Na bravo, schon wieder mal bin ich irgendwohin abgeschweift, naja wurscht...
      Was ich eigentlich sagen wollte: ich denk, dass dünn sein eigentlich wirklich nicht so wichtig ist, es geht find ich um Persönlichkeit. Und freund*innen, denen das so wichtig ist, sind leider echt keine freund*innen. Ich weiß das klingt jetzt so schnell mal dahergesagt, so, das was ma eh immer gesagt kriegt, aber ich glaub, ma sollte sich echt die Frage stellen, wie viel einer*m dünnsein wert sein kann. Da geht so viel Energie dafür drauf, mit der ma ganz viele andere coole Sachen machen könnte...
      So, aber jetzt hab ich schon wieder zu viel gelabert....

      Danke, dir auch noch eine gaaanz schöne zeit, und viel kraft!
      Naja, mit sonne schaut's grade schlecht aus bei, was vielleicht daran liegen könnte, dass Nacht ist, aber das ist vollkommen okay für mich :)

      Löschen