Donnerstag, 3. April 2014

Zwang

In der letzten Therapie-Stunde haben wir etwas sehr Ungewöhnliches gemacht. Ein Mädchen hat erzählt, dass sie so unheimlich zwanghaft lernen muss und oft aber eigentlich gerne etwas anderes tun würde. Da hat dann unsere Therapeutin vorgeschlagen, wir machen eine kleine Übung. Das Mädchen musste also uns andere aufstellen - eine als sich selbst, eine als ihren Zwang und die letzte, das war zufälligerweise ich, als die Freude, die sie nicht ausleben kann.
Um ganz ehrlich zu sein, habe ich das ganze am Anfang als ein wenig komisch empfunden und nicht sonderlich ernst nehmen wollen. Ich habe aber auch versucht, mir nichts anmerken zu lassen. Ausprobieren kann mans ja mal, wer weiß, was passiert. Und tatsächlich, es hat wirklich gut funktioniert. Als dann die anfängliche Skepsis irgendwie verschwand, wurde es dann wirklich zu einer schönen Erfahrung. Wir haben uns bewegt, haben miteinander interagiert - und das alles in unseren Rollen, während das Mädchen zugesehen hatte. Und ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, aber es war sehr einprägend und hat eben funktioniert - eine andere Formulierung passt fast gar nicht.

Und das hat mir zu Denken gegeben.

Eigentlich haben wir das ja für sie gemacht. Damit wir ihr verdeutlichen können, was sich eventuell in ihrem Inneren abspielt, was bei ihr passiert und was geschehen könnte. Aber ich konnte das alles so gut auf mich auslegen. Überhaupt, speziell mit diesem Mädchen kann ich mich unglaublich gut identifizieren - ich muss auch besonders oft an sie denken und hoffe so, so sehr, dass bald alles gut werden wird bei ihr. Sie hat es nämlich momentan besonders schwer, wie mir vorkommt. Und das ist einfach nur so irrsinnig schade, weil sie nicht nur so eine Liebe ist, sondern auch so etwas Besonderes an sich hat und auch so intelligent ist - hoffentlich macht sie sich mit dieser Krankheit nicht ihre Jugend, ihr Leben kaputt. Das wäre wirklich, wirklich schön.
So, aber um wieder auf die Zwänge zurückzukommen.
Prinzipiell passiert ja sehr Vieles besonders zwanghaft, habe ich nicht Recht? Wir lassen uns in Rollen und Klischees zwängen und zwingen uns selbst zu Dinge, die wir so eigentlich nicht unbedingt gerne durchführen möchten. Aber wir machen es trotzdem, weil es sich vielleicht so gehört oder es einfach so angenommen wird.
Und doch, die Person, die mir die meisten Dinge aufzwingt, bin und bleibe ich selbst. Ich glaube nämlich ganz ehrlich, dass genau genommen, niemand von mir verlangt, dass ich nur perfekte Noten schreibe. Solange ich das Jahr und die Matura schaffe, passt doch eh alles. Für mich aber nicht. Ich habe dieses Jahr genau zweimal keine eins auf einen Test oder eine Schularbeit geschrieben - zumindest von den Noten, die ich bis jetzt weiß. Und genau die beiden zweier, die sich aber eh nicht negativ auf meine Endnote auswirken werden, wurmen mich ungemein. Wieso kann ich nicht lauter einser nach Hause gebracht haben? Und das ist doch einfach nur dumm. Es ist doch eigentlich so egal, welche Bewertung ich auf welchen Test bekommen habe. Noten sagen nichts über eine selbst aus.
Und trotzdem zwingen sich immer wieder diese Gedanken auf bei mir - ich sollte einfach bessere Noten schreiben...

Aber das geht mir nicht nur bei Noten so. Eigentlich sollte ich sowieso viel mehr machen. Ich zwinge mich sehr oft zum Sport. Ich zwinge mich sehr oft zu Dingen, die ich eigentlich nicht machen möchte, für die ich eigentlich überhaupt keine Lust verspüre. Und überhaupt. Bei mir ist alles ein wenig gezwungen - manchmal habe ich auch das Gefühl, dass der Umgang mit mir gezwungen ist. Also, aus der Sicht meines Gegenübers. Mit mir kann man nicht besonders gut reden, ich bin langweilig, schwierig und ein Lächeln wird schnell aufgesetzt.

Aber das alles ist schon wesentlich besser geworden.

Wenn ich so zurück denke, was ich mir früher so alles aufgezwungen habe. Ich habe mir ewig lange schlaue Listen geschrieben, die abzuarbeiten waren. Punkt. Ohne Kompromisse. Deswegen war ich auch so schnell mit meiner Fachbereichsarbeit fertig. Deswegen gehöre ich jetzt auch zu den eher Besseren im Laufen im Turnunterricht. Und natürlich habe ich mich zum Hungern gezwungen. Natürlich wollte ich das eigentlich nicht. Wer hat denn schon gerne einen leeren Magen?
Und ich bin schon sehr froh, dass es mir jetzt schon möglich ist, einfach auch mal nichts zu machen und zu essen. Natürlich funktioniert das alles noch nicht komplett optimal - aber ich arbeite stetig daran und irgendwann, ja, irgendwann wird alles so wie früher sein. Dann muss ich nicht mehr gezwungenerweise an meine nächste Mahlzeit denken, dann muss ich mich nicht mehr daran erinnern, dass ich doch eigentlich besser sein sollte, dann werde ich gelassen sein.

Ja, auf diese Zeit freue ich mich schon sehr. Und daweil frage ich mich einfach, was andere Leute so für Zwänge haben. Oder sind sie einfach frei von diesen? Und prinzipiell denke ich sehr, sehr häufig daran, wie das früher war beziehungsweise wie das alle anderen machen, die das mit dem Essen so gut auf die Reihe bringen. Die einfach nicht nachdenken und so viel essen, dass sie keinen Hunger mehr verspüren und dann einfach aufhören. Die Schokolade dazwischen essen können, ohne schlechtem Gewissen und auch mal den Apfel in der Schultasche vergessen, weil sie nicht konstant Gedanken über diesen verlieren. Die es fertig bringen, sich selbst zu versorgen. Die es schaffen, zu essen.

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